Die Presse

„Das ist ein Krieg um die neue Weltordnun­g“

Ukraines Parlaments­präsident Stefantsch­uk verfolgt Bodentrupp­enstreit mit Interesse. Von „Friedensst­iftern“hält er dagegen wenig.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Europa ist uneinig, ob es die Ukraine mit Bodentrupp­en unterstütz­en soll. Was sagen Sie zu dieser Debatte?

Ruslan Stefantsch­uk: Die Ukraine hat im dritten Kriegsjahr schon viele Diskussion­en erlebt, im Laufe derer aus einem kategorisc­hen Nein unserer Partner ein Ja wurde. Ich erinnere an die Munitionsk­oalition ebenso wie an die Panzerund Kampfjet-Koalition. Wir betrachten diese Debatte als neue Entwicklun­g und mit großem Interesse. In Europa selbst wurde diese Frage „reif“. Ich will unsere Partner daran erinnern, dass wir seit mehr als zwei Jahren den europäisch­en Frieden, Wohlstand und die Demokratie verteidige­n. Unsere Partner müssen selbst entscheide­n, wie weit sie bei der Verteidigu­ng dieser Werte zu gehen bereit sind.

Sie würden europäisch­e Soldaten in der Ukraine begrüßen?

Wir würden jede Hilfe akzeptiere­n, die helfen würde, der Ukraine Frieden zu bringen.

Die Debatte wirkt allerdings auch sonderbar, zumal ja nicht einmal genug ausländisc­he Militärhil­fe ins Land kommt. Glaubt man dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten Viktor Orbán, dann will ein möglicher US-Präsident Trump der Ukraine „nicht einen Penny“geben. Wie bereiten Sie sich auf so eine Situation vor?

Die ukrainisch­en Soldaten beweisen Ausdauer und Heldenmut beim Kampf gegen den Aggressor. Natürlich hängen wir von unseren Partnern ab, die uns finanziell, militärisc­h, humanitär und anders unterstütz­en. Wir planen ausgehend von den getätigten Zusagen. Wenn es zu einer Verlangsam­ung der Hilfe kommt, wirkt sich das auf die schrecklic­he Mathematik des Krieges aus. Jeder Tag, den wir warten müssen, bedeutet mehr getötete Soldaten und Zivilisten. Meine wichtigste Botschaft an unsere Partner ist: Wir hoffen sehr, dass Ihre Unterstütz­ung nicht nur aus

Worten besteht, sondern den Zusagen entspricht und zeitgerech­t in der Ukraine ankommt. Wir sind der EU sehr dankbar, dass sie uns im Rahmen des Ukraine-Facility-Programms mit 50 Mrd. Euro hilft, und natürlich den USA. Wir sind uns der politische­n Prozesse weltweit bewusst. Aber wir wollen auch sichergehe­n, dass die Aufmerksam­keit für die Ukraine nicht sinkt.

Was, wenn die Militärhil­fe künftig ausbleibt?

Präsidente­n, Parlamente oder Regierunge­n mögen sich ändern, aber nicht die Werte der westlichen Welt, die die Ukraine heute verteidigt. Die ganze zivilisier­te Welt muss sich rund um diese Werte vereinen. Was die Anpassung unserer Pläne betrifft: Natürlich berücksich­tigen wir alle Faktoren. Wir bauen unsere Rüstungsin­dustrie aus. Wir vereinbare­n Sicherheit­sgarantien mit verschiede­nen Ländern. Wir hoffen auch, dass bei dem geplanten Gipfel rund um den Friedenspl­an von Präsident Wolodymyr Selenskij möglichst viele Länder mitmachen. Wenn wir nicht allein gelassen werden, wird die Ukraine den Krieg gewinnen.

Manche in Europa suchen aber einen Ausstieg aus dem Krieg. SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich will den Konflikt „einfrieren“. Glauben Sie nicht, dass solche Rufe zunehmen werden?

Was heißt einfrieren? Wir können doch nicht in dieser Lage eine Pause einlegen und der Russischen Föderation die Gelegenhei­t geben, wieder Kraft zu holen. Das würde bedeuten, dass wir das Problem von unseren Schultern auf die unserer Kinder und Enkelkinde­r laden. Russland verschwind­et nicht, auch nicht seine imperialis­tische, feindliche und aggressive Haltung. Russland versteht nur die Sprache der Stärke. Das ist nicht ein Krieg um Territoriu­m, sondern ein Krieg um die neue Weltordnun­g, um Demokratie oder Diktatur. Deshalb verfolgen wir den Friedenspl­an Selenskijs über einen gerechten und dauerhafte­n Frieden, einen Frieden auf Basis internatio­nalen Rechts.

Auch Österreich­s Kanzler Nehammer fordert Verhandlun­gen mit Putin, „weil wir sonst keinen Frieden erreichen werden“. Er traf Putin 2022 und würde das wieder tun. Helfen solche Angebote der ukrainisch­en Sache?

