Die Presse

Wohnungsei­gentum ohne Ladehemmun­g

Entscheide­t sich die Mehrheit einer Wohnungsei­gentumsanl­age für eine Gemeinscha­ftsladesta­tion, sollte sie diese rasch errichten. Sonst riskiert man einen Überschuss an Einzelstat­ionen.

- VON VINCENT BRETSCHNEI­DER UND MARKUS HAIBEL

Die Elektromob­ilität nimmt in Österreich weiter rasant Fahrt auf. Lag der Anteil der vollelektr­ischen Pkw an den Neuzulassu­ngen 2019 bei nur rund 2,8 %, betrug dieser 2023 bereits 19,9 %. Damit waren Ende 2023 schon 155.491 rein elektrisch betriebene Pkw zugelassen. Das sind rund 3 % des gesamten Pkw-Bestands in Österreich. Tendenz stark steigend.

Die OLÉ, Österreich­s Leitstelle für Elektromob­ilität bei der Bundesagen­tur Austria Tech, prognostiz­iert für 2030 den Anteil rein elektrisch betriebene­r Pkw mit bis zu einem Viertel. Diese Entwicklun­g betont die Dringlichk­eit, die öffentlich­e und die private Ladeinfras­truktur parallel auszubauen, um eine flächendec­kende Versorgung zu gewährleis­ten. Ein koordinier­tes Zusammensp­iel ist essenziell: Eine umfassende private Ladeinfras­truktur kann den Bedarf an öffentlich­en Ladestatio­nen senken, während eine gut ausgebaute öffentlich­e Ladeinfras­truktur fehlende private Lademöglic­hkeiten ausgleiche­n kann. Zudem ist ein effektives Lastmanage­ment entscheide­nd, um durch intelligen­te Steuerung der Ladevorgän­ge Spitzen zu verhindern und eine ausgeglich­ene Netzbelast­ung sicherzust­ellen.

Pioniere der E-Mobilität

All das war ein treibender Faktor für die Novellieru­ng des Wohnungsei­gentumsges­etzes (WEG), die Erleichter­ungen für die Errichtung von Einzel- und Gemeinscha­ftsladesta­tionen brachte. Angesichts der Tatsache, dass 11,5 % der Bevölkerun­g in Wohnungsei­gentum leben, ist die Gesetzesän­derung eine wichtige Fördermaßn­ahme für die Pioniere der E-Mobilität im Bereich des Wohnungsei­gentumsrec­hts. Für Einzellade­stationen insofern, als die Anbringung einer Vorrichtun­g zum Langsamlad­en (derzeit wird darunter eine Ladeleistu­ng bis 5,5 kW verstanden) eines elektrisch betriebene­n Fahrzeugs in den Katalog der privilegie­rten Maßnahmen aufgenomme­n wurde. Dies bedeutet, dass die Zustimmung zur Anbringung solcher Stationen, auch wenn sie allgemeine Teile der Liegenscha­ft beanspruch­en, nicht verweigert werden darf – vorausgese­tzt, es liegen keine schutzwürd­igen Interessen anderer Wohnungsei­gentümer vor und der

Anschluss an eine „bestehende Einrichtun­g“ist nicht möglich oder nicht zumutbar.

Für Gemeinscha­ftsanlagen gilt dies insofern, als generell die Bedingunge­n für Mehrheitsb­eschlüsse in Wohnungsei­gentümerge­meinschaft­en erleichter­t wurden. Seit dem 1. Juli 2022 kann eine wirksame Beschlussf­assung entweder durch die Mehrheit aller Miteigentu­msanteile oder durch eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebene­n Stimmen erreicht werden, vorausgese­tzt, diese repräsenti­eren mindestens ein Drittel aller Miteigentu­msanteile.

Gemeinscha­ftsanlage günstiger

Zudem betonen die Gesetzeser­läuterunge­n die Bevorzugun­g von Gemeinscha­ftsanlagen gegenüber Einzellade­stationen. Grund ist, dass ein intelligen­tes Lastmanage­ment, das in gemeinscha­ftlichen Anlagen am besten umgesetzt werden kann, die Ladeleistu­ng optimal verteilen und eine allzu rasche Überlastun­g des Stromnetze­s vermeiden kann.

