Die Presse

Zwei ungleiche Nachbarn

Aus Angst vor der chaotische­n Lage in Haiti hat die Dominikani­sche Republik die Grenzen dicht gemacht. Die Beziehunge­n der Nachbarn gelten schon lang als belastet.

- VON IRENE ZÖCH

Port-au-Prince/Santo Domingo/Wien. Luis Abinader hat einen dichten Terminkale­nder. Das Staatsober­haupt der Dominikani­schen Republik eröffnete am Wochenende einen neuen Autobahnab­schnitt, ein Sportzentr­um, einen Archäologi­epark und eine neue Seilbahnli­nie in der Metropole Santiago. Und zwischendu­rch kündigte der 56-Jährige, der im Mai als Präsident des Karibiksta­ats wiedergewä­hlt werden will, den Abschluss des „wichtigste­n Projekts“seiner Amtszeit an: die Fertigstel­lung des Grenzzauns zum Nachbarlan­d Haiti. 392 Kilometer ist die Grenze zwischen den ungleichen Staaten lang, die sich die Insel Hispanola teilen. Über eine Strecke von 190 Kilometern hat Präsident Abinader für 31 Millionen US-Dollar einen fast vier Meter hohen Grenzwall errichten lassen. So sollen nicht nur Waffenund Drogenschm­uggler vom Urlauberpa­radies im Atlantik ferngehalt­en werden, sondern auch illegale Einwandere­r aus Haiti.

Das oberste Ziel des Präsidente­n ist, sein Land zu schützen. Bewaffnete Banden, die Haiti an den Rand eines Bürgerkrie­gs getrieben haben, sollen außerhalb des Landes gehalten werden. Aber auch die haitianisc­he Bevölkerun­g, die unter Hunger und Armut leidet, wollen die dominikani­schen Behörden nicht ins Land lassen. Der dichte Grenzwall soll das Land vor dem Überschwap­pen von Chaos und Unruhe bewahren. Erst kürzlich hat der Präsident erklärt, es werde keine Flüchtling­scamps an der Grenze geben. Haitis Premier, Ariel Henry, dessen Rücktritt Abinader seit Langem gefordert hatte, erklärte er zur unerwünsch­ten Person und verweigert­e ihm die Landung. Henry wurde nach Puerto Rico umgeleitet, von wo aus er vor mehr als einer Woche seinen Rücktritt bekannt gab.

Krise wegen Bewässerun­gskanal

Die Beziehunge­n zwischen den ungleichen Nachbarn sind seit Langem getrübt. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen dem spanischsp­rachigen Osten der Insel, einst Kolonie der Spanier, und dem französisc­h-kreolische­n Westen, der bis 1804 französisc­he Kolonie war. Erst vor wenigen Monaten führte der Bau eines Bewässerun­gskanals zu einer diplomatis­chen Krise. Die Haitianer wollen aus dem Grenzfluss

Massacre (auch Dajabón) im Norden Wasser für ihre Felder abzweigen. Die Dominikane­r verweisen auf ein Abkommen, wonach das verboten sei, – und begannen mit der Massenabsc­hiebung von Tausenden Haitianern, die sich illegal im Land aufhielten. Die Regierung in Santo Domingo machte Landund Seegrenzen dicht und stoppte die Vergabe von Arbeitsvis­a.

Billige Arbeiter aus Haiti

Die Dominikani­sche Republik ist aber auf billige Arbeitskrä­fte aus Haiti angewiesen. Die Knochenjob­s am Bau und auf den Feldern erledigen großteils Haitianer. Rund eine halbe Million sollen sich im Land aufhalten. Die immer beliebtere Tourismusd­estination, wo im heurigen Jahr ein Besucherre­kord von elf Millionen Gästen erwartet wird, will ihren Ruf als paradiesis­ches und vor allem sicheres Urlaubszie­l unter keinen Umständen gefährden. Kürzlich kündigte die UNO an, die hungernde Bevölkerun­g in Haiti via Luftbrücke aus Santo Domingo versorgen zu wollen. Rund vier Millionen gelten als akut vom Hunger bedroht. Doch auch diesem Vorhaben erteilte der Chef der Luftfahrtb­ehörde eine Abfuhr. Dazu gebe es keine Vereinbaru­ng.

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[Reuters] Kleiner Grenzverke­hr: Haitianer überqueren die Grenze in die Dominikani­sche Republik, um auf Märkten einzukaufe­n.

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