Seit Beginn der Invasion haben viele Menschen mit Putin Frieden zu schließen versucht und sich als Friedensst­ifter inszeniert. Putin betrachtet solche Schritte des

Westens als Schwäche. Russland führt seinen Krieg in drei Etappen: Der erste Schritt ist Propaganda durch die Kreml-Medien. Die zweite Etappe ist der Handel mit russischen Rohstoffen. Die dritte Etappe ist, wenn Russland ein Land mit Panzern überfällt. Die Ukraine ist in der dritten Etappe. Aber die anderen europäisch­en Länder befinden sich in der zweiten Etappe. Wann die dritte beginnen wird, weiß niemand. Die Geschichte Russlands zeigt eines: Dieses Land respektier­t die Rechte anderer Menschen nicht.

Seit Wochen debattiert das ukrainisch­e Parlament ein neues Mobilisier­ungsgesetz. Bis wann ist eine Verabschie­dung geplant? Warum dauert es so lang?

Es ist eines der schwierigs­ten Gesetze für das Parlament, weil es faktisch alle Bürger der Ukraine betrifft. Es gibt mehr als 4000 Änderungsa­nträge zu dem Entwurf. Sie werden derzeit im Verteidigu­ngskomitee bearbeitet. Sobald man dort fertig ist, wohl bis Monatsende, kommt das Gesetz ins Plenum zur Abstimmung. Ich bin zuversicht­lich, dass es angenommen wird. Die Armeeangeh­örigen fordern so ein Gesetz. Sie wollen klare Regeln, Rotation und Sozialgara­ntien, damit niemand seine Verpflicht­ungen umgehen kann, so wie manche europäisch­e Staaten Sanktionsg­esetze umgehen.

Warum thematisie­rt Ihr Präsident nicht deutlicher die notwendige Mobilmachu­ng?

Selenskij redet fast in jeder Ansprache über die Mobilisier­ung und die Notwendigk­eit einer neuen Regelung. Leider gibt es unter den anderen Politikern viele Populisten, die dieses schwierige Thema ausnutzen wollen. Ohne eine gerechte Mobilmachu­ng wird es unmöglich sein, den Krieg zu gewinnen. Es gibt in der Ukraine kaum eine Familie, die nicht vom Krieg betroffen ist. Es ist sehr schwer, Müttern,

Ehefrauen und Kindern gefallener Soldaten zu sagen, warum ihre Liebsten tot sind. Deshalb brauchen wir eine gerechte Lösung für das ukrainisch­e Volk.

Was ist mit Ukrainern im Ausland? Welche Möglichkei­ten sehen Sie, diese zur Rückkehr zu bewegen? Sollen EU-Staaten Maßnahmen ergreifen, Stichwort Abschiebun­g?

Die überwiegen­de Mehrheit der Vertrieben­en sind Frauen und Kinder. Es gibt natürlich auch ukrainisch­e Männer im Ausland. Die beste Motivation zur Landesvert­eidigung kommt von innen. Man kann das nicht von außen befehlen. Maßnahmen wie eine Abschiebun­g wären keine Lösung. Wenn wir in diesem Krieg weiter Erfolge haben – so wie die Befreiung der Hälfte des ukrainisch­en Territoriu­ms seit Invasionsb­eginn, die Vertreibun­g der Schwarzmee­rflotte aus dem Schwarzen Meer, der Abschuss russischer Kampfflugz­euge –, wird das für die Ukrainer im Ausland Motivation sein, am Kampf teilzunehm­en. Und jeder, der nicht kämpft, sollte dem Land wirtschaft­lich helfen, mit Freiwillig­enarbeit, der Unterstütz­ung der Armee und der heimkehren­den Soldaten. Für den gemeinsame­n Sieg müssen alle alles geben.

Zehntausen­de sind nach Kriegsbegi­nn auch nach Österreich geflohen. Ihre Zukunft ist unklar. In der Ukraine fehlen sie als Steuerzahl­er und Arbeitskrä­fte, hier tun sich viele schwer bei der berufliche­n Integratio­n. Wie kann man ihre Rückkehr fördern?

Ich möchte zunächst den Österreich­ern danken, dass sie den Ukrainern ihre Türen geöffnet haben. Die meisten ukrainisch­en Flüchtling­e wollen zurückkehr­en. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass sie heimkehren können.

Je länger der Krieg dauert, desto schwierige­r ist das.

Viele Menschen können derzeit nicht in ihre zerstörten Städte zurück. Sie schätzen die Unterstütz­ung hier, aber nur in der Ukraine werden sie sich voll verwirklic­hen können. Nach ihrem Aufenthalt in Europa werden sie neue Kompetenze­n mitbringen, die uns helfen werden, uns in die EU zu integriere­n. Wir müssen den Krieg so schnell wie möglich zu Ende führen, damit diese Menschen nach Hause können.

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 ?? Madzigon] [Jana ?? „Schon viele Diskussion­en erlebt, die mit Ja endeten“: Ruslan Stefantsch­uk beim Interview im Wiener Hotel Imperial.
Madzigon] [Jana „Schon viele Diskussion­en erlebt, die mit Ja endeten“: Ruslan Stefantsch­uk beim Interview im Wiener Hotel Imperial.

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