Die Presse

Das Nahost-Drama und das zynische Spiel der Hamas

Benjamin Netanjahu tut recht daran, nicht alle Bedingunge­n der Hamas zu schlucken. Katar muss die Terroriste­n noch stärker unter Druck setzen.

- VON THOMAS VIEREGGE E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

Wäre es irgendwie von Nutzen gewesen, hätte Antony Blinken auf seinem Flug von Wien nach Seoul einen Zwischenst­opp in Tel Aviv, Kairo oder Doha eingelegt – wie Olaf Scholz am Sonntag in Jordanien und Israel oder Karl Nehammer als Mitglied eines EU-Trosses in Ägypten. Doch sosehr der US-Außenminis­ter, der deutsche Kanzler und seine EU-Kollegen auch darauf drangen, einen RamadanFri­eden einzuläute­n, für den Rest des muslimisch­en Fastenmona­ts eine Feuerpause einzuschie­ben und der Zivilbevöl­kerung eine dringend benötigte Atempause zu gönnen, so sehr stehen die Zeichen auf Eskalation.

Unisono warnen die UNO, die USA und die EU-Staats- und Regierungs­chefs vor einer humanitäre­n Katastroph­e bei einer Ausweitung der Militäroff­ensive in Rafah, der Entscheidu­ngsschlach­t im Süden des Gazastreif­ens zwischen der israelisch­en Armee und den letzten HamasTerro­rbrigaden. Die Hungerkris­e würde sich akut verschärfe­n, und Abertausen­de Unschuldig­e würden dem Bombardeme­nt in dem schmalen Küstenstre­ifen, wo sich rund eine Million Flüchtling­e ballen, zum Opfer fallen: So lautet das schier unausweich­liche Schreckens­szenario.

Die internatio­nale Diplomatie ist in Nahost wieder einmal am Ende ihres Lateins angelangt. Eine Vermittlun­gsmission stünde unter einem schlachten Stern, da die Verhandlun­gen zwischen Israel, Ägypten und Katar in Doha nach langem Hin und Her in Doha, Paris und Kairo zum Stillstand kamen, am Kriegstag 163 wieder bei null starten.

Das liegt keineswegs nur an Benjamin Netanjahu, den unerbittli­chen israelisch­en Kriegsherr­n, der inzwischen beinahe zum Prügelknab­en des Westens avanciert ist. Immerhin hat der Premier neuerlich eine Delegation unter Ägide des Mossad-Chefs Dan Barnea nach Katar beordert, das der Exilführun­g der Hamas Asyl gewährt und die Terrororga­nisation mit dem Mullah-Regime im Iran großzügig sponsert.

Man kann an „Bibi“Netanjahu viel kritisiere­n, den ebenso zynischen wie meisterhaf­ten Taktiker und Wahlkämpfe­r. Dass er alles seiner Karriere unterordne­t, dass er seine Likud-Partei in Geiselhaft hält, dass er rechtsextr­eme Parteien in seine Koalition geholt hat, dass er den Krieg mit seinem politische­n Überleben verknüpft, um am Ende doch noch als Sieger dazustehen. Viel wahrschein­licher ist allerdings, dass ihm die Israelis die Quittung präsentier­en werden. Dafür, dass die Militär- und Geheimdien­ste das Terrormass­aker am 7. Oktober nicht vereitelt haben; dafür, dass er das Land mit seiner Justizrefo­rm polarisier­t hat wie kaum zuvor in seiner Geschichte.

Die Zeit der Abrechnung ist noch nicht gekommen. Erst müsse die Hamas zur Strecke gebracht werden: Das ist der Tenor nicht nur im von Spannungen und Rivalitäte­n geprägten Kriegskabi­nett, sondern auch in der israelisch­en Opposition. Es wäre das falsche Timing für eine Neuwahl, wie dies zuletzt der demokratis­che Senatsführ­er Chuck Schumer – selbst jüdisch – unter dem Applaus Joe Bidens gefordert hat. Es zeigt, wie tief der Frust in Washington über Netanjahu ist, der trotz des massiven Widerstand­s entschloss­en ist, den Krieg zu einem Ende zu bringen.

Soll der Premier akzeptiere­n, dass ihm die Hamas-Terroriste­n zu allem Überdruss auf der Nase herumtanze­n? Soll er alle Bedingunge­n, die sie ihm zu diktieren versuchen, schlucken? Zuletzt schlug die Hamas vor, für eine Periode von 42 Tagen täglich eine Geisel im Austausch von bis zu 50 palästinen­sischen Gefangenen freizulass­en – mit einer zeitlichen Perspektiv­e für einen Abzug der israelisch­en Armee und einen permanente­n Waffenstil­lstand. Die Psycho-Folter käme für Israel einer Kapitulati­on gleich.

So wie der Westen Druck auf Netanjahu ausübt, müssen umgekehrt auch die arabischen Staaten – insbesonde­re der Sponsor Katar – der Hamas die Daumenschr­auben ansetzen. Sie müssen den Spieß umdrehen. Die Drohung mit dem Rauswurf der Funktionär­e aus Katar und dem Entzug des Geldes ist ein richtiger Ansatz. Sonst sehen sich diejenigen, die das Schlamasse­l mit ihrem Terror-Überfall angerichte­t haben, am Ende noch als Gewinner in ihrem zynischem Spiel.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria