„Ein Pferd war immer auch ein Statussymbol“
Pferde und Menschen gehören für Herbert Seiberl, Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule, zusammen. Der „Presse“erzählt er, wann ein Pferd ein gutes Investment ist und dass das Haus immer weiblicher wird.
Die Presse: Was ist das Besondere an Lipizzanern? Herbert Seiberl:
Ihr einzigartiger Charakter. Sie sind sehr menschenbezogen, ehrgeizig und wollen für uns Reiter in den Vorführungen und im Training alles geben. Sie passen genau für die Aufgabe in der Spanischen Hofreitschule. Auch der robuste Körperbau und ihre Trittsicherheit sind wichtig. Die lernen sie schon beim Aufwachsen in unserem Gestüt in Piber, wenn sie drei Sommer lang auf der Hochalm verbringen.
Wo liegt der Unterschied zum normalen Dressurreiten?
Wir in der Hofreitschule zeigen Lektionen, die man auch in der modernen Dressur sehen kann, aber noch viel mehr. Der klassischen Reitkunst liegt der natürliche Bewegungsablauf des Pferds zugrunde, die moderne Dressur hat sich aus ihr heraus entwickelt. Die Spanische Hofreitschule gibt es schon seit fast 460 Jahren. Der Ursprungszweck war, die adelige Jugend in der Kunst des Reitens auszubilden. Dazu hat neben der Kunst auch die Kriegsreiterei gehört. Die Bewegungen, die wir bis heute zeigen, sind eigentlich Bewegungen, die die Reiter im Krieg benötigt haben.
Wie kann man sich das vorstellen?
Wurde ein Reiter in einer Schlacht eingekesselt, konnte ein Luftsprung mit Ausschlag der Hinterbeine Fußsoldaten treffen und er sich somit befreien. Die Pferde auf diese Figuren zu trainieren war damals sehr wichtig.
Wieso trainieren Sie ausschließlich Hengste?
Die Bewegungen, auf denen unsere Lektionen basieren, leiten sich aus dem Imponierverhalten von Hengsten ab. Bei frei laufenden Pferden würden nur Hengste diese Figuren machen. Die Herausforderung für den Reiter ist, die natürlichen Anlagen, die jeder Hengst in sich trägt, abrufbar zu machen. Dazu trainieren wir sechs Tage die Woche fünf bis sieben Jahre, um das in vollendeter Perfektion in den Vorführungen zu präsentieren.
Wie kamen Sie zur Spanischen Hofreitschule?
Für mich war es immer ein großer Traum, mein Leben mit Pferden zu verbringen, es war das Einzige, was mich interessiert hat. Ein Lehrer hat mich darauf aufmerksam gemacht, und mit 17 Jahren habe ich hier begonnen.
Mit wie vielen Pferden arbeiten Sie?
Am Anfang hat jeder nur ein Pferd, den ersten eigenen Hengst, den man als Bereiteranwärter ausbilden darf. Sobald man Bereiter ist, bekommt man mehrere Pferde. Ich habe mittlerweile zehn Hengste, für die ich verantwortlich bin. Jedes zweite Jahr kommt ein neues Pferd hinzu. Ich bilde sie aus und arbeite über Jahre hinweg im Team mit meinen Hengsten. Manche Pferde begleiten mich so über 20 Jahre, da entsteht eine innige Beziehung.
Wann ist man ein guter Reiter?
Das ist man nie! Man kann sich immer verbessern. Ich würde nach 30 Jahren in der Spanischen nicht behaupten, dass ich es kann. Wenn ich morgen ein neues Pferd bekomme, kann mich das vor ganz neue Herausforderungen stellen, und es kann sein, dass ich mir denke: Ich sitze gerade zum ersten Mal da oben und habe keine Ahnung.
Sehen Sie sich als Sportler?
Ich sehe mich schon auch als Sportler, aber meine Hauptaufgabe ist nicht das Sportreiten, sondern die Spanische Hofreitschule. Wir hier messen uns nicht auf Turnieren oder im Reitsport, wir erhalten die Tradition der klassischen Reitkunst, wir müssen uns mit niemanden messen.
Was hat sich verändert, seit Sie im Haus sind?
Das Reiten ist im Grunde gleich geblieben, verändert hat sich vor allem die Tierhaltung. Wir arbeiten stets daran, unseren Pferden noch mehr bieten zu können. Mittlerweile haben wir ein Trainingszentrum im Weinviertel, die Hengste kommen regelmäßig dorthin, um einen Ausgleich zur Stadt zu haben. Auch die Sommerfrische verbringen sie dort.
Bis vor gut 100 Jahren war unsere gesamte Infrastruktur auf Pferde ausgerichtet, gefühlt ein Drittel der Stadt muss ja aus Stallungen bestanden haben …
Ja ja, überall waren Stallungen. Wo wäre der Mensch ohne Pferde? Ich finde es traurig, dass Pferde überall verboten werden. Wir sollten darüber nachdenken, wie die Stadt wieder pferdegerechter werden könnte.
Wie stehen Sie zu Fiakern?
Die gehören zu Wien! Würde man die Stadt grüner machen, hätten es die Fiakerpferde einfacher, dann müssten wir nicht diskutieren, ob ihnen zu heiß ist.
Wie kann man vom Pferdesport leben?
Am besten ist es, wenn man selbst viel Geld hat oder einen Sponsor. Pferde sind ein teures Hobby, und je näher man an eine Großstadt kommt, umso teurer wird es.
Ist ein Pferd noch ein Symbol der Macht?
