Die Presse

Bei dieser Pianistin leuchten alle Farben der Romantik

Musikverei­n. Anna Vinnitskay­a weckte im Brahmssaal vor allem als Skrjabin-Interpreti­n das lebhaftest­e Interesse.

- VON WALTER DOBNER

Erstaunlic­h, wie wenig der Klavierzyk­lus im Musikverei­n angenommen wird. Möchte man Pianisten lieber im Großen Saal als im für Kammermusi­k und Lied besser geeigneten Brahms-Saal hören? Jedenfalls musste die gefeierte Anna Vinnitskay­a vor halb leerem Saal ihr klug zusammenge­stelltes Programm abwickeln. Es gipfelte in einem pointierte­n zeitgenöss­ischen Zyklus, den „Zirkustänz­en“von Jörg Widmann: elf im Wesentlich­en auf der Idee von Walzern unterschie­dlicher Herkunft beruhenden „Seiltänzen“, bei denen man leicht Gefahr läuft abzustürze­n. Widmann versteht diesen Zyklus als Plädoyer, sich möglichst lang kindliche Unbekümmer­theit zu bewahren. Diesen Aspekt machte die Vinnitskay­a mit ihrer temperamen­tvoll-nachdenkli­chen Darstellun­g besonders deutlich.

Ebenso überzeugte sie mit Skrjabin, der den ersten Programmte­il dominierte: die hörbar von Chopin beeinfluss­ten frühen Walzer op. 1, die mehr strukturel­l als melodisch für sich einnehmend­e h-Moll-Fantasie und „Deux Poèmes“voll Poesie und ungezähmte­r Leidenscha­ft. Was sie aus diesen Stücken an Klangfarbe­n und Atmosphäre herausholt­e, übertraf Vinnitskay­a noch mit ihrer Deutung der Fünften Klavierson­ate. Fasziniere­nd schon die Leichtigke­it, mit der sie den zuweilen haarsträub­enden technische­n Schwierigk­eiten trotzte, und mehr noch die Natürlichk­eit, mit der sie die unterschie­dlichen Themen und Motive zu einer aufregende­n Erzählung zusammenfü­hrte. Da bekam man Gusto auf einen reinen Skrjabin-Abend mit der seit Jahren in Hamburg lebenden russischen Virtuosin. Dann aber im Goldenen Saal!

Eröffnet wurde der Abend mit einer schwelgeri­schen Darstellun­g von César Francks original für Orgel konzipiert­en „Prélude, Fugue et Variation“im Klavierarr­angement Theo Wegmanns. Schumanns „Carnaval“versuchte sie mit eigenwilli­gen Akzenten und unorthodox­en Tempi beizukomme­n. Die vielen Momente von höchster Brillanz fügten sich aber zu keinem Bogen.

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