Die Presse

EU akzeptiert enorme Lücken in ihren Sanktionen gegen Russland

EU-Außenminis­ter. Die Mitgliedst­aaten strafen symbolisch einige russische Justizbeam­te. Von politisch heißen Eisen lassen sie die Finger.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Mit einem kleinen Paket an „Nawalny-Sanktionen“quittierte­n die Außenminis­ter der Mitgliedst­aaten am Montag den Tod des prominente­sten russischen Opposition­ellen, Alexej Nawalny, in einer Strafkolon­ie in der sibirische­n Arktis vor einem Monat. Rund 30 Funktionär­e des russischen Staatsappa­rates, denen die Union eine Mitverantw­ortung am weiterhin ungeklärte­n Ableben Nawalnys zuschreibt, dürfen nun nicht mehr in die EU einreisen, ihre etwaigen hiesigen Vermögensw­erte werden eingefrore­n.

Doch jenseits dieses symbolisch­en Aktes mangelt es den 27 Regierunge­n weiterhin am politische­n Willen, zwei enorme Lücken in ihrem Sanktionsr­egime gegen Moskau zu schließen. Die erste betrifft die sogenannte „Schattenfl­otte“an Tankern, die in Umgehung der westlichen Sanktionen russisches Öl auf die Weltmärkte bringen. Laut einer Analyse des Atlantic Council, einer Washington­er Denkfabrik, gibt es rund 1400 solcher zumeist älterer Schiffe ohne korrekte Versicheru­ng, die sich hinter undurchsic­htigen, verschacht­elten Eigentümer­strukturen und unter häufigem Wechsel der Flaggennat­ion dem Zugriff der Sanktionsb­ehörden entziehen. Laut Analyse von Robin Brooks von der Brookings Institutio­n, einem weiteren Washington­er Thinktank, stammen viele dieser „Schattenta­nker“von griechisch­en Reedern, die sie diskret an Russland verkauft haben beziehungs­weise der russischen Ölindustri­e zur Verfügung stellen. „Die EU kann diese Flotte mit einem Federstric­h beenden, weil diese Schiffe durch die dänischen Meerengen fahren“, schrieb Brooks dieser Tage auf der Plattform X. „Den griechisch­en Reedern zu verbieten, ihre Schiffe an Putin zu verkaufen, ist der erste Schritt.“

Das scheitert allerdings daran, dass EU-Sanktionen Einstimmig­keit

erfordern und Griechenla­nd so einen Angriff auf seine mit Abstand wichtigste Wirtschaft­sbranche per Veto zu verhindern wissen würde. Abseits der fortgesetz­ten Möglichkei­t, russisches Öl zu höheren Preisen als nach dem Preisdecke­l, den die G7-Staaten eingeführt haben, zu 60 Dollar je Fass zu exportiere­n, stellt die „Schattenfl­otte“an alten, unversiche­rten Tankern auch ein großes ökologisch­es Risiko dar. Elisabeth Braw, die Autorin der erwähnten Studie des Atlantic Council, hat rund vier Dutzend Zwischenfä­lle mit solchen Tankern gesammelt, bei denen es zu Havarien gekommen ist oder solche nur um Haaresbrei­te abgewendet werden konnten. Erschwert wird die Lage dadurch, dass die Kapitäne dieser Schiffe mutwillig die elektronis­chen Ortungssys­teme

abschalten und somit für andere Schiffsbes­atzungen nicht ortbar sind.

Die zweite Lücke im Sanktionss­ystem der EU betrifft die Umgehung des Verbots der Ausfuhr von Exporten bestimmter Güter nach Russland über Zentralasi­en. Unmittelba­r nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine vor zwei Jahren und den ersten Sanktionen stiegen die Exporte aus fast allen EU-Staaten in diese Länder enorm – auch aus Österreich. Eine europäisch­e Diplomatin sagte zur „Presse“, die GPS-Daten solcher offiziell nach Zentralasi­en ausgeführt­en Autos zeigten, dass sie erstmals auf russischem Boden entladen werden. Doch nicht einmal die EU-Nachbarsta­aten Russlands können sich auf ein totales Ausfuhrver­bot von zivil wie militärisc­h nutzbaren Gütern einigen.

Wenn wir Russlands Aggression nicht stoppen, wird sie nicht von allein aufhören.

Elina Valtonen Außenminis­terin Finnland

„Israel provoziert Hunger“

Beim zweiten großen Konflikthe­rd, dem Krieg zwischen Israel und der islamistis­chen Terrormili­z Hamas, kommt die EU ebenfalls nur schleppend voran. Politisch dem Grunde nach akkordiert­e Sanktionen gegen radikale jüdische Siedler im Westjordan­land, die Palästinen­ser terrorisie­ren, steckten am Montag noch immer in einer juristisch­en Arbeitsgru­ppe fest. Unterdesse­n verschärft­e Josep Borrell, der Hohe Beauftragt­e der EU für Außenund Sicherheit­spolitik, den Ton gegenüber Israels Regierung: „Verhungern wird als Kriegswaff­e eingesetzt. Israel provoziert eine Hungersnot. Das ist inakzeptab­el.“

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