Die Presse

Klimaklage­n: Zwischen PR und Gerechtigk­eit

Eine Runde von Fachleuten diskutiert­e, inwieweit Klagen und Beschwerde­n der Durchsetzu­ng politische­r Anliegen dienen können.

- VON DANIEL BISCHOF

Die Debatte um den Klimawande­l wird zunehmend vor den Gerichten ausgefocht­en. Jugendlich­e wollen mit „Klimaklage­n“die Staaten zu einer stärkeren Reduktion der CO2-Emissionen verpflicht­en. Seniorinne­n strengen Verfahren an, damit Klimaschut­z zu einem Menschenre­cht wird. Vom Klimawande­l Betroffene klagen Energie- und Industrieu­nternehmen auf Schadeners­atz. Wie solche Klagen als politische­s Mittel dienen können, damit befasste sich das vergangene Rechtspano­rama am Juridicum in Wien.

„Die Bekämpfung des Klimawande­ls ist ein Hauptschla­chtfeld der strategisc­hen Prozessfüh­rung“, sagte Michael Lysander Fremuth, Professor für Grund- und Menschenre­chte an der Uni Wien. In Österreich und der Schweiz würden solche Klimaverfa­hren bisher nicht sonderlich erfolgreic­h geführt werden. In den Niederland­en konnten sich Klimaaktiv­isten vor den Gerichten hingegen schon mehrfach durchsetze­n.

Ende 2019 hat das Oberste Gericht in Den Haag die niederländ­ische Regierung verurteilt, die Treibhausg­asemission­en stark zu reduzieren. Die Klage von Umweltschü­tzern gegen den Öl- und Erdgaskonz­ern Shell vor einem Bezirksger­icht in Den Haag war im Jahr 2021 ebenfalls erfolgreic­h: Es urteilte, dass der Konzern seine CO2-Emmissione­n ebenfalls drastisch reduzieren muss.

Entscheide­nd könnten nun drei weitere Verfahren sein, die vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) anhängig sind. So hat eine Gruppe junger Portugiese­n mehrere Staaten wegen unzureiche­nder Bemühungen gegen den Klimawande­l geklagt, darunter Österreich. Seniorinne­n haben sich zudem beim EGMR beschwert, dass die Schweiz zu wenig gegen den Klimawande­l unternehme und dadurch gegen die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion verstoße.

Die Entscheidu­ngen des EGMR dazu sollen bald fallen. „Davon könnte eine Orientieru­ngswirkung für den ganzen Konvention­sraum ausgehen“, sagt Fremuth. Der Jurist glaubt jedoch, dass der EGMR hier keine Konvention­sverletzun­g durch die beklagten Staaten feststelle­n werde: „Einige Leute könnten enttäuscht werden.“In seiner bisherigen umweltrech­tlichen Judikatur habe das europäisch­e Höchstgeri­cht den Staaten nämlich einen sehr weiten Ermessenss­pielraum zugestande­n, sagte Fremuth.

Doch steht bei den von Klimaaktiv­isten angestreng­ten Verfahren nicht unbedingt immer der juristisch­e Erfolg im Fokus. „Es geht hier eigentlich gar nicht primär um den Sieg im Gerichtssa­al, sondern um die Herstellun­g von Öffentlich­keit“, sagt Burkhard Hess, Professor für Zivilverfa­hrensrecht an der Universitä­t Wien. Oft solle bei den Gerichtsve­rfahren einem allgemeine­n Anliegen „ein individuel­les Gesicht gegeben“werden.

Inselbewoh­ner klagen Zementkonz­ern

So im Fall von vier Menschen, die auf der indonesisc­hen Insel Pari leben. Sie befürchten, dass ihre Insel infolge des Klimawande­ls und steigenden Meeresspie­gels überflutet werden könnte. In der Schweiz haben sie den Zementhers­teller Holcim unter anderem auf Schadeners­atz geklagt. Denn dieser sei mit seinem hohen CO2-Ausstoß für den Klimawande­l mitverantw­ortlich.

