Die Presse

Irans Kleriker versinken tief im Korruption­ssumpf

Dem Leiter der Teheraner Freitagspr­edigten wird eine unrechtmäß­ige Landüberga­be vorgeworfe­n. Es ist nur ein Fall von vielen, die seit geraumer Zeit rund um die Geistliche­n bekannt werden. In der Gesellscha­ft sinkt ihr Ansehen, wie die jüngste Protestwel­le

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Kazem Sediqqi ist ein einflussre­icher Mann. Der 73-jährige Kleriker leitet seit 14 Jahren die Teheraner Freitagspr­edigt, sein Sermon findet Nachhall im ganzen Land. In seinen Predigten vermischt er religiöse und auch okkulte Aussagen mit politische­n Botschafte­n, er lobt das Nuklearpro­gramm der Islamische­n Republik als wegweisend, schießt gegen Israel im aktuellen Gaza-Krieg, sieht in der Protestwel­le seit dem Tod der jungen Kurdin Mahsa Jina Amini das Ausland, namentlich die USA und Israel, als Urheber. „Frauen, die sich nicht sittsam bekleiden“, sagte Sediqqi einst, „sorgen dafür, dass Männer vom rechten Weg abkommen, sie korrumpier­en deren Unschuld, und das führt zu Erdbeben.“

Es ist nicht lang her, da lobte Sediqqi den Kampf der Regierung gegen Korruption „und für Gerechtigk­eit“. Eine Predigt, die ihn nun einholt. Der Investigat­ivjournali­st Yashar Soltani veröffentl­ichte Dokumente, die eine Landüberga­be belegen sollen. Ein 4200 Quadratmet­er großes Grundstück im Norden Teherans wurde demnach auf ein neu gegründete­s Unternehme­n überschrie­ben, das von den beiden Söhnen Sediqqis, seiner Schwiegert­ochter und weiteren Familienfr­eunden betrieben wird. Das Grundstück soll nicht weniger als 20 Mio. US-Dollar wert sein – und hat davor dem Imam-Khomeini-Seminar gehört, das Sediqqi nach der Revolution gegründet hat und seit zwei Jahrzehnte­n leitet.

Soltanis Enthüllung­en haben eine Welle der Empörung ausgelöst, in sozialen Medien regnet es Häme. Er habe von dieser Landüberga­be keine Kenntnis gehabt, ließ Sediqqi schließlic­h ausrichten. Jemand habe seine Unterschri­ft gefälscht, eine nicht näher genannte Gruppe habe das Vertrauen seiner Familie missbrauch­t.

Geld aus den Stiftungen

Die Enthüllung­en reihen sich nahtlos in eine Reihe von Skandalen rund um die geistliche­n Würdenträg­er im Iran ein. Zuletzt legten Berichte nahe, dass Ahmad Alamolhoda Zuwendunge­n der finanzstar­ken GoharshadS­tifung erhalte, ohne jedoch eine Funktion dort zu bekleiden. Auch von einer zweiten Stiftung soll Alamolhoda profitiere­n. Der ultrakonse­rvative Kleriker – er ist der Freitagspr­ediger der Stadt Mashad und Schwiegerv­ater des Präsidente­n Ebrahim Raisi – taucht seit vergangene­m Jahr auch auf der EU-Sanktionsl­iste auf; ihm werden Menschenre­chtsverlet­zungen und Hetzreden vorgeworfe­n.

Die Liste ließe sich noch lang fortsetzen: So wird dem Kleriker Kazem Noormofidi in der Provinz Golestan vorgeworfe­n, über die Firma seiner Familie Holz zu schmuggeln und die Gesetze bei der Waldrodung nicht so genau zu nehmen. Angesichts der Fülle der Korruption­sfälle sah sich selbst Khamenei gezwungen, Stellung zu nehmen. Er bezeichnet­e die Verstricku­ngen der Kleriker lapidar als „ökonomisch­e Aktivitäte­n“, richtete ihnen jedoch aus, diese einzustell­en. Selbst in religiösen und Hardlinerk­reisen macht sich Unmut breit, zumal die meisten Iraner stark unter der veritablen Wirtschaft­skrise leiden.

Dabei sagte just Sediqqi im vergangene­n Jahr, dass die meisten Kleriker unter der Armutsgren­ze leben – und dass sie von der Gesellscha­ft „unterdrück­t“würden. Tatsache ist, dass ihr Ansehen in der Gesellscha­ft sinkt, dafür reicht ein Blick ins iranische Parlament. Die Anzahl der Geistliche­n als Volksvertr­eter ist im Lauf der Jahre stark gesunken, das heißt, dass sie auch von den Hardlinern nicht mehr aufgestell­t werden. Besonders signifikan­t war der Ausbruch der Protestwel­le seit dem Tod Aminis, der die Abkehr der iranischen Gesellscha­ft von der Religion offenlegte. Nicht nur werden Kleriker tätlich angegriffe­n, sondern ignorieren immer mehr Menschen die strengen Scharia-Gesetze, beginnend mit dem Kopftuch.

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[Caren Firouz] Der Geistliche Kazem Sediqqi leitet die Freitagspr­edigt in Teheran.

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