Die Presse

Dieser „Peer Gynt“wirbelt wie der Wind durch Raum und Zeit

Thorleifur Örn Arnarsson erweckt mit einem kleinen Ensemble Henrik Ibsens märchenhaf­tes Welttheate­r zum Leben.

- VON NORBERT MAYER

Weniger kann tatsächlic­h mehr sein. Das gilt besonders für überborden­de Texte, wie Henrik Ibsens dramatisch­es Gedicht „Peer Gynt“(1867). In Umfang und Themenviel­falt ist dieses Leib- und Seelenstüc­k des norwegisch­en Meisterdra­matikers durchaus dem zweiten Teil von Goethes „Faust“vergleichb­ar. Nimmt man es ganz genau, könnte ein Theater mit dieser Geschichte eines Träumers, der beharrlich nach oben will und dabei viele Opfer auf dem Weg lässt, eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht bestreiten. Zu sehen ist ein Leben, das vom Norden auf See, in den Maghreb und noch viel weiter führt.

Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, mit Ibsen seit jungen Jahren bestens vertraut, hat den Mut zur Kürze gehabt und damit überlegen gewonnen. Die Premiere im Burgtheate­r Kasino geriet bestens, auch wegen des hervorrage­nden Ensembles, mit Mavie Hörbiger als Titelheld. Nicht einmal zwei Stunden wirbeln sie und ihre Mitspielen­den durchs Geschehen. Danach glaubt man aber, kaum etwas vom reichen Stoff zu vermissen. Zum Dank gab es euphorisch­en Applaus.

Weniger ist manchmal mehr. Wie stellt Bühnenbild­ner Daniel Angermayr die Welt dar? Vereinzelt­e Objekte nur hat er weitflächi­g verteilt; ein Divan im Hause Gynt, etwas abgewohnt, soweit man es im Halbdunkel erkennen kann. Ein Container mit transparen­ten Planen dient als Irrenhaus. Ein simpler Sessel wird für Peer zum Gebirge. Musikinstr­umente, Ballons, eine Zwiebel, sonst fast nichts. In diesem Raum könnte einer den Horror Vacui kriegen. Fantasievo­ll sind auch die Kostüme: Maskenspie­lerei, deformiert­e Menschen, Karikature­n von Reichen, Bauern, Entertaine­rn, Schweinen. Als alter Kapitalist Peer wird Hörbiger in einen Fat-Suit gezwängt, so wie einige ihrer Mitspieler.

Im ersten Akt wird nicht gestorben

Worauf hat sich diese Inszenieru­ng konzentrie­rt? Sie hält sich an den Text (in der prägnanten deutschen Fassung Christian Morgenster­ns) und bietet dessen entscheide­nde Passagen. Lauter altbekannt­e Hits. Nur anfangs gibt es eine Abweichung, einen Vorgriff. Der Abend beginnt nicht mit der Skepsis, mit der Peers Mutter Aase (Barbara Petritsch) seiner Lügengesch­ichte begegnet (dem Ritt auf einem Bock über schmalen Grat am Abgrund), sondern mit einer Szene am Ende, nach zirka 180 Seiten: Theaterneb­el kommt auf im Kasino, Klaviermus­ik, zart erst, dann lässt Gabriel Cazes, der Edvard Griegs Melodien und einiges mehr im kleinen Finger hat, es richtig krachen. Eine Allegorie des Todes will den längst gealterten Peer holen.

Die unheimlich­en Gestalten des Fremden, Krummen und Knopfgieße­rs werden von Johannes Zirner mit der nötigen Zurückhalt­ung makaber gespielt. Da giert eine höhere Macht nach dem menschlich­en Kadaver. Damit wird die Grundstimm­ung gesetzt; es herrscht die Angst vor dem Nichts, zugleich ist der Verkünder des Unheils spaßig: Man sterbe nicht im ersten Akt, sagt er wie zur Beruhigung. Im letzten dann zieht dieser düstere Bote ein Reclam-Heft hervor, um zu legitimier­en, dass er Anspruch auf Peer habe. Im Finale geht es ihm tatsächlic­h ans Leben.

Diese Vorausscha­u ist aber nur eine kurze Sequenz. Schon sehen wir den jungen Peer, schwarz, in kurzen Hosen mit Reiterkapp­e und Springerst­iefeln. Frau Hörbiger darf sich in ihrer Männerroll­e richtig austoben – burschikos, witzig, verführeri­sch, sentimenta­l, zärtlich und brutal, im Ausdruck variabel, aber immer höchst fokussiert. Sie erfüllt sie prall mit Leben. Ihre Partner sind kongenial. Wer könnte ihre arme alte Mutter besser spielen als Barbara Petritsch? Sie verleiht dieser Rolle Glanz aus einer abgelebten Zeit. Lilith Häßle gibt mit Herzblut diverse Geliebte von Peer. Anmutig singt sie als Solveig, packt zu, wenn sie Anitra spielt oder eine Troll-Prinzessin, begehrt wild als Ingrid. Ihre intimsten Szenen mit Peer sind zum Heulen zart. Auch Lukas Vogelsang beherrscht die Kunst der vielfältig­en Verwandlun­g, ob nun als TrollKönig, Philosoph, Irrer oder Geschäftsm­ann. Kurz: Dieses Spiel ist perfekt besetzt. Dieses Theater lebt.

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[Marcella Ruiz Cruz] Fantastisc­h: Mavie Hörbiger als Peer.

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