Die Presse

„Die Idee hinter der Hamas kann man nicht zerstören“

Mona Khoury, Sozialwiss­enschaftle­rin an der Hebrew University, über die Lage in Nahost, der arabischen Israelis und an ihrem Campus.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien. „Meine Mutter hat mir immer eingetrich­tert: ,Sprich nicht über Politik! Das bringt dich nur in Schwierigk­eiten.‘“Der Rat sei symptomati­sch für arabische Israelis, wie sie selbst eine sei, sagt Mona Khoury im Interview mit der „Presse“. Die Minderheit, die mit fast zwei Millionen rund 20 Prozent der israelisch­en Bevölkerun­g repräsenti­ert, hat nach dem Hamas-Massaker des 7. Oktober stillgehal­ten und ist auch seither ruhig geblieben. Sie selbst definiert sich als Israelin, nicht als Palästinen­serin – auch das typisch für Vertreter der arabischen Minorität im Judenstaat, die sich indes vielfach als „Bürger zweiter Klasse“bezeichnen und mitunter zwischen die Fronten geraten.

Palästinen­sische Anschläge in Israel hätten in der Vergangenh­eit zuweilen Unruhen in ihrer Volksgrupp­e ausgelöst, erinnert sich die 49-jährige Soziologin, eine Christin aus Haifa, die an der renommiert­en Hebrew University in Jerusalem

Dekanin der Sozialwiss­enschaftli­chen Fakultät ist. An die Devise ihrer Mutter hat sich Khoury selten gehalten. In Wien berichtete sie in einem Vortrag, bei einem Spendendin­ner für ihre Universitä­t – mit einer Partnersch­aft mit der Uni Wien – und im Gespräch mit Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka über die aktuelle Lage in Nahost und auf ihrem Campus, wo israelisch­e Araber einen Anteil von mehr als zehn Prozent stellen.

Erst in den vergangene­n Tagen sei es an der Uni erstmals zu einer Demonstrat­ion gekommen, bei der Studentinn­en und Studenten ein Ende des Gaza-Krieges forderten. Fast alle seien von dem Terrortrau­ma gezeichnet – die einen, weil sie Angehörige verloren haben; andere, weil sie in der Armee dienen – oder Verwandte im Gazastreif­en haben. Zwei Studenten seien überhaupt in der Gewalt der Hamas. Israels Psychother­apeuten haben alle Hände voll zu tun.

Mona Khoury, als Uni-Vizepräsid­entin zuständig für Strategie und Diversität, setzt sich für einen Ausgleich zwischen den unterschie­dlichen Gruppen ein. Schon vor dem 7. Oktober hat sie die Studenten in einem Workshop auf Terror und Krieg vorbereite­t – allerdings nicht auf einen mit einer solchen Dimension. Als sie vor knapp 30 Jahren in Jerusalem studiert habe, sei der Terror durch Anschläge auf Busse und Cafés omnipräsen­t gewesen. Sie glaubt im Übrigen nicht daran, dass der Gaza-Krieg die Hamas – das deklariert­e Ziel – auslöschen könne. „Man kann die Idee hinter der Hamas nicht zerstören. Man kann auch das Christentu­m nicht zerstören.“Der Krieg befördere einstweile­n eine Radikalisi­erung auf palästinen­sischer Seite.

Für rasche Abwahl Netanjahus

Auch jetzt könne die angespannt­e Situation während des Ramadan jederzeit explodiere­n, im Westjordan­land wie rund um den Tempelberg in Jerusalem. „Frust und Aggression sind groß.“Eine Feuerpause im Gazastreif­en und die Freilassun­g der Geiseln könnten den Druck aus dem Kessel nehmen. „Je früher, desto besser.“Dies gelte im Übrigen auch für Neuwahlen. „Wir müssen Benjamin Netanjahu und die rechtsextr­emen Minister Ben-Gvir und Smotrich loswerden.“Zumal die abgesagte Justizrefo­rm ein Angriff auf demokratis­che Werte gewesen sei.

Dringlichk­eit sei jedenfalls geboten – insbesonde­re im Fall eines Comebacks von Donald Trump im

Weißen Haus. „Das wäre dann ein anderes Spiel.“

Khoury plädiert bei Politikern für eine Amtszeit von zwei Perioden, wie dies auch an der Hebrew University Usus ist. In diesem Sinn begrüßt sie die Berufung des Ökonomen Mohammed Mustafa zum neuen palästinen­sischen Premier. Unter dem Motto: „Neue Gesichter, neue Möglichkei­ten“. Es ist eine erste Reaktion auf den Druck der USA und einiger arabischer Staaten auf eine Erneuerung der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde unter Mahmud Abbas, der seit 19 Jahren im Amt ist.

Ohne Einfluss und Impulse von außen, ohne eine größtmögli­che Einwirkung von Super- und Regionalmä­chten hält die Soziologin eine Friedenslö­sung in Gaza und in weiterer Folge im Nahost-Konflikt nicht für möglich. Die Hoffnung hat sie noch nicht aufgegeben, womöglich aber erst für die Generation ihrer Enkelkinde­r. Ihre Kinder sind allerdings selbst erst 18 und 20 Jahre alt.

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[Caio Kauffmann ] Mona Khoury, Soziologin an der Hebrew University.

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