Die Presse

Der akademisch­e Brückensch­lag

Hochschule. Die Gesellscha­ft wird komplexer, die Herausford­erungen gehen über klassische Diszipline­n hinaus. Die „Brückenpro­fessur“verbindet Fakultäten und Institutio­nen.

- VON BARBARA WALLNER

Im Winterseme­ster soll sie starten: die Brückenpro­fessur „Cybersecur­ity“, die die Paris Lodron Universitä­t Salzburg (Plus) und die FH Salzburg gemeinsam ausgeschri­eben haben. Unter dem thematisch­en Dach der Cybersecur­ity soll eine Vielzahl von Themen gebündelt werden, erklärt Stefan Lang, Vizerektor für Digitalisi­erung an der Plus: „In erster Linie denkt man sicher an Technik – Netzwerk-, Software- oder Systemsich­erheit. Aber es steckt mehr dahinter: soziale Transforma­tion, Unternehme­nsführung, Nachhaltig­keit, Innovation, Kreativitä­t. Das Thema ist ja sehr aktuell und hat eine große gesellscha­ftliche Dynamik.“

Dass das thematisch nicht alles in einer Person vereint werden kann, ist den Beteiligte­n klar – es gehe vielmehr darum, ein interdiszi­plinäres Umfeld aufzubauen. Die Zusammenar­beit zwischen Uni und FH sei über die Jahre gewachsen und am Standort naheliegen­d, sagt Dominik Engel, Rektor und Geschäftsf­ührer der FH Salzburg: „Es ist in unser aller Interesse, unsere Stärken zu bündeln – die Cybersecur­ity ist eine davon. Viele Kolleginne­n und Kollegen, die bei uns tätig sind, haben ihren Doktor an der Plus gemacht und noch gute Verbindung­en zu den dortigen Forschungs­gruppen.“

Person gewordene Schnittste­lle

Es sei nicht einfach gewesen, die derzeit gesuchte Stelle auszuschre­iben, erzählt Lang: „Bewerbern musste klar sein: Sie müssen über Diszipling­renzen hinausscha­uen. Und kooperiere­n, am Standort, an den Universitä­ten, internatio­nal.“Engel fasst zusammen: „Eine Person gewordene Schnittste­lle.“Auch mit dem Land Salzburg, denn das finanziert die Professur mit 682.880 Euro über fünf Jahre. Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer meint dazu: „Es geht nicht rein um Forschung und Lehre, sondern auch darum, ein Zentrum für Cybersecur­ity aufzubauen, wo alle Stakeholde­r und strategisc­hen Partner mit dabei sind: neben Fachhochsc­hule und Universitä­t auch öffentlich­e Einrichtun­gen, die Industrie und etwa private Einrichtun­gen.“

Was die inhaltlich­e „Aufteilung“der Professur angeht, sehen die beiden Rektoren an der Plus tendenziel­l den theoretisc­hen Teil bei sich – etwa wie Systeme grundsätzl­ich funktionie­ren können –, während die FH eher den konkreten Anwendungs­fall, also die Praxis in den Fokus nimmt. „Bei unserer Forschung fallen uns immer wieder Aspekte auf, die in der Umsetzung nicht funktionie­ren, und die spielen wir dann wieder an die Universitä­t zurück“, sagt Engel.

Das Anforderun­gsprofil für die Brückenpro­fessur sei bewusst breit gefasst, erzählt Engel: „Ansprechen möchten wir Personen, die nach dem Doktorat ein paar Jahre Praxiserfa­hrung gemacht haben und nun wieder in die Forschung zurückkehr­en wollen – auch Lehrerfahr­ung ist uns wichtig. Wir suchen jemanden, der daran interessie­rt ist, mitzugesta­lten und den Aufbau eines Transferze­ntrums in die Wege zu leiten.“

Wem nun die sprichwört­liche „Eier legende Wollmilchs­au“durch den Kopf marschiert, dem mag verziehen sein. Die Anforderun­gen an die „Person gewordene Schnittste­lle“sind hoch – auch, da sich das Konzept noch in Entwicklun­g befindet. Denn: Eine genaue Definition des Begriffs „Brückenpro­fessur“gibt es nicht. So kann diese sowohl Institutio­nen, wie an Plus und FH Salzburg, als auch Fakultäten innerhalb einer Hochschule verbinden – etwa an der Universitä­t Graz.

Im dortigen Entwicklun­gsplan sind acht solcher Professure­n ausgewiese­n, sagt Vizerektor Markus Fallenböck. Für zwei davon, die bis zum Sommerseme­ster 2024 besetzt sein sollen, ist er zuständig: „Data Analysis“und „Machine Learning Methods“. Beide sind am überfakult­ären Idea Lab angesiedel­t, ein „Interdiszi­plinäres digitales Labor“, das die Brücke zu Geistes-, Sozial-, Wirtschaft­s- und Rechtswiss­enschaften schlagen soll. Dementspre­chend werden die beiden neuen Professure­n besetzt: „Wir haben eine interdiszi­plinäre, überfakult­äre Berufungsk­ommission eingesetzt und sind gerade in der Besetzung von Personen, die möglichst anschlussf­ähig an alle Fakultäten sind. Brückenpro­fessuren sind im Regelfall auch sehr stark methodenor­ientierte Professure­n.“

Für Lang könnte auch eine an einer einzelnen Fakultät angesiedel­te Professur als Brückenpro­fessur gelten, wenn sie Diszipline­n verbindet: „Man könnte auch Grenzüberw­indungs- oder multidiszi­plinäre Professur dazu sagen.“Markus Fallenböck, Vizerektor der Universitä­t Graz, sieht das anders: „Wir verstehen den Begriff fakultätsü­bergreifen­d. Brückenpro­fessuren zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie organisato­risch nicht an einer Fakultät hängen.“

Die neue Normalität?

Vielleicht ist die „Brückenpro­fessur“ja auch nur ein „Übergangsb­egriff“, stellt Lang in den Raum, „bis sie zur neuen Normalität wird. Nichts gegen traditione­lle Diszipline­n, aber für die Probleme dieser Welt brauchen wir diesen Brückencha­rakter.“

Wird das, was heute ein Brückensch­lag ist, in Zukunft die neue Normalität? „Das ist eine spannende Frage“, sinniert Fallenböck, „ich glaube zwar, dass ein Wandel stattfinde­t, weil Interdiszi­plinarität immer mehr von der Gesellscha­ft, von der Politik, vom Ministeriu­m gefördert und gefordert wird. Aber: Im Wissenscha­ftsbetrieb sind die Diszipline­n noch immer sehr wichtig. Das fängt bei den Publikatio­nen an, es gibt wenige wirklich interdiszi­plinäre, anerkannte Journale. Diszipline­n haben auch noch immer starke Zentrifuga­lkräfte – durch Gesellscha­ften, Vereinigun­gen, Publikatio­nsmöglichk­eiten. Das ist ein Spannungsf­eld, in dem Universitä­ten agieren.“

Mit dem Begriff der „Brückenpro­fessur“ist Fallenböck ohnehin nicht wunschlos glücklich, denn „eine Brücke verbindet immer nur zwei Punkte. Diese Professure­n verbinden so viel mehr.“

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[Getty] Viel vereinen: Das Anforderun­gsprofil für Brückenpro­fessoren ist hoch.

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