Weniger Kalorien: Lang fit durch knappe Kost?
Medizin. Seit Jahrtausenden wird dem Fasten heilende Wirkung nachgesagt. Auch die Wissenschaft erforscht das Thema seit Jahrzehnten, es häufen sich die Hinweise auf positive Effekte. Kann man gesünder alt werden, indem man weniger isst?
Freiwillig auf Nahrung verzichten – darin üben sich derzeit gläubige Muslime und Christen in der mit dem Ramadan zusammenfallenden Passionszeit. Den Gottesfürchtigen geht es dabei eher um Buße und Besinnung, doch es könnte auch ganz weltliche Gründe haben, dass sich quer durch alle Religionen und Kulturen das Fasten auf die eine oder andere Weise etabliert hat. Die heilende Wirkung kleinerer Portionen soll schon Hippokrates erkannt haben, er könnte damit goldrichtig gelegen sein: Eine immer größer werdende Zahl wissenschaftlicher Studien deutet darauf hin, dass Fasten biochemische Prozesse anstößt, die der Gesundheit dienen und sogar das Leben verlängern könnten.
Auf Mangel optimiert
Es beginnt bereits vier Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme: Der Blutzuckerspiegel sinkt, der Körper greift auf seine Reserven zurück. Das sind zunächst vor allem die Glukosespeicher in Leberund Muskelzellen, wo Zucker als Glykogen gelagert wird, aber auch Fettreserven müssen dann für die Energieerzeugung herhalten. Die Umstellung des Stoffwechsels geht zudem mit einer ganzen Kaskade an weiteren Prozessen einher, sagt die Molekularbiologin Corina Madreiter-Sokolowski von der MedUni Graz: „Einerseits wird das Recycling der Zelle angekurbelt, die sogenannte Autophagie. Dabei werden Zellbestandteile, die nicht mehr gebraucht werden oder defekt sind, abgebaut und erneuert. Gleichzeitig nehmen im weiteren Verlauf Entzündungsprozesse ab, die Zellen werden wieder empfindlicher für Insulin und nach 15 Stunden wird auch ein zentraler Wächter des Genoms aktiviert: Der Tumorsuppressor p53.“
Nicht zufällig wirken diese Prozesse genau an jenen Drehschrauben, die – in die andere Richtung gedreht – zu den bekannten Zivilisationskrankheiten führen. Die Kombination aus zu viel ungesundem Essen und zu wenig Bewegung führt im Alter oft zu einem permanent hohen Blutzuckerspiegel. Dadurch nimmt die Empfindlichkeit der Zellen für Insulin ab, das Risiko, einen Typ-II-Diabetes zu entwickeln, steigt. Ein Übermaß an Fettzellen lässt Entzündungsfaktoren durch die Decke schießen, die neben einer ganzen Reihe anderer Erkrankungen auch die Krebsentwicklung fördern. Es scheint, als wäre der menschliche Körper mit permanent zugeführter und falsch zusammengesetzter Nahrung, wie sie in Industrienationen üblich ist, schlicht überfordert. Aus evolutionärer Sicht verwundert das kaum: In seiner ca. 300.000 Jahre währenden Entwicklungsgeschichte war Nahrung für den Homo sapiens meist rar, sie musste zumindest gesucht, wenn nicht gejagt werden. Der frühe Mensch war ständig in Bewegung, zwischen seinen Mahlzeiten hatte er meist längere Zeit nichts zu beißen. Nach diesen Bedingungen richtete die Evolution unsere Körper aus. Jene, die damit am besten zurechtkamen, waren im Vorteil und setzten sich durch.
Ein Jungbrunnen im Labor
Selbst nachdem wir sesshaft geworden waren und den Ackerbau erfunden hatten, änderte sich daran für die meisten Menschen nicht viel: Nahrung musste in Schwerstarbeit dem Boden oder den nun gezüchteten Tieren abgerungen werden. Auch wenn man begann, Vorräte anzulegen, war der Hunger ein guter Bekannter.
