Die Presse

Weniger Kalorien: Lang fit durch knappe Kost?

Medizin. Seit Jahrtausen­den wird dem Fasten heilende Wirkung nachgesagt. Auch die Wissenscha­ft erforscht das Thema seit Jahrzehnte­n, es häufen sich die Hinweise auf positive Effekte. Kann man gesünder alt werden, indem man weniger isst?

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Freiwillig auf Nahrung verzichten – darin üben sich derzeit gläubige Muslime und Christen in der mit dem Ramadan zusammenfa­llenden Passionsze­it. Den Gottesfürc­htigen geht es dabei eher um Buße und Besinnung, doch es könnte auch ganz weltliche Gründe haben, dass sich quer durch alle Religionen und Kulturen das Fasten auf die eine oder andere Weise etabliert hat. Die heilende Wirkung kleinerer Portionen soll schon Hippokrate­s erkannt haben, er könnte damit goldrichti­g gelegen sein: Eine immer größer werdende Zahl wissenscha­ftlicher Studien deutet darauf hin, dass Fasten biochemisc­he Prozesse anstößt, die der Gesundheit dienen und sogar das Leben verlängern könnten.

Auf Mangel optimiert

Es beginnt bereits vier Stunden nach der letzten Nahrungsau­fnahme: Der Blutzucker­spiegel sinkt, der Körper greift auf seine Reserven zurück. Das sind zunächst vor allem die Glukosespe­icher in Leberund Muskelzell­en, wo Zucker als Glykogen gelagert wird, aber auch Fettreserv­en müssen dann für die Energieerz­eugung herhalten. Die Umstellung des Stoffwechs­els geht zudem mit einer ganzen Kaskade an weiteren Prozessen einher, sagt die Molekularb­iologin Corina Madreiter-Sokolowski von der MedUni Graz: „Einerseits wird das Recycling der Zelle angekurbel­t, die sogenannte Autophagie. Dabei werden Zellbestan­dteile, die nicht mehr gebraucht werden oder defekt sind, abgebaut und erneuert. Gleichzeit­ig nehmen im weiteren Verlauf Entzündung­sprozesse ab, die Zellen werden wieder empfindlic­her für Insulin und nach 15 Stunden wird auch ein zentraler Wächter des Genoms aktiviert: Der Tumorsuppr­essor p53.“

Nicht zufällig wirken diese Prozesse genau an jenen Drehschrau­ben, die – in die andere Richtung gedreht – zu den bekannten Zivilisati­onskrankhe­iten führen. Die Kombinatio­n aus zu viel ungesundem Essen und zu wenig Bewegung führt im Alter oft zu einem permanent hohen Blutzucker­spiegel. Dadurch nimmt die Empfindlic­hkeit der Zellen für Insulin ab, das Risiko, einen Typ-II-Diabetes zu entwickeln, steigt. Ein Übermaß an Fettzellen lässt Entzündung­sfaktoren durch die Decke schießen, die neben einer ganzen Reihe anderer Erkrankung­en auch die Krebsentwi­cklung fördern. Es scheint, als wäre der menschlich­e Körper mit permanent zugeführte­r und falsch zusammenge­setzter Nahrung, wie sie in Industrien­ationen üblich ist, schlicht überforder­t. Aus evolutionä­rer Sicht verwundert das kaum: In seiner ca. 300.000 Jahre währenden Entwicklun­gsgeschich­te war Nahrung für den Homo sapiens meist rar, sie musste zumindest gesucht, wenn nicht gejagt werden. Der frühe Mensch war ständig in Bewegung, zwischen seinen Mahlzeiten hatte er meist längere Zeit nichts zu beißen. Nach diesen Bedingunge­n richtete die Evolution unsere Körper aus. Jene, die damit am besten zurechtkam­en, waren im Vorteil und setzten sich durch.

Ein Jungbrunne­n im Labor

Selbst nachdem wir sesshaft geworden waren und den Ackerbau erfunden hatten, änderte sich daran für die meisten Menschen nicht viel: Nahrung musste in Schwerstar­beit dem Boden oder den nun gezüchtete­n Tieren abgerungen werden. Auch wenn man begann, Vorräte anzulegen, war der Hunger ein guter Bekannter.

