Dürer liebte „Selfies“
In der Renaissance wurden Künstler zu Selbstdarstellern. Von einem neuen Lebensstil, großen Meisterwerken und harten Honorarverhandlungen erzählt Ulinka Rublack in „Dürer. Im Zeitalter der Wunder“.
Er war zu Beginn des 16. Jahrhunderts einer der ganz Großen in der Stadt Frankfurt: der Kaufmann, Ratsherr und Patrizier Jakob Heller. Kinder hatte er keine, sein Stammbaum drohte zu verdorren, also bemühte er sich mit anderen Mitteln, in der Nachwelt nicht vergessen zu werden. Er wurde Albrecht Dürers Auftraggeber.
Gerade diejenigen, die so viele irdische Reichtümer anhäuften, wollten für ihr Seelenheil vorsorgen. So stiftete Heller für eine Frankfurter Dominikanerkirche ein Altarbild, Dürer wurden 130 Gulden für die Mitteltafel zugesagt. Das war der Beginn einer spannenden Geschichte: der des Heller-Altars von 1509. Dürer platzierte in dem Gemälde an prominenter Stelle, direkt unter der in den Himmel auffahrenden Gottesmutter Maria, ein Bild von sich selbst, als modisch gekleidete Figur in der Landschaft. Er stützt sich auf eine Tafel, die seinen Namen und Details zu dem Bild anführt.
Ein „Selfie“dieser Art, das war alles andere als bescheiden, das hatte kein Maler zuvor getan, die meisten von ihnen kannten nicht einmal Signaturen. In einem Altarbild sowohl sich selbst unübersehbar als Künstler als auch die religiöse Thematik und das Andenken an die Familie Heller unterzubringen, das war „ein beispielloser Schachzug“, schreibt Ulinka Rublack in ihrem neuen Buch. Die renommierte Expertin für die Geschichte der Frühen Neuzeit (sie lehrt in Cambridge) wählt diese Episode als Ausgangspunkt für ein bewundernswert fein und detailliert ausgeführtes Panorama der Zeit nach 1500, ein Zeitalter europäischer Verflechtungen, eine Welt des Wissens.
Als neue kulturelle Bewegung war die Renaissance nicht nur in Malerei, Architektur oder Bildhauerei präsent. Auch im Lebensstil, in der Religiosität, in der Mode, der Haartracht war sie eine „Zeit des beispiellosen Übergangs“, so Rublack, die das an einer Überfülle an Material erläutert. Es ist die materielle Kultur, die die Welt- und Selbstdeutung einer Kultur prägt. Trendsetter in Deutschland war etwa die Familie Fugger, ihre visuelle Inszenierung erhält in dem Buch breiten Raum.
Wodurch bestimmte sich der Wert eines Kunstwerks damals? Wie interagierten Künstler, Mäzene und Sammler? Das ist das Hauptthema des Buches. Preisverhandlungen waren ein fortwährender Prozess, es wurde gefeilscht und nachjustiert. Viele Beispiele breitet Rublack aus, wie trickreich die Künstler waren, wie sie schluderten, wenn zu wenig Geld kam. Der Italiener Donatello zertrümmerte eine Statue, weil sich der Auftraggeber knausrig zeigte.
Es war Dürer, der einen historischen Kampf führte, um den Wert von Kunst geltend zu machen, etwa bei dem Altarbild mit dem radikalen Selbstdarstellungsanspruch. Es gab anscheinend keinen schriftlichen Vertrag zwischen ihm und Heller. Hatte Dürer unterschätzt, wie viel Zeit und Arbeit anfielen? Das Bild sollte herausragend werden, dementsprechend lange arbeitete er daran, rund ein Jahr. Allein die Vorskizzen brauchten Zeit (darunter waren die später als Einzelkunstwerk zu Ruhm gelangten „Betenden Hände“). Das vereinbarte Honorar rechnete sich nicht mehr, zumal die Kosten für sämtliche Materialen inkludiert waren.
Der selbstbewusste Dürer dachte ebenso strategisch wie der Kaufmann. Unterbezahlt wollte er auf keinen Fall sein, zumal der Auftraggeber einer der reichsten Männer Deutschlands war. So verlangte er nun 280 Gulden. Das Gerangel begann, Gerichtsdrohungen eingeschlossen. Die Beziehung zwischen den beiden war bald auf dem Tiefpunkt. Dürers Briefe an Heller sind eine „einzigartige Korrespondenz“.
Dürer versuchte es darauf mit einer Erpressung: Wenig Geld bedeute schlechte Qualität. Insgeheim hatte er die Zahl der Personen auf dem Bild bereits radikal reduziert. Schließlich rang er dem Kaufmann 230 Gulden ab. Eine Niederlage war es dennoch, und Dürer zog Konsequenzen. Er malte keine Altarbilder mehr, sondern verlegte sich auf Drucke. Ein Wendepunkt in seiner Karriere.
Sein Tafelbild lädt zur Verehrung der Jungfrau ebenso ein wie zu der des Künstlers, schreibt Rublack, die darin „eine der innovativsten und konzentriertesten künstlerischen Aufführungen“sieht, die zu dieser Zeit in einer europäischen Kirche zu sehen waren. Um 1600 stellten sich Sammler bei den Dominikanern an, um es zu kaufen. Zum Zug kam 1614 der Wittelsbacher Maximilian I., beim Brand der Münchner Residenz 1742 ging es aber verloren, Frankfurt hat eine Kopie des Werks. Kein Meisterwerk. g Ulinka Rublack Dürer im Zeitalter der Wunder. Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt 640 S., geb., € 43,95 (Klett-Cotta)