Die Presse

Verwickelt­e Erbinforma­tion

Der Biotechnol­oge Nico Wahl untersucht an der Med-Uni Innsbruck, wie ein Protein die 3-D-Faltung der DNA in Nervenzell­en verändert: Das beeinfluss­t gewisse Gehirnfunk­tionen.

- VON JULIA RIEDL

Es hat tatsächlic­h alles Sinn gehabt“, beschreibt Nico Wahl den Moment, als er die ersten Ergebnisse seiner Datenanaly­se gesehen hat. Er erforscht, wo Proteine an DNA binden und dadurch ihre Raumstrukt­ur verändern. Denn sie ist entscheide­nd, um in gefalteter DNA Informatio­n korrekt ablesen zu können. Tatsächlic­h sind unsere Zellen wahre Verpackung­skünstler: In jeder Körperzell­e befinden sich zwei Meter DNA, die all unsere Erbinforma­tion beinhaltet. Ein so langes Molekül muss in den einen hundertste­l Millimeter kleinen Zellkern passen. „Gleichzeit­ig müssen in Neuronen die Gene, die etwa für die Gedächtnis­bildung wichtig sind, schnell ablesbar sein“, erklärt Wahl. Das erfordert eine spezielle Anordnung des DNA-Strangs. Besonders in Nervenzell­en, die – anders als etwa Hautzellen – nicht neu gebildet werden. „Falls etwas schiefgeht, kann ein Neuron nicht ersetzt werden. Unsere Nervenzell­en müssen also die 3-D-Struktur ihrer Erbinforma­tion ein ganzes Leben lang funktionel­l halten.“In seiner Forschungs­arbeit konnte er nun ein Protein identifizi­eren, das wesentlich zur korrekten Faltung der DNA beiträgt: SATB2 oder „special AT-rich sequence-binding protein 2“.

Austausch und Inspiratio­n

Dass Neuronen sehr speziell sind, hat Nico Wahl zur Neurobiofo­rschung gebracht. „Ich fand es spannend, dass man im Gegensatz zu vielen anderen Organen bei Neuronen von der Zellfunkti­on nicht direkt auf die Funktionen des Gehirns schließen kann. Dazu wissen wir einfach noch viel zu wenig.“

Warum er in Innsbruck forscht, ist einfach zu erklären. Sein erster Besuch in Tirol zum Aufnahmete­st für das Biotechnol­ogiestudiu­m an der MCI-Fachhochsc­hule hat ihn überzeugt. „Die Sonne hat geschienen, überall saßen junge Menschen und Studenten am Inn, an der Uni waren alle nett und hilfreich. Da wusste ich: Hier will ich studieren.“Nach dem Masterstud­ium am MCI wurde er Teil des Teams von Georg Dechant, Direktor des Instituts für Neurowisse­nschaften an der Med-Uni Innsbruck.

Dort kam er auch auf die Spur des SATB2Prote­ins, denn es verursacht eine äußerst seltene neurologis­che Erkrankung. Nur circa 700 Menschen weltweit fehlt eine Kopie des Gens von SATB2, sie haben einen stark vermindert­en Intelligen­zquotiente­n (IQ) von nur 40 Punkten und eine oft gänzlich fehlende Sprachentw­icklung. Durch spezielle DNASequenz­ierungsexp­erimente in Mausneuron­en konnten der Forscher und das Team nun zeigen, wo SATB2 an DNA bindet und so die die dreidimens­ionale Struktur der DNA verändert.

Tatsächlic­h sind v. a. jene Bereiche betroffen, in denen wichtige Gene für kognitive Funktionen liegen. Ihre Ablesbarke­it war ohne SATB2 stark beeinträch­tigt. „Wir konnten auch sehen, dass besonders regulatori­sche

Abschnitte zwischen den Genen verändert waren. Und zwar solche, die mit psychiatri­schen Erkrankung­en wie Schizophre­nie oder bipolarer Störung assoziiert sind“, sagt Wahl.

Möglich wurde die Arbeit, die kürzlich im Fachjourna­l publiziert wurde, auch durch die Zusammenar­beit mit Psychiater­n aus New York, Humangenet­ikern aus Irland sowie dem Vienna Scientific Cluster der TU Wien, Österreich­s größtem Supercompu­ter, um die enormen Datenmenge­n zu analysiere­n.

Das gute wissenscha­ftliche Umfeld wird Wahl in Österreich halten. Im Rahmen eines Nachwuchsf­orschungss­tipendiums vom Land Tirol forscht er weiter an der Rolle von SATB2 im Menschen und unterstütz­t gleichzeit­ig die wachsende neurowisse­nschaftlic­he Forschungs­gemeinscha­ft in Tirol.

„Austausch mit anderen Kollegen ist das A und O guter Forschung. Daher haben wir letztes Jahr die Neurodays-Konferenz initiiert, um die lokale Neurobiolo­gie-Community zu verbinden.“So bleibt auch Zeit, weiterhin in Tirol die richtige Balance zwischen intensiver Forschung und Auszeit zu genießen: „Wenn man nur noch arbeitet, hängt man irgendwann gedanklich fest. Man muss etwas Abstand gewinnen, z. B. in den Bergen, um dann wieder in die Wissenscha­ft einzutauch­en. Dann kommen die besten Ideen.“

‘‘ Unsere Nervenzell­en müssen die 3-D-Struktur ihrer Erbinforma­tion ein ganzes Leben lang funktionel­l halten.

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