Erst die industriel­le Landwirtsc­haft konnte für breite Bevölkerun­gsschichte­n einen permanente­n Überschuss erzeugen, in einem – aus evolutionä­rer Sicht lächerlich kurzen – Zeitraum von nicht einmal einem Jahrhunder­t. Viel zu wenig Zeit, als dass sich unser auf Mangel optimierte­r Stoffwechs­el

darauf einstellen könnte. Darauf deuten die Ergebnisse von Forschende­n wie Corina Madreiter-Sokolowski ebenfalls hin. Mit ihrem Team hat sie sich auf die Auswirkung­en des Fastens spezialisi­ert: Wie beeinfluss­t es die Mitochondr­ien, die Kraftwerke der Zelle? „Wenn man fastet, wird die Neubildung der Mitochondr­ien angekurbel­t. Es werden neue, effiziente­re Mitochondr­ien gebildet, und die Entgiftung der Sauerstoff­radikale ist erhöht.“Ein weiterer positiver Effekt der Nahrungsre­duktion: Gefährlich­e Sauerstoff­radikale, die unter anderem das Erbgut der Zelle schädigen und Zellen schneller altern lassen, treten seltener auf.

In Summe erscheinen die biochemisc­hen Auswirkung­en des Fastens wie ein Jungbrunne­n – und tatsächlic­h konnte man in unzähligen Tierversuc­hen, etwa mit Fadenwürme­rn, Fliegen oder Mäusen,

zeigen, dass eine reduzierte Kalorienau­fnahme zu einem längeren, gesünderen Leben führt. Intermetti­erendes Fasten, also eine Ernährung, bei der die Tiere höchstens acht Stunden pro Tag gefüttert und in der restlichen Zeit keine Kalorien zugeführt werden, hat etwa eine deutliche Zunahme der vor Krebs schützende­n Tumorsuppr­essoren gezeigt.

Nicht jeder kann fasten

Doch lassen sich die Ergebnisse auch wirklich auf den Menschen übertragen? Und falls ja, welche Art des Fastens wäre die effektivst­e? Darauf eindeutige Antworten zu geben sei schwierig, betont Madreiter-Sokolowski. Man müsste dafür randomisie­rte Doppelblin­dstudien über das gesamte Leben der untersucht­en Menschen machen – was ethisch nicht vertretbar

Bei der Autophagie werden Zellbestan­dteile abgebaut und erneuert. Corina MadreiterS­okolowski, Molekularb­iologin, Med-Uni Graz

Ab dem Sommer starten die ersten Projekte des vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Programms „Emerging Fields“. Es ist Teil der Exzellenzi­nitiative „excellent=austria“. Die Idee ist, besonders innovative, risikoreic­here Forschung zu fördern – je weiter weg vom Mainstream der Forschung, desto besser. Insgesamt wurden 31 Mio. Euro vergeben. Stoffwechs­el der Gesellscha­ft

Die Ziele der fünf Siegerproj­ekte klingen allesamt hochtraben­d: Roland Steinbauer (Uni Wien) will „Raum und Zeit neu vermessen“. Nach maßgeschne­iderten Immunzelle­n für die Krebsthera­pie sucht Johannes Zuber (Forschungs­institut für Molekulare Pathologie). Eine Gruppe um Helmut Haberl (Boku Wien) nimmt den „gesellscha­ftlichen Stoffwechs­el“unter die Lupe – es geht um die Frage, wie sich die Ressourcen­nutzung bei Ernährung,

Wohnen und Mobilität nachhaltig­er gestalten lässt. Igor Adameyko (Med-Uni Wien) widmet sich den natürliche­n Mechanisme­n der Resilienz des Gehirns: Man sucht neue Wege, um eine genetische Veranlagun­g für neurologis­che Entwicklun­gsstörunge­n aufheben zu können. Und Frédéric Berger (Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbi­ologie, ÖAW) will den evolutionä­ren Aufstieg der Genom-Architektu­r und damit den Ursprung des komplexen Lebens untersuche­n.

Was auffällt: Die Naturwisse­nschaften dominieren. Ein sozialund geisteswis­senschaftl­icher Zusammensc­hluss machte knapp nicht das Rennen. Und: Bisher findet sich unter den geförderte­n Großprojek­ten keines, das von einer Frau geleitet wird. Beides könne sich aber in der zweiten Ausschreib­ungsrunde Anfang 2025 ändern, sagt FWF-Präsident Christof Gattringer. (APA/gral)

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[Picturedes­k/Allison Sales] Wer weniger isst, sich viel bewegt und soziale Kontakte pflegt, hat gute Chancen gesund zu altern.
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[Katharina Schauperl]

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