Ein Pferd war immer auch ein Statussymbol. Nicht jeder kann sich ein Pferd leisten oder Reitunterricht nehmen. Ein Pferd besitzen heißt aber auch, Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen, das kann ich nicht ein halbes Jahr in die Garage stellen.
Haben Sie auch eigene Pferde?
Ja, ich habe mehrere Pferde, darunter ein Warmblut – einen Oldenburger. In Deutschland habe ich auch noch ein paar Pferde und züchte dort. Fast alle meine Kollegen haben in der Freizeit noch eigene Pferde, unterrichten oder reiten Turniere.
Ist ein Pferd eine gute Geldanlage?
Ich würde sagen: Nein! (Lacht.)
Aber man kann durchaus ein junges Pferd für wenig Geld kaufen, dann bildet man es aus, und wenn es supertoll ist, verkauft man es für 1,5 Millionen Euro. Das kann möglich sein, aber ein Pferd ist ein Lebewesen, dadurch gibt es immer auch Risiken. Wenn ich nicht selbst ausbilden kann, dann wäre es nur eine Hoffnung, in die ich investiere, dann würde ich mein Geld nicht in Pferde anlegen.
Worin investieren Sie?
Ich investiere natürlich in Pferde, weil ich das Glück habe, sie auch selbst ausbilden zu können, so kann ich mein Investment sozusagen selbst mitgestalten. Aktuell habe ich fünf Pferde, aus denen etwas Größeres werden könnte, sie sind aber noch in der Aufzucht. Ein paar Aktien besitze ich auch, ohne besonders großes Interesse.
Braucht man also richtig viel Geld, um es sich leisten zu können, in ein Pferd zu investieren?
Genau, sonst ist es keine gute Geldanlage. International gibt es viele Millionäre, die guten Reitern Pferde sponsern, dann ist es egal, ob ein Pferd eine, zwei oder drei Millionen kostet.
Ein herausragendes Pferd kostet also Millionen?
Der Dressurhengst Totilas wurde angeblich für zehn Millionen Euro verkauft. Wobei Rennpferde noch viel teurer sein können. Im Nahen
Osten werden Millionen in Rennpferde investiert, die werden dann auch rund um die ganze Welt geflogen. Allein die Samen eines solchen Pferds mit Stammbaum können schon an die 10.000 Euro kosten.
Das heißt, die teuren Pferde werden durch künstliche Befruchtung gezeugt?
Die meisten Pferde werden nicht mehr durch Natursprung gezeugt, es gibt mittlerweile sogar Embryonentransfer bei sehr erfolgreichen Pferden. Die Hengste werden abgesamt, diese Samen dann in Portionen geteilt und sehr teuer verkauft. Leihstuten tragen die Fohlen aus, und so können von einem guten Pferd auch zehn Geschwister erzeugt werden. Diese Art der Fortpflanzung ist aber auch sehr unsicher.
Das klingt sehr unromantisch, wie ist das bei den Lipizzanern?
Die Paarung bei Pferden ist nicht unbedingt romantisch, die Tiere können sich dabei schwer verletzen. Bei unserer Lipizzaner-Zucht ist es gesetzlich geregelt, dass die Pferde natürlich gezeugt werden, dadurch ist die Chance auf den Nachwuchs größer. Unsere Hengstlinien und Stutenlinien im Stammbaum müssen erhalten werden.
Wie viel kostet ein Lipizzaner?
Der Wert eines Pferds hängt von seiner Ausbildung ab. Unsere ausgebildeten Schulhengste sind unverkäuflich. Ein dreijähriges, noch unausgebildetes Pferd kann man in Piber zwischen 7000 und 10.000 Euro kaufen. Ein gutes Freizeitpferd, das schon etwas kann, kostet rund 20.000 oder 30.000 Euro. Der Preis hängt vor allem von der Gesundheit des Tiers ab.
Wie lang dauert die Karriere eines erfolgreichen Pferds?
Bei uns gibt das Pferd das Tempo der Ausbildung vor, wir setzen auf die Langlebigkeit, ein Lipizzaner kann auch nach 25 Jahren noch bei einer Vorführung gezeigt werden. Rennpferde haben eine sehr kurze Karriere, sie sind mit fünf Jahren bereits auf dem Höhepunkt und bauen schneller ab.
Hatten Sie auch Tuniersport-Ambitionen?
Früher bin ich mehr in diese Richtung gegangen, mittlerweile trainiere ich Florian Bacher, der ein ehemaliger Kollege von mir ist, mit ihm war ich auch bei den Olympischen Spielen in Tokio. Wir hoffen, dass wir die Qualifikation für Paris schaffen.
Wie viele Frauen arbeiten in der Hofreitschule?
Seit 2007 haben wir uns auch für Mitarbeiterinnen in der Reitbahn geöffnet, und mittlerweile sind 99 von 100 Bewerbern Frauen. Es gibt anscheinend kaum mehr Burschen, die diese Arbeit machen wollen.
Wird die Spanische Hofreitschule in Zukunft zu einem Frauenbetrieb?
Wenn es so weitergeht, ja. Wir freuen uns natürlich immer über Burschen, die offen sind für diese besondere Karriere, aber wie gesagt, es werden immer weniger.
Warum wollen so wenige Männer reiten?
Ich habe keine Ahnung, wenn man in einen Reitstall schaut, sind es fast nur noch Frauen. Es ist schwer zu erklären, warum es diese ein, zwei Burschen pro Jahr bei uns nicht mehr gibt.