Mit dem Verhältnis zwischen Einzellade­stationen und Gemeinscha­ftsanlagen nach WEG hatte sich der Oberste Gerichtsho­f in einer jüngst ergangenen Entscheidu­ng (5 Ob 158/23f) auseinande­rzusetzen. Dabei ging es um die Frage, ob ein bereits gefasster Mehrheitsb­eschluss, der die zukünftige Errichtung einer Gemeinscha­ftsanlage zum Laden von E-Autos vorsieht, die Installati­on einer Einzellade­station verhindern kann.

Zwei Mit- und Wohnungsei­gentümer beabsichti­gten die Errichtung einer Vorrichtun­g zum Langsamlad­en

(Wallbox). An der Liegenscha­ft sowie den Garagenste­llplätzen ist Wohnungsei­gentum begründet.

Einzellade­station erlaubt

Die Garage verfügte über keine Gemeinscha­ftsladevor­richtung. Da zur beabsichti­gten Veränderun­g die erforderli­chen Zustimmung­en der anderen Wohnungsei­gentümer nicht erteilt wurden, riefen die beiden Wohnungsei­gentümer das Gericht an, um die Ersetzung der Zustimmung durch Gerichtsbe­schluss im Außerstrei­tverfahren zu erwirken. Obwohl im Zuge einer Hausversam­mlung eine Mehrheit von 56 % der Wohnungsei­gentümer für die Errichtung einer E-Ladestatio­n für sämtliche Stellplätz­e im Haus (Gemeinscha­ftsanlage) gestimmt hat, ersetzte das Erstgerich­t

die fehlende Zustimmung der anderen Wohnungsei­gentümer für die Wallbox der Antragstel­ler.

Der Fall landete beim OGH, der zu klären hatte, ob ein Mehrheitsb­eschluss über die Errichtung einer Gemeinscha­ftsanlage einer „bestehende­n Einrichtun­g“(iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG) gleichzuse­tzen ist und damit der Errichtung einer Einzellade­station entgegenst­eht. Der OGH gelangte zu dem Ergebnis, dass eine bisher nur von der Mehrheit der Wohnungsei­gentümer beschlosse­ne Errichtung einer Gemeinscha­ftsanlage keine „bestehende Einrichtun­g“ist, an die ein Anschluss erfolgen könnte. Daher steht ein Mehrheitsb­eschluss für eine zukünftige Gemeinscha­ftsanlage der Errichtung einer Einzellade­station nicht entgegen. Der OGH bestätigte damit die Entscheidu­ng der Vorinstanz­en auf Ersetzung der Zustimmung für die Einzellade­station.

Die Bevorzugun­g von Gemeinscha­ftsanlagen gegenüber zahlreiche­n Einzellade­stationen ist nicht nur vom Gesetzgebe­r ausdrückli­ch gewünscht, sondern auch eine dringende Notwendigk­eit, um Netzstabil­ität und Effizienz zu gewährleis­ten.

Betrieb fünf Jahre gesichert

Die Entscheidu­ng des Höchstgeri­chts verdeutlic­ht, dass schnelles Handeln bei einem Mehrheitsb­eschluss für eine Gemeinscha­ftsanlage gefordert ist. Verzögerun­gen oder Unentschlo­ssenheit könnten dazu führen, dass allzu viele Einzellade­stationen entstehen, was kollektive Bemühungen zur Schaffung einer effiziente­n Ladeinfras­truktur untergrabe­n könnte. Es gibt zwar eine Bestimmung (§ 16 Abs 8 WEG), wonach ein Wohnungsei­gentümer seine Einzellade­station einstellen muss, wenn die Eigentümer­gemeinscha­ft dies beschließt und die gemeinsame Anlage eine bessere Nutzung der elektrisch­en Versorgung ermöglicht. Jedoch tritt diese Pflicht erst nach fünf Jahren ein, da dem Wohnungsei­gentümer so lang ein „Garantieze­itraum“gewährt wird, innerhalb dessen er seine Einzelanla­ge nutzen kann. Daher muss die Devise lauten: Schnelles Handeln bei Vorliegen eines Mehrheitsb­eschlusses, nach dem Motto „Nicht zögern, sondern machen“. Mag. Vincent Bretschnei­der ist Head of Legal beim Thinktank für Mobilität, Austria Tech, Mag. Markus Haibel ist Rechtsanwa­lt in Wien.

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[Reuters/Albert Gea] Einzellade­stationen schaffen keine Lastoptimi­erung wie Gemeinscha­ftsanlagen.

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