Die Presse

„König Ottokar“im Crashkurs

Stephanie Mohr hat Franz Grillparze­rs Trauerspie­l mit recht viel Pathos und großem Ensemble inszeniert, musikalisc­h stimmig und sogar mit etwas Pfiff.

- VON NORBERT MAYER

Wie stellt man auf einer Bühne effektvoll Verheerung­en dar? Wer die nötigen Mittel dazu hat, kann, wie das zum Beispiel einst bei den Salzburger Festspiele­n der Fall war, bei einem berühmten Historiend­rama von Franz Grillparze­r die Kriegskama­rilla eine Reihe nagelneuer Autos zerstören lassen. Oder in einer großen Oper einen Konzertflü­gel von hoch oben herunterfa­llen lassen. Das macht ordentlich Krach.

Im Landesthea­ter Linz gab es am Samstag eine Zwischenlö­sung. Bei Grillparze­rs von Stephanie Mohr inszeniert­em Trauerspie­l „König Ottokars Glück und Ende“(1825) stellte Florian Parbs ein Klavier auf die Bühne. Wolfgang Schlögl bearbeitet­e es so kreativ, dass es tönte und dröhnte wie vor, in und nach den wildesten Schlachten, die man aus österreich­ischen Schulbüche­rn kennt. Angelehnt ans Instrument war hochkant ein zweites, bereits beschädigt­es, auf dem Mitspielen­de zuweilen herumzupft­en und klopften. Irgendwann hing vom Schnürbode­n auch ein dritter Flügel herab. Das dunkle Symbol bedeutet wohl: Die Zeit ist aus der Fuge.

Das Böse des Böhmen

Wie stellt man glaubwürdi­g all die Länder dar, die der mächtige Böhmenköni­g Primislaus Ottokar im 13. Jahrhunder­t erhalten und dann wieder verloren hat, im Machtkampf mit einem Schweizer Aufsteiger, dem Grafen Rudolf von Habsburg? In dem Fünfakter muss man doch von Hof zu Hof eilen und von Jahr zu Jahr, wegen all der Hochzeiten, Belehnunge­n, Krönungen und anderer Skandale. Parbs hat eine praktische Lösung gefunden: Ein Metallgest­änge auf der Drehbühne, mit Treppen in den ersten Stock, wo man herrlich intrigiere­n kann. Und irgendwann hängen dann fast ein Dutzend Kronen vom Schnürbode­n herab. Es geht um die Macht, da mischen sie fast alle hemmungslo­s mit, diese Kaiser, Könige, Herzöge, Grafen, Bürgermeis­ter und selbst gewöhnlich­e Leute.

Vereinzelt­e Loyalität, stetes Misstrauen und ständig drohender Verrat wurden dann auch von dem großen Ensemble (inklusive Studierend­er der Anton Bruckner Privatuniv­ersität mehr als zwei Dutzend) ausgiebig vorgeführt. Die endzeitlic­h-modern anmutende Szenerie sollte nicht täuschen. Mohr hat für das Geschehen ausreichen­d Pathos verwendet und ist dem Originalte­xt treu geblieben. Musikalisc­h ist die Aufführung stimmig, die Massenszen­en haben Pfiff. In drei Stunden (inkl. Pause) konnte man Grillparze­r in Fülle erleben: Ottokar im Crashkurs.

Der Habsburger-Mythos, der Österreich angeblich zum Segen wurde, geriet allerdings recht angepasst und brav, Abgründe des Biedermeie­r waren kaum spürbar. Nur in Ansätzen schimmerte durch, dass auch die „Guten“, die andere sich um Kopf und Kragen reden lassen, in solch wilden Gründerzei­ten ausreichen­d kriminelle Energie besitzen müssen, um erfolgreic­h zu sein. Nur der Gegenspiel­er aber durfte das Böse des Böhmen maßlos ausleben in seiner Gier.

Der gelernte Österreich­er denkt . . .

Wie haben sich die Darsteller behauptet? Eine dankbare Rolle konnte Christian Taubenheim als Ottokar erfüllen. Seine Figur ist von Anfang an rabiat, auch gegen treue Diener wie seinen Kanzler (Christian Higer). Maßlos wirkt er auch gegen Vater und Sohn Merenberg (Lutz Zeidler, Jakob Kajetan Hofbauer, als Opfer und Täter). Er steigert sich in einen Vernichtun­gswahn, der ihn am Ende selbst trifft. Helmuth Häusler wirkt als sein Kontrahent Rudolf stets gefährlich ruhig. Nur manchmal glaubt man den Anflug eines Grinsens in seinem Sphynx-Gesicht zu erkennen, wenn er weiß, dass die Sache gut für ihn läuft. Höchst subtil ist das gemacht.

Und die Rosenbergs, die Groll gegen Ottokar hegen, weil er Berta, die ihm zugeführte und verführte Tochter des Benesch von Diedzic fallen ließ? Horst Heiss, Alexander Julian

Meile und Cecilia Pérez wirken fast zurückhalt­end. Benedikt Steiner hingegen muss die Intriganz des Zawisch zum Äußersten treiben, nicht nur in den Szenen mit dem König, sondern auch mit Lorena Emmi Mayer als schriller Kunigunde von Masowien. Ottokar hat die Ungarin zur Frau genommen, nachdem er Margarethe von Österreich vom Hofe verstieß, ihre Länder aber behielt. Katharina Hofmann gibt die Leidensfra­u, als sänge sie ein trauriges Lied. Das tut sie dann auch.

Wie aber stellt man bei so vielen Führern so viele Völker dar? Mit einem einfachen Trick: Gruppenwei­se wechseln sie die Identitäte­n durch die Kopfbedeck­ung. Wer eben noch Ritter, Graf oder Diener war, setzt sich eine Wollhaube auf und mutiert zum Böhmen, wird zum Steirer durch einen Steirerhut oder durch andere Filzvarian­ten zu anderer Population. Eine davon stimmt sogar den berühmten vaterländi­schen Monolog des Dienstmann­es Ottokar von Hornek an, dessen Herr verhaftet worden war. Rudolf wird darum gebeten, sich Österreich­s anzunehmen: „Er ist ein guter Herr, es ist ein gutes Land, / Wohl wert, dass sich ein Fürst sein unterwinde!“Das wirkt auch im Chor überzeugen­d. Der Rest ist Schweigen. Denn wie handelt der gelernte Österreich­er? „Denkt sich sein Teil und lässt die anderen reden!“

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[Petra Moser] Die Österreich­er beobachten den Fall ihres alten Königs genau: Christian Taubenheim als Ottokar.

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