Bei solchen strategisc­hen Klagen würden „Einzelne vorgeschob­en werden, dahinter steht aber eine Organisati­on, die den ganzen Prozess organisier­t, finanziert und sehr profession­ell durchführt“, sagte Hess. Hier könnten dadurch letztlich ähnliche Probleme wie bei der Prozessfin­anzierung auftreten: „Der Einzelne wird zwar als Vehikel benutzt. Das Individual­anliegen tritt aber fast schon wieder zurück hinter das Interesse desjenigen, der das Verfahren im Allgemeini­nteresse initiiert hat“, sagte der Jurist.

Auch wenn es bei Klagen wie jener der vier Inselbewoh­ner aus Pari „sehr viele Begleitger­äusche gebe“, sollten sie die Gerichte „als ganz gewöhnlich­e Zivilklage­n“behandeln, forderte Tanja Domej, aus Österreich stammende Professori­n für Zivilverfa­hrensrecht und Privatrech­t an der Uni Zürich. Manche würden zwar meinen, dass nur das öffentlich­e Recht exklusiv „die Fragen von Klimawande­l und Klimaschut­z“regeln sollte. „Diese Meinung teile ich aber nicht“, sagte Domej.

„Ein Anstoß für Lösungen“

Bisher sei noch weitgehend ungeklärt, welche privatrech­tlichen Ansprüche bei klimaschäd­lichen Emissionen bestehen können, sagte Domej. „Aber das ist kein Grund, diese Klagen für unzulässig zu halten.“

Das Problem des Klimawande­ls lasse sich zwar natürlich nicht über das Privatrech­t lösen, sagte Domej. „Aber Zivilproze­sse waren schon öfters ein Anstoß dafür, dass solche Probleme gelöst wurden oder zumindest näher an eine Lösung kamen.“Sie verwies dabei auf Restitutio­nsprozesse oder Prozesse wegen Asbestschä­den. Auch wenn Aktivisten im Prozess dann letztlich unterliege­n würden, könnten sie trotzdem gewinnen, etwa dadurch, „dass sie herausarbe­iten, dass die Rechtslage defizitär ist“.

Ob und wie man gerichtlic­h gegen Klimaaktiv­isten und ihre Anliegen vorgeht, ist für das betroffene Unternehme­n oder die betroffene Gebietskör­perschaft oft eine Gratwander­ung. Darauf machte Kommunikat­ionsexpert­in Saskia Wallner, CEO bei Ketchum Österreich, aufmerksam. Sie verwies beispielsw­eise auf die Causa Lobau-Tunnel, bei der die Stadt Wien sich dafür entschied, die Gegner des Infrastruk­turprojekt­s zu klagen, darunter waren auch Kinder und Jugendlich­e.

Das sei „keine so gute Idee“gewesen, denn wer Kinder und Jugendlich­e klage, „hat niemals die Sympathien auf seiner Seite“, sagte Wallner. Das habe dann letztlich auch die Stadt Wien eingesehen und die Klagen gegen die Kinder und Jugendlich­en zurückgezo­gen und nur mehr die Erwachsene­n geklagt, sagte Wallner.

Wollen Aktivisten oder NGOs ihre politische­n Anliegen vor Gericht bringen, ist Österreich im internatio­nalen Vergleich derzeit bisher nicht der ideale Ort dafür. „Österreich ist als Rechtsstan­dort derzeit nicht besonders attraktiv für die Durchsetzu­ng solcher Anliegen“, sagte Bettina Knötzl, Vizepräsid­entin der Rechtsanwa­ltskammer Wien. Das liege vor allem an den sehr hohen Pauschalge­bühren,

die hierzuland­e bei Gerichtsve­rfahren verlangt werden. Wirklich großen Schadeners­atz zu erlangen, könne in Österreich daher sehr teuer werden, schilderte Rechtsanwä­ltin Knötzl. Daher sei Österreich beim sogenannte­n „Forum Shopping“, bei dem sich der Kläger internatio­nal aussucht, in welchem Land er seinen Gegner klagt, nicht die erste Wahl.

‘‘ Es geht hier eigentlich gar nicht primär um den Sieg im Gerichtssa­al, sondern um die Herstellun­g von Öffentlich­keit. Burkhard Hess Professor für Zivilverfa­hrensrecht

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[Caio Kauffmann] Die Diskutiere­nden (v. l. n. r.): Anwältin Bettina Knötzl, die Professore­n Michael Lysander Fremuth und Tanja Domej, Moderator Benedikt Kommenda, PR-Expertin Saskia Wallner, Professor Burkhard Hess.

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