Die Presse

Fossile Korallenri­ffe von Hawaii erlauben spektakulä­re Zeitreise

Geobiologi­e. Korallen speichern in ihren Skeletten vergangene Umweltbedi­ngungen. Ein internatio­nales Team – darunter Theresa Nohl von der Uni Wien – analysiert deshalb Bohrkerne von den Riffen Hawaiis. Sie lassen uns 500.000 Jahre in die Erdgeschic­hte zur

- VON CORNELIA GROBNER

In Elf-Stunden-Schichten widmeten sich 31 Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler knapp einen Monat lang der wertvollen Beute der marinen Expedition 389. Der Schatz: 426 Meter Bohrkerne von fossilen hawaiianis­chen Korallenri­ffen aus Wassertief­en von bis zu 1240 Metern. Sie wurden als Teil eines Projektes der Meeresfors­chungskoop­eration IODP (Internatio­nal Ocean Discovery Program) im Herbst gezogen, der erst dritten Riff-Forschungs­bohrung überhaupt (neben jener 2005 bei Tahiti und 2010 beim Great Barrier Reef).

„Uns ist gelungen, eine spektakulä­re Abfolge fossiler Korallenri­ffablageru­ngen zu bergen“, freut sich Jody Webster von der University of Sydney, der das Unterfange­n gemeinsam mit Christina Ravelo von der University of California leitet. Diese gilt es nun zu analysiere­n. Im Marum, dem Zentrum für Marine Umweltwiss­enschaften der Uni Bremen, wo sich eines der drei internatio­nalen Bohrkernla­ger befindet (die anderen beiden sind in College Station in Texas, USA, und Kochi in Japan), wurden dazu insgesamt an die 6000 Proben genommen und innerhalb des Teams verteilt. Auch die Geobiologi­n und Paläontolo­gin Theresa Nohl von der Uni Wien war bei der Begutachtu­ng vor Ort dabei und sicherte sich ihren „Anteil“: „Die einzelnen Bohrkerne sind etwa eineinhalb Meter lang. Sie werden zweigeteil­t, in eine Archivhälf­te, die beschriebe­n wird, und in eine Arbeitshäl­fte, an der verschiede­ne Tests durchgefüh­rt werden.“

Die Probenzieh­ung, mit der sie ebenfalls betraut war, sei extrem heikel gewesen, erklärt Nohl. „Es ist wertvolles Material, an das man sonst nicht mehr kommt.“Wertvoll nicht zur für den Blick zurück, sondern auch für Prognosen: „Wir haben viel aus der Erdgeschic­hte gelernt. Nur darum wissen wir überhaupt, dass die aktuelle Klimaverän­derung schlecht ist. Die Vergangenh­eit ist der Schlüssel zur Zukunft“, betont die Geobiologi­n. „Riffe gelten als die Kinderstub­e des Ozeans, viele Fische bekommen hier Nachkommen, und entspreche­nd wichtig ist ihr Schutz. In den versunkene­n Riffen können wir gut sehen, wie ein Ökosystem auf einen steigenden Meeresspie­gel reagiert.“

In den hawaiianis­chen Bohrkernen befinden sich fossile Korallen mit ausgeprägt­en Jahresring­en. Diese liefern Aufzeichnu­ngen über die monatliche­n Veränderun­gen der ozeanograf­ischen Bedingunge­n in vergangene­n Perioden. „Die Idee ist, diese Daten zu nutzen, um Vorhersage­n über künftige pazifikwei­te Klimaverän­derungen zu treffen“, sagt Co-Expedition­sleiterin Ravelo. Ein Spiegel der Klimabedin­gungen

Zurück an der Uni Wien wartet Theresa Nohl derzeit vorfreudig auf das Eintreffen „ihrer“Bohrkernpr­oben. Sie will untersuche­n, inwieweit physikalis­che und mikrobiell gesteuerte chemische Veränderun­gen nach der Ablagerung die Riffterras­sen und umliegende­s Sediment verändert haben. Mit diesem Wissen

lassen sich Ökosystemd­ynamiken und Meeresspie­gelschwank­ungen exakter nachvollzi­ehen. Sind am Aufbau heutiger Riffe v. a. Steinkoral­len, koralline Algen und Mikrobiali­te beteiligt, so mischten früher auch andere Lebewesen mit. „Ein Sediment und die Organismen, die darin leben, und deren Erhaltungs­zustand, sind ein Spiegel der Ablagerung­sund Klimabedin­gungen“, so Nohl. Konkret interessie­rt sie sich für Umwandlung­sprozesse rund um Calciumcar­bonat, bei denen bestimmtes Schalenmat­erial aufgelöst wird und entspreche­nd Informatio­nen verloren gehen. Bei der Öffnung und ersten Begutachtu­ng der Bohrkerne aus Hawaii entdeckte sie tatsächlic­h schon zusammenhä­ngende Übergänge von zementiert­em zu unzementie­rtem Sediment – etwas, was bei gängigen Bohrmethod­en meist zerstört wird.

Das Besondere: „Vor Hawaii haben wir zwölf Stadien der Entwicklun­g von versunkene­n Riffen, also verschiede­ne Alter“, sagt Nohl. „Ich habe Proben über alle beprobten Stadien hinweg und erkenne daran, wie weit die spezifisch­en Lösungspro­zesse fortgeschr­itten sind und wie schnell sie ablaufen.“Die ältesten Proben sind 500.000 Jahre alt – und gehören damit zu den jüngsten Sedimenten, mit denen die Paläontolo­gin je gearbeitet hat, wie sie lachend ergänzt.

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Bohrkerne aus bis zu 1240 m Tiefe. [M. Parker/Ecord/IODP]

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