Der akademische Brückenschlag
Hochschule. Die Gesellschaft wird komplexer, die Herausforderungen gehen über klassische Disziplinen hinaus. Die „Brückenprofessur“verbindet Fakultäten und Institutionen.
Im Wintersemester soll sie starten: die Brückenprofessur „Cybersecurity“, die die Paris Lodron Universität Salzburg (Plus) und die FH Salzburg gemeinsam ausgeschrieben haben. Unter dem thematischen Dach der Cybersecurity soll eine Vielzahl von Themen gebündelt werden, erklärt Stefan Lang, Vizerektor für Digitalisierung an der Plus: „In erster Linie denkt man sicher an Technik – Netzwerk-, Software- oder Systemsicherheit. Aber es steckt mehr dahinter: soziale Transformation, Unternehmensführung, Nachhaltigkeit, Innovation, Kreativität. Das Thema ist ja sehr aktuell und hat eine große gesellschaftliche Dynamik.“
Dass das thematisch nicht alles in einer Person vereint werden kann, ist den Beteiligten klar – es gehe vielmehr darum, ein interdisziplinäres Umfeld aufzubauen. Die Zusammenarbeit zwischen Uni und FH sei über die Jahre gewachsen und am Standort naheliegend, sagt Dominik Engel, Rektor und Geschäftsführer der FH Salzburg: „Es ist in unser aller Interesse, unsere Stärken zu bündeln – die Cybersecurity ist eine davon. Viele Kolleginnen und Kollegen, die bei uns tätig sind, haben ihren Doktor an der Plus gemacht und noch gute Verbindungen zu den dortigen Forschungsgruppen.“
Person gewordene Schnittstelle
Es sei nicht einfach gewesen, die derzeit gesuchte Stelle auszuschreiben, erzählt Lang: „Bewerbern musste klar sein: Sie müssen über Disziplingrenzen hinausschauen. Und kooperieren, am Standort, an den Universitäten, international.“Engel fasst zusammen: „Eine Person gewordene Schnittstelle.“Auch mit dem Land Salzburg, denn das finanziert die Professur mit 682.880 Euro über fünf Jahre. Landeshauptmann Wilfried Haslauer meint dazu: „Es geht nicht rein um Forschung und Lehre, sondern auch darum, ein Zentrum für Cybersecurity aufzubauen, wo alle Stakeholder und strategischen Partner mit dabei sind: neben Fachhochschule und Universität auch öffentliche Einrichtungen, die Industrie und etwa private Einrichtungen.“
Was die inhaltliche „Aufteilung“der Professur angeht, sehen die beiden Rektoren an der Plus tendenziell den theoretischen Teil bei sich – etwa wie Systeme grundsätzlich funktionieren können –, während die FH eher den konkreten Anwendungsfall, also die Praxis in den Fokus nimmt. „Bei unserer Forschung fallen uns immer wieder Aspekte auf, die in der Umsetzung nicht funktionieren, und die spielen wir dann wieder an die Universität zurück“, sagt Engel.
Das Anforderungsprofil für die Brückenprofessur sei bewusst breit gefasst, erzählt Engel: „Ansprechen möchten wir Personen, die nach dem Doktorat ein paar Jahre Praxiserfahrung gemacht haben und nun wieder in die Forschung zurückkehren wollen – auch Lehrerfahrung ist uns wichtig. Wir suchen jemanden, der daran interessiert ist, mitzugestalten und den Aufbau eines Transferzentrums in die Wege zu leiten.“
Wem nun die sprichwörtliche „Eier legende Wollmilchsau“durch den Kopf marschiert, dem mag verziehen sein. Die Anforderungen an die „Person gewordene Schnittstelle“sind hoch – auch, da sich das Konzept noch in Entwicklung befindet. Denn: Eine genaue Definition des Begriffs „Brückenprofessur“gibt es nicht. So kann diese sowohl Institutionen, wie an Plus und FH Salzburg, als auch Fakultäten innerhalb einer Hochschule verbinden – etwa an der Universität Graz.
Im dortigen Entwicklungsplan sind acht solcher Professuren ausgewiesen, sagt Vizerektor Markus Fallenböck. Für zwei davon, die bis zum Sommersemester 2024 besetzt sein sollen, ist er zuständig: „Data Analysis“und „Machine Learning Methods“. Beide sind am überfakultären Idea Lab angesiedelt, ein „Interdisziplinäres digitales Labor“, das die Brücke zu Geistes-, Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften schlagen soll. Dementsprechend werden die beiden neuen Professuren besetzt: „Wir haben eine interdisziplinäre, überfakultäre Berufungskommission eingesetzt und sind gerade in der Besetzung von Personen, die möglichst anschlussfähig an alle Fakultäten sind. Brückenprofessuren sind im Regelfall auch sehr stark methodenorientierte Professuren.“
Für Lang könnte auch eine an einer einzelnen Fakultät angesiedelte Professur als Brückenprofessur gelten, wenn sie Disziplinen verbindet: „Man könnte auch Grenzüberwindungs- oder multidisziplinäre Professur dazu sagen.“Markus Fallenböck, Vizerektor der Universität Graz, sieht das anders: „Wir verstehen den Begriff fakultätsübergreifend. Brückenprofessuren zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie organisatorisch nicht an einer Fakultät hängen.“
Die neue Normalität?
Vielleicht ist die „Brückenprofessur“ja auch nur ein „Übergangsbegriff“, stellt Lang in den Raum, „bis sie zur neuen Normalität wird. Nichts gegen traditionelle Disziplinen, aber für die Probleme dieser Welt brauchen wir diesen Brückencharakter.“
Wird das, was heute ein Brückenschlag ist, in Zukunft die neue Normalität? „Das ist eine spannende Frage“, sinniert Fallenböck, „ich glaube zwar, dass ein Wandel stattfindet, weil Interdisziplinarität immer mehr von der Gesellschaft, von der Politik, vom Ministerium gefördert und gefordert wird. Aber: Im Wissenschaftsbetrieb sind die Disziplinen noch immer sehr wichtig. Das fängt bei den Publikationen an, es gibt wenige wirklich interdisziplinäre, anerkannte Journale. Disziplinen haben auch noch immer starke Zentrifugalkräfte – durch Gesellschaften, Vereinigungen, Publikationsmöglichkeiten. Das ist ein Spannungsfeld, in dem Universitäten agieren.“
Mit dem Begriff der „Brückenprofessur“ist Fallenböck ohnehin nicht wunschlos glücklich, denn „eine Brücke verbindet immer nur zwei Punkte. Diese Professuren verbinden so viel mehr.“