Ende der Eiszeit: Brüssel und Bern reden wieder miteinander
Kommissionspräsidentin von der Leyen verkündet Wiederaufnahme der Gespräche über Regeln für den Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt.
Drei Jahre hat die Funkstille gedauert – doch seit Montag sind die Schweiz und die EU wieder im Gespräch miteinander. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, und die Schweizer Präsidentin, Viola Amherd, verkündeten gestern den Beginn der Verhandlungen über eine „Vertiefung der bilateralen Beziehungen“. Die konkrete Arbeit an der Umsetzung dieses Vorhabens soll bereits am heutigen Dienstag starten. Die Verhandlungen sollen bis Jahresende abgeschlossen sein, sagte von der Leyen bei dem Treffen mit ihrer Schweizer Kollegin – man wolle „ein neues Kapitel auf Basis wiedergefundenen Vertrauens“eröffnen.
Apropos Vertrauen: Dieses wurde im Jahr 2021 durch die Entscheidung der Schweizer Regierung beschädigt, aus den Verhandlungen mit Brüssel über eine Modernisierung der Beziehungen auszusteigen. Hintergrund: Der Zugang der Schweiz zum Binnenmarkt der EU wird durch ein Bündel bilateraler Abkommen geregelt – das Brüssel seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge ist, und das aus zwei Gründen: Erstens, weil die Schweiz im Vergleich zu anderen Partnern bevorzugt behandelt wird, und zweitens, weil die Abkommen nicht dynamisch sind und nicht automatisch an Veränderungen des EU-Rechtsbestands angepasst werden. Das Ärgernis aus Brüsseler Sicht ist für Bern wiederum ein komfortables Arrangement mit einem vergleichsweise geringen regulatorischen Aufwand.
Das EU-Ersuchen, die separaten Deals als ein institutionelles Rahmenabkommen zu bündeln, lehnten die Schweizer 2021 ab, woraufhin Brüssel den Druck erhöht hat, indem Teile der bestehenden Abkommen nicht aktualisiert bzw. außer Kraft gesetzt wurden – etwa beim Marktzugang für Schweizer Medizinprodukte. Nachdem die EU der mit Abstand wichtigste Exportmarkt für die Schweiz ist und Bern außerdem daran interessiert ist, die Kooperation mit der EU bei Strom und Lebensmittelsicherheit zu intensivieren, nahm der Druck, zum Verhandlungstisch zurückzukehren, sukzessive zu.
Am 8. März fixierte der Schweizer Bundesrat schlussendlich ein neues Mandat für Verhandlungen mit der Union. Das Ziel, das Rahmenabkommen bis Jahresende zu finalisieren, sieht man in Bern allerdings skeptisch. Außenminister Ignazio Cassis wolle sich zuletzt nicht auf ein Datum festlegen lassen.
Breites Mandat
Das Verhandlungsmandat umfasst jedenfalls die von der Schweiz bis dato abgelehnte dynamische Anpassung des Abkommens an die EU-Gesetzgebung sowie die ebenfalls heikle Frage der Streitschlichtungsverfahren – für die EU steht fest, dass nur der EuGH das letzte Wort über EU-Gesetze haben darf. Im Gegenzug ist die für die Schweiz prioritäre Kooperation bei Strom und Lebensmittelsicherheit ebenfalls Gegenstand der Verhandlungen. (ag./la)