Klimaklagen: Zwischen PR und Gerechtigkeit
Eine Runde von Fachleuten diskutierte, inwieweit Klagen und Beschwerden der Durchsetzung politischer Anliegen dienen können.
Die Debatte um den Klimawandel wird zunehmend vor den Gerichten ausgefochten. Jugendliche wollen mit „Klimaklagen“die Staaten zu einer stärkeren Reduktion der CO2-Emissionen verpflichten. Seniorinnen strengen Verfahren an, damit Klimaschutz zu einem Menschenrecht wird. Vom Klimawandel Betroffene klagen Energie- und Industrieunternehmen auf Schadenersatz. Wie solche Klagen als politisches Mittel dienen können, damit befasste sich das vergangene Rechtspanorama am Juridicum in Wien.
„Die Bekämpfung des Klimawandels ist ein Hauptschlachtfeld der strategischen Prozessführung“, sagte Michael Lysander Fremuth, Professor für Grund- und Menschenrechte an der Uni Wien. In Österreich und der Schweiz würden solche Klimaverfahren bisher nicht sonderlich erfolgreich geführt werden. In den Niederlanden konnten sich Klimaaktivisten vor den Gerichten hingegen schon mehrfach durchsetzen.
Ende 2019 hat das Oberste Gericht in Den Haag die niederländische Regierung verurteilt, die Treibhausgasemissionen stark zu reduzieren. Die Klage von Umweltschützern gegen den Öl- und Erdgaskonzern Shell vor einem Bezirksgericht in Den Haag war im Jahr 2021 ebenfalls erfolgreich: Es urteilte, dass der Konzern seine CO2-Emmissionen ebenfalls drastisch reduzieren muss.
Entscheidend könnten nun drei weitere Verfahren sein, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängig sind. So hat eine Gruppe junger Portugiesen mehrere Staaten wegen unzureichender Bemühungen gegen den Klimawandel geklagt, darunter Österreich. Seniorinnen haben sich zudem beim EGMR beschwert, dass die Schweiz zu wenig gegen den Klimawandel unternehme und dadurch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße.
Die Entscheidungen des EGMR dazu sollen bald fallen. „Davon könnte eine Orientierungswirkung für den ganzen Konventionsraum ausgehen“, sagt Fremuth. Der Jurist glaubt jedoch, dass der EGMR hier keine Konventionsverletzung durch die beklagten Staaten feststellen werde: „Einige Leute könnten enttäuscht werden.“In seiner bisherigen umweltrechtlichen Judikatur habe das europäische Höchstgericht den Staaten nämlich einen sehr weiten Ermessensspielraum zugestanden, sagte Fremuth.
Doch steht bei den von Klimaaktivisten angestrengten Verfahren nicht unbedingt immer der juristische Erfolg im Fokus. „Es geht hier eigentlich gar nicht primär um den Sieg im Gerichtssaal, sondern um die Herstellung von Öffentlichkeit“, sagt Burkhard Hess, Professor für Zivilverfahrensrecht an der Universität Wien. Oft solle bei den Gerichtsverfahren einem allgemeinen Anliegen „ein individuelles Gesicht gegeben“werden.
Inselbewohner klagen Zementkonzern
So im Fall von vier Menschen, die auf der indonesischen Insel Pari leben. Sie befürchten, dass ihre Insel infolge des Klimawandels und steigenden Meeresspiegels überflutet werden könnte. In der Schweiz haben sie den Zementhersteller Holcim unter anderem auf Schadenersatz geklagt. Denn dieser sei mit seinem hohen CO2-Ausstoß für den Klimawandel mitverantwortlich.
Bei solchen strategischen Klagen würden „Einzelne vorgeschoben werden, dahinter steht aber eine Organisation, die den ganzen Prozess organisiert, finanziert und sehr professionell durchführt“, sagte Hess. Hier könnten dadurch letztlich ähnliche Probleme wie bei der Prozessfinanzierung auftreten: „Der Einzelne wird zwar als Vehikel benutzt. Das Individualanliegen tritt aber fast schon wieder zurück hinter das Interesse desjenigen, der das Verfahren im Allgemeininteresse initiiert hat“, sagte der Jurist.
Auch wenn es bei Klagen wie jener der vier Inselbewohner aus Pari „sehr viele Begleitgeräusche gebe“, sollten sie die Gerichte „als ganz gewöhnliche Zivilklagen“behandeln, forderte Tanja Domej, aus Österreich stammende Professorin für Zivilverfahrensrecht und Privatrecht an der Uni Zürich. Manche würden zwar meinen, dass nur das öffentliche Recht exklusiv „die Fragen von Klimawandel und Klimaschutz“regeln sollte. „Diese Meinung teile ich aber nicht“, sagte Domej.
„Ein Anstoß für Lösungen“
Bisher sei noch weitgehend ungeklärt, welche privatrechtlichen Ansprüche bei klimaschädlichen Emissionen bestehen können, sagte Domej. „Aber das ist kein Grund, diese Klagen für unzulässig zu halten.“
Das Problem des Klimawandels lasse sich zwar natürlich nicht über das Privatrecht lösen, sagte Domej. „Aber Zivilprozesse waren schon öfters ein Anstoß dafür, dass solche Probleme gelöst wurden oder zumindest näher an eine Lösung kamen.“Sie verwies dabei auf Restitutionsprozesse oder Prozesse wegen Asbestschäden. Auch wenn Aktivisten im Prozess dann letztlich unterliegen würden, könnten sie trotzdem gewinnen, etwa dadurch, „dass sie herausarbeiten, dass die Rechtslage defizitär ist“.
Ob und wie man gerichtlich gegen Klimaaktivisten und ihre Anliegen vorgeht, ist für das betroffene Unternehmen oder die betroffene Gebietskörperschaft oft eine Gratwanderung. Darauf machte Kommunikationsexpertin Saskia Wallner, CEO bei Ketchum Österreich, aufmerksam. Sie verwies beispielsweise auf die Causa Lobau-Tunnel, bei der die Stadt Wien sich dafür entschied, die Gegner des Infrastrukturprojekts zu klagen, darunter waren auch Kinder und Jugendliche.
Das sei „keine so gute Idee“gewesen, denn wer Kinder und Jugendliche klage, „hat niemals die Sympathien auf seiner Seite“, sagte Wallner. Das habe dann letztlich auch die Stadt Wien eingesehen und die Klagen gegen die Kinder und Jugendlichen zurückgezogen und nur mehr die Erwachsenen geklagt, sagte Wallner.
Wollen Aktivisten oder NGOs ihre politischen Anliegen vor Gericht bringen, ist Österreich im internationalen Vergleich derzeit bisher nicht der ideale Ort dafür. „Österreich ist als Rechtsstandort derzeit nicht besonders attraktiv für die Durchsetzung solcher Anliegen“, sagte Bettina Knötzl, Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien. Das liege vor allem an den sehr hohen Pauschalgebühren,
die hierzulande bei Gerichtsverfahren verlangt werden. Wirklich großen Schadenersatz zu erlangen, könne in Österreich daher sehr teuer werden, schilderte Rechtsanwältin Knötzl. Daher sei Österreich beim sogenannten „Forum Shopping“, bei dem sich der Kläger international aussucht, in welchem Land er seinen Gegner klagt, nicht die erste Wahl.
‘‘ Es geht hier eigentlich gar nicht primär um den Sieg im Gerichtssaal, sondern um die Herstellung von Öffentlichkeit. Burkhard Hess Professor für Zivilverfahrensrecht