Erst die industrielle Landwirtschaft konnte für breite Bevölkerungsschichten einen permanenten Überschuss erzeugen, in einem – aus evolutionärer Sicht lächerlich kurzen – Zeitraum von nicht einmal einem Jahrhundert. Viel zu wenig Zeit, als dass sich unser auf Mangel optimierter Stoffwechsel
darauf einstellen könnte. Darauf deuten die Ergebnisse von Forschenden wie Corina Madreiter-Sokolowski ebenfalls hin. Mit ihrem Team hat sie sich auf die Auswirkungen des Fastens spezialisiert: Wie beeinflusst es die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle? „Wenn man fastet, wird die Neubildung der Mitochondrien angekurbelt. Es werden neue, effizientere Mitochondrien gebildet, und die Entgiftung der Sauerstoffradikale ist erhöht.“Ein weiterer positiver Effekt der Nahrungsreduktion: Gefährliche Sauerstoffradikale, die unter anderem das Erbgut der Zelle schädigen und Zellen schneller altern lassen, treten seltener auf.
In Summe erscheinen die biochemischen Auswirkungen des Fastens wie ein Jungbrunnen – und tatsächlich konnte man in unzähligen Tierversuchen, etwa mit Fadenwürmern, Fliegen oder Mäusen,
zeigen, dass eine reduzierte Kalorienaufnahme zu einem längeren, gesünderen Leben führt. Intermettierendes Fasten, also eine Ernährung, bei der die Tiere höchstens acht Stunden pro Tag gefüttert und in der restlichen Zeit keine Kalorien zugeführt werden, hat etwa eine deutliche Zunahme der vor Krebs schützenden Tumorsuppressoren gezeigt.
Nicht jeder kann fasten
Doch lassen sich die Ergebnisse auch wirklich auf den Menschen übertragen? Und falls ja, welche Art des Fastens wäre die effektivste? Darauf eindeutige Antworten zu geben sei schwierig, betont Madreiter-Sokolowski. Man müsste dafür randomisierte Doppelblindstudien über das gesamte Leben der untersuchten Menschen machen – was ethisch nicht vertretbar
Bei der Autophagie werden Zellbestandteile abgebaut und erneuert. Corina MadreiterSokolowski, Molekularbiologin, Med-Uni Graz
Ab dem Sommer starten die ersten Projekte des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Programms „Emerging Fields“. Es ist Teil der Exzellenzinitiative „excellent=austria“. Die Idee ist, besonders innovative, risikoreichere Forschung zu fördern – je weiter weg vom Mainstream der Forschung, desto besser. Insgesamt wurden 31 Mio. Euro vergeben. Stoffwechsel der Gesellschaft
Die Ziele der fünf Siegerprojekte klingen allesamt hochtrabend: Roland Steinbauer (Uni Wien) will „Raum und Zeit neu vermessen“. Nach maßgeschneiderten Immunzellen für die Krebstherapie sucht Johannes Zuber (Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie). Eine Gruppe um Helmut Haberl (Boku Wien) nimmt den „gesellschaftlichen Stoffwechsel“unter die Lupe – es geht um die Frage, wie sich die Ressourcennutzung bei Ernährung,
Wohnen und Mobilität nachhaltiger gestalten lässt. Igor Adameyko (Med-Uni Wien) widmet sich den natürlichen Mechanismen der Resilienz des Gehirns: Man sucht neue Wege, um eine genetische Veranlagung für neurologische Entwicklungsstörungen aufheben zu können. Und Frédéric Berger (Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie, ÖAW) will den evolutionären Aufstieg der Genom-Architektur und damit den Ursprung des komplexen Lebens untersuchen.
Was auffällt: Die Naturwissenschaften dominieren. Ein sozialund geisteswissenschaftlicher Zusammenschluss machte knapp nicht das Rennen. Und: Bisher findet sich unter den geförderten Großprojekten keines, das von einer Frau geleitet wird. Beides könne sich aber in der zweiten Ausschreibungsrunde Anfang 2025 ändern, sagt FWF-Präsident Christof Gattringer. (APA/gral)