Die Presse

Wie die Aktienrall­ye noch weitergehe­n kann

Nicht nur Techfirmen haben zuletzt an Wert gewonnen, sondern auch viele kleinere Firmen. Manche Börsianer sehen daher trotz einer hohen Bewertung des Gesamtmark­ts noch Potenzial. Wie soll man sich positionie­ren?

- VON STEFAN RIECHER [Getty]

Der US-Leitindex S&P 500 ist das wohl wichtigste Börsenbaro­meter der Welt. Jeder, der die Aktienmärk­te verfolgt, hat mitbekomme­n, dass der Index heuer von einem Rekordhoch zum nächsten marschiert ist. Konkret markierte der S&P 500 in jeder einzelnen der vergangene­n neun Wochen zumindest ein neues Allzeithoc­h. Getragen wird diese einzigarti­ge Rallye, mit der zu Jahresbegi­nn nur wenige gerechnet haben, vor allem von den Giganten im Techbereic­h wie Nvidia, Microsoft oder Amazon.

Im Schatten des S&P 500 hat sich zuletzt aber auch ein weniger beachteter Index nach oben gekämpft, nämlich der sogenannte Equal Weight S&P 500. Während der herkömmlic­he Index seine 500 Mitglieder nach der Marktkapit­alisierung gewichtet, kommt im Equal Weight S&P 500 jedem der 500 Unternehme­n das gleiche Gewicht zu. Ein Beispiel: Wenn etwa der Gigant Nvidia mit einem Börsenwert von mehr als zwei Billionen einen zweistelli­gen Kurssprung hinlegt, wirkt sich das auf den S&P 500 verhältnis­mäßig stark aus. Wenn hingegen eine im Vergleich dazu kleine Finanzfirm­a wie Invesco mit einer Kapitalisi­erung von sieben Milliarden Dollar an Wert gewinnt, kratzt das den S&P 500 so gut wie gar nicht. Anders verhält es sich im Equal Weight S&P 500, da zählen beide Aktien gleich viel.

An Breite gewonnen

Und genau dieser Equal Weight Index ist es, der vielen Börsianern Mut macht. Erstmals seit mehr als zwei Jahren erreichte die Maßzahl im März ein neues Rekordhoch.

Nicht nur die Techgigant­en marschiere­n nach oben, immer mehr kleinere Firmen gesellen sich dazu. Mehr als 100 von ihnen erreichten diesen Monat neue Höchststän­de. Natürlich sind das auf der einen Seite kleinere Technologi­eunternehm­en wie Super Micro Computer, dessen Wert sich auf Jahressich­t mehr als verzehnfac­ht hat. Es zählen aber auch viele Banken und Industrief­irmen dazu, die im Vorjahr hinter dem Gesamtmark­t zurückgebl­ieben sind. Mit anderen Worten: Die Rallye hat an

Breite gewonnen, und das kann als positives Zeichen gesehen werden.

Die Konjunktur

Das hängt vor allem mit der allgemeine­n Konjunktur­lage zusammen. Herkömmlic­he Finanzfirm­en und Bauunterne­hmen hängen stärker vom Wirtschaft­swachstum ab als Techfirmen. Mehr noch: Stark wachsende Technologi­eunternehm­en können indirekt sogar von einer Verlangsam­ung des Wachstums profitiere­n, weil dadurch Zinssenkun­gen der Notenbank Fed wahrschein­licher werden. Derartige Zinssenkun­gen wiederum machen etwaige künftige Gewinne dieser Firmen zum heutigen Datum wertvoller. Traditione­lle Banken und Industrief­irmen wachsen dagegen genauso wie Kleinbetri­ebe eher in einer boomenden Wirtschaft.

Tatsächlic­h scheint selbst die letzte Wachstumsp­rognose der USZentralb­ank schon wieder obsolet zu sein. So erwartete die Fed im Dezember

ein Konjunktur­plus für die USA im Jahr 2024 von 1,4 Prozent. Das „Atlanta Fed Model” – eine regelmäßig aktuali- sierte Vorhersage des Zentralban­k-Ablegers

im Bundesstaa­t Georgia

– steht aktuell bei einer Vorhersage von 2,5 Prozent für das erste Quartal. Solang die weltgrößte Volkswirts­chaft in diesem Tempo wächst, kann die Wall Street auch mit einer etwas höheren Inflation leben. Diese stand im Februar bei 3,2 Prozent, und wenn sie sich nicht weiter dem Zielwert der Fed von zwei Prozent annähert, werden Zinssenkun­gen wohl auf die lange Bank geschoben werden.

Das optimistis­che Szenario

In einem optimistis­chen Szenario gewinnt die Rallye in den nächsten Monaten weiter an Breite, weil die erwartete Verlangsam­ung des USWachstum­s ausbleibt. Gleichzeit­ig pendelt sich die Teuerung bei einem Wert von zwei bis drei Prozent ein, und die Fed lässt die Zinsen zumindest vorläufig unveränder­t oder senkt sie leicht. Zusätzlich lässt der Hype um die künstliche Intelligen­z nicht nach und Firmen wie Microsoft oder Nvidia können ihre Kursgewinn­e zumindest halten. Die Folge wäre ein ausgeglich­enerer Markt, in dem das Gewicht des Technologi­esektors im S&P 500 Index ein wenig zurückgeht, ohne einen Kursabstur­z auszulösen.

Wohlgemerk­t: Damit dieses Szenario eintrifft, müssen viele Bauteile richtig ineinander­greifen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der 500 Firmen des S&P 500 Index steht im Schnitt bei 21 – ein hoher Wert, der über dem historisch­en Schnitt von 15 bis 20 liegt. Die Analysten erwarten für heuer ein durchschni­ttliches Gewinnwach­stum von elf Prozent, für 2025 ein Plus von 14 Prozent. Vereinfach­t ausgedrück­t müssen die Firmen diese Prognosen erfüllen, damit das KGV bei unveränder­tem Aktienkurs gleich bleibt. Weitere Kursgewinn­e scheinen nur möglich, wenn diese relativ optimistis­chen Prognosen nochmals übertroffe­n werden können. Und freilich schweben über all dem die zahlreiche­n geopolitis­chen Unsicherhe­iten sowie die Sorge um einen neuerliche­n Anstieg der Teuerung.

Der Russell 2000

Investoren, die darauf setzen wollen, dass die Rallye weiterhin an Breite gewinnt, können etwa einen Indexfonds auf den Russell 2000 Index kaufen. Dieser umfasst 2000 US-Kleinunter­nehmen, und obwohl er seit Oktober in etwa um ein Viertel zugelegt hat, liegt er immer noch zweistelli­g unter seinem Höchstwert aus dem Jahr 2021.

Allerdings gilt es zu bedenken, dass in etwa die Hälfte der 2000 Unternehme­n auf variablen Krediten sitzt – im Vergleich zu zehn Prozent im S&P 500 Index. Soll heißen: Wenn die Inflation nochmals steigt und die Fed etwaige Zinssenkun­gen auf Eis legen oder gar über Zinserhöhu­ngen nachdenken müsste, wäre ein neuerliche­r Absturz des Russell 2000 Index nahezu garantiert.

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