„Die Idee hinter der Hamas kann man nicht zerstören“
Mona Khoury, Sozialwissenschaftlerin an der Hebrew University, über die Lage in Nahost, der arabischen Israelis und an ihrem Campus.
Wien. „Meine Mutter hat mir immer eingetrichtert: ,Sprich nicht über Politik! Das bringt dich nur in Schwierigkeiten.‘“Der Rat sei symptomatisch für arabische Israelis, wie sie selbst eine sei, sagt Mona Khoury im Interview mit der „Presse“. Die Minderheit, die mit fast zwei Millionen rund 20 Prozent der israelischen Bevölkerung repräsentiert, hat nach dem Hamas-Massaker des 7. Oktober stillgehalten und ist auch seither ruhig geblieben. Sie selbst definiert sich als Israelin, nicht als Palästinenserin – auch das typisch für Vertreter der arabischen Minorität im Judenstaat, die sich indes vielfach als „Bürger zweiter Klasse“bezeichnen und mitunter zwischen die Fronten geraten.
Palästinensische Anschläge in Israel hätten in der Vergangenheit zuweilen Unruhen in ihrer Volksgruppe ausgelöst, erinnert sich die 49-jährige Soziologin, eine Christin aus Haifa, die an der renommierten Hebrew University in Jerusalem
Dekanin der Sozialwissenschaftlichen Fakultät ist. An die Devise ihrer Mutter hat sich Khoury selten gehalten. In Wien berichtete sie in einem Vortrag, bei einem Spendendinner für ihre Universität – mit einer Partnerschaft mit der Uni Wien – und im Gespräch mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka über die aktuelle Lage in Nahost und auf ihrem Campus, wo israelische Araber einen Anteil von mehr als zehn Prozent stellen.
Erst in den vergangenen Tagen sei es an der Uni erstmals zu einer Demonstration gekommen, bei der Studentinnen und Studenten ein Ende des Gaza-Krieges forderten. Fast alle seien von dem Terrortrauma gezeichnet – die einen, weil sie Angehörige verloren haben; andere, weil sie in der Armee dienen – oder Verwandte im Gazastreifen haben. Zwei Studenten seien überhaupt in der Gewalt der Hamas. Israels Psychotherapeuten haben alle Hände voll zu tun.
Mona Khoury, als Uni-Vizepräsidentin zuständig für Strategie und Diversität, setzt sich für einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Gruppen ein. Schon vor dem 7. Oktober hat sie die Studenten in einem Workshop auf Terror und Krieg vorbereitet – allerdings nicht auf einen mit einer solchen Dimension. Als sie vor knapp 30 Jahren in Jerusalem studiert habe, sei der Terror durch Anschläge auf Busse und Cafés omnipräsent gewesen. Sie glaubt im Übrigen nicht daran, dass der Gaza-Krieg die Hamas – das deklarierte Ziel – auslöschen könne. „Man kann die Idee hinter der Hamas nicht zerstören. Man kann auch das Christentum nicht zerstören.“Der Krieg befördere einstweilen eine Radikalisierung auf palästinensischer Seite.
Für rasche Abwahl Netanjahus
Auch jetzt könne die angespannte Situation während des Ramadan jederzeit explodieren, im Westjordanland wie rund um den Tempelberg in Jerusalem. „Frust und Aggression sind groß.“Eine Feuerpause im Gazastreifen und die Freilassung der Geiseln könnten den Druck aus dem Kessel nehmen. „Je früher, desto besser.“Dies gelte im Übrigen auch für Neuwahlen. „Wir müssen Benjamin Netanjahu und die rechtsextremen Minister Ben-Gvir und Smotrich loswerden.“Zumal die abgesagte Justizreform ein Angriff auf demokratische Werte gewesen sei.
Dringlichkeit sei jedenfalls geboten – insbesondere im Fall eines Comebacks von Donald Trump im
Weißen Haus. „Das wäre dann ein anderes Spiel.“
Khoury plädiert bei Politikern für eine Amtszeit von zwei Perioden, wie dies auch an der Hebrew University Usus ist. In diesem Sinn begrüßt sie die Berufung des Ökonomen Mohammed Mustafa zum neuen palästinensischen Premier. Unter dem Motto: „Neue Gesichter, neue Möglichkeiten“. Es ist eine erste Reaktion auf den Druck der USA und einiger arabischer Staaten auf eine Erneuerung der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas, der seit 19 Jahren im Amt ist.
Ohne Einfluss und Impulse von außen, ohne eine größtmögliche Einwirkung von Super- und Regionalmächten hält die Soziologin eine Friedenslösung in Gaza und in weiterer Folge im Nahost-Konflikt nicht für möglich. Die Hoffnung hat sie noch nicht aufgegeben, womöglich aber erst für die Generation ihrer Enkelkinder. Ihre Kinder sind allerdings selbst erst 18 und 20 Jahre alt.