Das Nahost-Drama und das zynische Spiel der Hamas
Benjamin Netanjahu tut recht daran, nicht alle Bedingungen der Hamas zu schlucken. Katar muss die Terroristen noch stärker unter Druck setzen.
Wäre es irgendwie von Nutzen gewesen, hätte Antony Blinken auf seinem Flug von Wien nach Seoul einen Zwischenstopp in Tel Aviv, Kairo oder Doha eingelegt – wie Olaf Scholz am Sonntag in Jordanien und Israel oder Karl Nehammer als Mitglied eines EU-Trosses in Ägypten. Doch sosehr der US-Außenminister, der deutsche Kanzler und seine EU-Kollegen auch darauf drangen, einen RamadanFrieden einzuläuten, für den Rest des muslimischen Fastenmonats eine Feuerpause einzuschieben und der Zivilbevölkerung eine dringend benötigte Atempause zu gönnen, so sehr stehen die Zeichen auf Eskalation.
Unisono warnen die UNO, die USA und die EU-Staats- und Regierungschefs vor einer humanitären Katastrophe bei einer Ausweitung der Militäroffensive in Rafah, der Entscheidungsschlacht im Süden des Gazastreifens zwischen der israelischen Armee und den letzten HamasTerrorbrigaden. Die Hungerkrise würde sich akut verschärfen, und Abertausende Unschuldige würden dem Bombardement in dem schmalen Küstenstreifen, wo sich rund eine Million Flüchtlinge ballen, zum Opfer fallen: So lautet das schier unausweichliche Schreckensszenario.
Die internationale Diplomatie ist in Nahost wieder einmal am Ende ihres Lateins angelangt. Eine Vermittlungsmission stünde unter einem schlachten Stern, da die Verhandlungen zwischen Israel, Ägypten und Katar in Doha nach langem Hin und Her in Doha, Paris und Kairo zum Stillstand kamen, am Kriegstag 163 wieder bei null starten.
Das liegt keineswegs nur an Benjamin Netanjahu, den unerbittlichen israelischen Kriegsherrn, der inzwischen beinahe zum Prügelknaben des Westens avanciert ist. Immerhin hat der Premier neuerlich eine Delegation unter Ägide des Mossad-Chefs Dan Barnea nach Katar beordert, das der Exilführung der Hamas Asyl gewährt und die Terrororganisation mit dem Mullah-Regime im Iran großzügig sponsert.
Man kann an „Bibi“Netanjahu viel kritisieren, den ebenso zynischen wie meisterhaften Taktiker und Wahlkämpfer. Dass er alles seiner Karriere unterordnet, dass er seine Likud-Partei in Geiselhaft hält, dass er rechtsextreme Parteien in seine Koalition geholt hat, dass er den Krieg mit seinem politischen Überleben verknüpft, um am Ende doch noch als Sieger dazustehen. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass ihm die Israelis die Quittung präsentieren werden. Dafür, dass die Militär- und Geheimdienste das Terrormassaker am 7. Oktober nicht vereitelt haben; dafür, dass er das Land mit seiner Justizreform polarisiert hat wie kaum zuvor in seiner Geschichte.
Die Zeit der Abrechnung ist noch nicht gekommen. Erst müsse die Hamas zur Strecke gebracht werden: Das ist der Tenor nicht nur im von Spannungen und Rivalitäten geprägten Kriegskabinett, sondern auch in der israelischen Opposition. Es wäre das falsche Timing für eine Neuwahl, wie dies zuletzt der demokratische Senatsführer Chuck Schumer – selbst jüdisch – unter dem Applaus Joe Bidens gefordert hat. Es zeigt, wie tief der Frust in Washington über Netanjahu ist, der trotz des massiven Widerstands entschlossen ist, den Krieg zu einem Ende zu bringen.
Soll der Premier akzeptieren, dass ihm die Hamas-Terroristen zu allem Überdruss auf der Nase herumtanzen? Soll er alle Bedingungen, die sie ihm zu diktieren versuchen, schlucken? Zuletzt schlug die Hamas vor, für eine Periode von 42 Tagen täglich eine Geisel im Austausch von bis zu 50 palästinensischen Gefangenen freizulassen – mit einer zeitlichen Perspektive für einen Abzug der israelischen Armee und einen permanenten Waffenstillstand. Die Psycho-Folter käme für Israel einer Kapitulation gleich.
So wie der Westen Druck auf Netanjahu ausübt, müssen umgekehrt auch die arabischen Staaten – insbesondere der Sponsor Katar – der Hamas die Daumenschrauben ansetzen. Sie müssen den Spieß umdrehen. Die Drohung mit dem Rauswurf der Funktionäre aus Katar und dem Entzug des Geldes ist ein richtiger Ansatz. Sonst sehen sich diejenigen, die das Schlamassel mit ihrem Terror-Überfall angerichtet haben, am Ende noch als Gewinner in ihrem zynischem Spiel.