Wie komme ich hier raus?
In der Blüte ihres Lebens ist die Frau umgeben von Menschen, für die sie sorgen, denen sie zu Willen sein muss, von denen sie sich beurteilt fühlt. Weichen die Gitterstäbe des Käfigs, wenn die Kinder groß sind, der Partner weggelaufen oder weggeschickt is
Kurz vor seinem Tod schrieb der Literaturwissenschaftler Edward Said einen Aufsatz über das Spätwerk von Künstlern. Er teilte sie in zwei Gruppen: Die einen verfolgen den einmal eingeschlagenen Weg ruhig und frohgemut bis zum Ende, während die anderen sich querlegen. Genau in dem Moment, da sie ihr Medium perfekt beherrschen, entscheiden diese Künstler sich für eine eigensinnige, schwierige Route, entfremden sich von ihrem Publikum und werden oft nicht mehr verstanden. Said nennt als Beispiele: den Musiker Glenn Gould, der nicht mehr vor Publikum spielen wollte und sich in seinem Aufnahmestudio einsperrte, den Komponisten Beethoven, der in seinem Werk die ausgetretenen Pfade verließ und einen ganz eigenen Weg ging. Said nannte noch weitere Namen, neben Musikern auch Schriftsteller. Lauter Männer. Es gibt vielleicht noch nicht allzu viele Komponistinnen, dafür aber genug Schriftstellerinnen und Malerinnen. Können sie sich in ihrem Spätwerk von festgelegten Mustern befreien, entwickeln sie den Mut, ganz neue Richtungen einzuschlagen?
Um mich auf diesen Vortrag vorzubereiten, besuchte ich eine Retrospektive über die österreichische Malerin Maria Lassnig im Stedelijk Museum. Bereits auf der Treppe wurde der Blick des Besuchers von einem schaurigen Bild angezogen, einem Selbstporträt. Nackt und haarlos sitzt Lassnig da auf einem Sessel, in jeder Hand eine Pistole. Die eine richtet sie auf die Zuschauer, die andere auf ihren eigenen Kopf. „Du oder ich“heißt das Werk. Ich ging chronologisch an ihren Arbeiten entlang und sah: Lassnig hatte ihr Bestes gegeben, um von den männlichen Kollegen akzeptiert zu werden. Harte Arbeit, keine feste Beziehung, keine Kinder. Am Ende ihres Lebens reißt sie aber das Ruder herum. Jetzt ist ihr egal, was die anderen denken, und sie beginnt eine Serie von „drastischen Bildern“. Es sind große Leinwände: Da kommen die Kinder vor, die sie nie bekam, eine Riesin, die die Türme Manhattans zertrümmert, und der Tod, der ihren Pinsel übernehmen würde. Harte, extrem deprimierende Arbeiten. Ich begriff, was mit dem ikonischen Bild mit den zwei Pistolen gemeint war: Lassnig stellte die männliche der weiblichen Position gegenüber. Der Mann geht rücksichtslos seinem Ziel entgegen und räumt jeden aus dem Weg, der ihn zu behindern droht. Die Frau zieht sich zurück und tut lieber sich Gewalt an, als dass sie jemandem zur Last fiele. Mord oder Selbstmord. Die drastische Darstellung einer traurigen, von der Malerin so wahrgenommenen Wahrheit. Ich weiß, ich verallgemeinere. Das wird noch schlimmer werden, aber es ist notwendig, um den Gedankengang nachvollziehen zu können. Der Ordnung halber: Es gibt Männer, die keine Mörder sind, und Frauen, die mit Selbstzerstörung nichts am Hut haben. Mir geht es aber um die Struktur der Kunstlandschaft, die großen Linien, und ich lasse die Ausnahmen vorerst links liegen. Ich konzentriere mich auf die Welt der Literatur. „Die Feder ist die Schwester des Pinsels“, sagt Lassnig.
Frauen müssen tugendhaft sein und vor allem dafür Sorge tragen, dass nicht über sie geredet wird. Das ist schon in der berühmten Leichenrede des Perikles nachzulesen. Seine Ansicht hat nach wie vor Gültigkeit. In einem Interview mit der niederländischen Tageszeitung „Trouw“sagt Maxim Februar: „In der Literatur spürst du, wie groß die Geringschätzung männlicher Schriftsteller für ihre Kolleginnen ist und auch für ihre Leser, wenn das Frauen über fünfzig sind.“Männliche Rezensenten tendieren dazu, ganze OEuvres als „Frauenbücher über Frauendinge“abzutun, und sie scheinen die universelle Gültigkeit, die so ein Werk hat, nicht zu bemerken. Nehmen wir zum Beispiel die Arbeit von Anne Tyler: Eine Frau mittleren Alters, die eine Schürze trägt, steht in Gedanken versunken in ihrer Küche in Baltimore. Auf den ersten Blick geschieht nicht viel, aber bei genauem Lesen geht es um Treue und Untreue, Kämpfen oder Flüchten, Tod oder Leben – wie in Männerbüchern, aber hier findet es an der Kredenz statt, nicht auf der Autobahn, der Börse oder auf dem Schlachtfeld. Warum können sich Frauen so schwer in der Männerwelt etablieren? Warum braucht es Quoten und Vorzugsbehandlung, und warum ist Respekt vor Frauen nicht selbstverständlich? Das kann mit der Tatsache zu tun haben, dass alle gesellschaftlichen Strukturen, sei es im Staat, in der Kirche oder im Arbeitsleben, über die Jahrhunderte hinweg von Männern entworfen wurden und auf Macht und Hierarchie basieren. Vielleicht fühlt sich eine Frau darin nicht zu Hause? Hat sie darauf keine Lust?
Vor der Frauenfußball-Weltmeisterschaft sprach ich ausführlich mit der Nationaltrainerin Sarina Wiegman, die es in der Männerwelt des Königlich Niederländischen Fußballverbands weit gebracht hat und sich permanent in Männergruppen bewegt. „Du musst den Mund halten“, wiederholt sie die Worte von Perikles, „und erst etwas sagen, wenn du wirklich etwas Wichtiges zu sagen hast.“Neben ihrer Arbeit hat sie also noch eine extra Aufgabe: ihr eigenes Verhalten zu beurteilen und der – geschähe sie auch unbewusst – Verachtung Widerstand zu leisten.
Ja nicht zu wettbewerbsorientiert!
Widerstand gegen Missbilligung und Geringschätzung gehört nicht zum üblichen Verhaltensrepertoire von Mädchen. Ein Mädchen ist daran gewöhnt, sich an das anzupassen, was von ihm erwartet wird, es muss ein untrügliches Gespür für die impliziten Anforderungen seiner Erzieher und Umgebung entwickeln. Den anderen Raum geben, sich nicht in den Vordergrund drängen, einen angenehmen Eindruck machen. Nicht zu wettbewerbsorientiert, nicht wütend werden, nichts kaputt machen. Still, schön und lieb sein also.
Natürlich gibt es den Jungen gegenüber genauso gewisse Erwartungen, aber die entsprechen eher dem Verhalten, das einen später erfolgreich macht: konkurrieren, gewinnen, durchhalten und etwas wagen. Besser mutig und zielgerichtet als lieb und sorgsam. Diese Unterschiede in der Erziehung bekommen gegenwärtig zum Glück viel Aufmerksamkeit. Buben müssen lernen, ihre Gefühle auszudrücken, Mädchen müssen auf Bäume klettern und ihre rosa Spielsachen stehen las
Warum braucht es Quoten und Vorzugsbehandlung, und warum ist Respekt vor Frauen nicht selbstverständlich?