Die Presse

200.000 gratis Nachhilfes­tunden

Das Bildungsmi­nisterium investiert 14 Millionen Euro bis 2026 für kostenlose Lernhilfe. Das sei wichtig, aber kein Ersatz für den Ausbau von Ganztagess­chule, sagen Experten.

- VON ELISABETH HOFER

Kinder und Jugendlich­e, die am Nachmittag aus der Schule kommen und danach nicht noch auf die eine oder andere Art Unterstütz­ung beim Lernen brauchen – das ist in Österreich etwa im Vergleich zu den skandinavi­schen Ländern immer noch relativ selten. Laut einer Erhebung der Arbeiterka­mmer bekommt rund ein Drittel der österreich­ischen Schüler externe Nachhilfe, um die Lernziele zu erreichen. 78 Prozent lernen außerdem zumindest hin und wieder mit ihren Eltern, ein Viertel sogar täglich. 17 Prozent nehmen bezahlte Nachhilfe in Anspruch. Dafür werden von den Familien im Jahr rund 122 Millionen Euro ausgegeben.

14 Millionen für Lernhilfe

Wer sich das nicht leisten kann, steht schnell vor einem Problem. Aus diesem Grund baut das Bildungsmi­nisterium nun unter anderem mit Geldern aus dem europäisch­en Sozialfond­s das Lernhilfe-Förderprog­ramm aus. Mit insgesamt 14 Millionen Euro soll bis Ende 2026 Lernunters­tützung im Umfang von 200.000 Stunden angeboten werden.

Das Ganze soll über die Plattform wirlernen.at laufen, die von Organisati­onen wie der Caritas, der Diakonie, dem Jugendrotk­reuz oder der Lerntafel Wien getragen wird. Seit 2020 werden dort sogenannte Lernbuddys vermittelt – das können etwa Lehramtsst­udierende, pensionier­te Pädagogen oder auch andere Schüler sein. Die Initiative gibt es bereits seit der Coronapand­emie.

Weil aber der Bedarf nach kostenlose­r Nachhilfe in den vergangene­n Jahren auch wegen der Teuerung weiter gestiegen sei, wurde im Bildungsmi­nisterium nun ein Konzept ausgearbei­tet, um das Förderprog­ramm dauerhaft zu etablieren. „Ziel ist es, allen Schülerinn­en und Schülern, unabhängig von ihrem sozialen Hintergrun­d, die beste Bildung zu ermögliche­n“, sagt Bildungsmi­nister Martin Polaschek. Laut ihm sollen die Lernstunde­n gezielt „jenen jungen Menschen zur Verfügung gestellt werden, die sie wirklich brauchen“. Das sei eine Investitio­n in die Zukunft, die „zu einer gerechten Bildungsge­sellschaft beiträgt“. Ähnlich sieht das auch Anna Parr, Generalsek­retärin der Caritas Österreich Die Warteliste­n würden zeigen, wie groß die Nachfrage nach kostenlose­r Lernunters­tützung sei. „Der Bildungswe­g eines Kindes darf nicht von Einkommen und Bildungsgr­ad der Eltern abhängen“, sagt sie. Mit der Initiative weiterlern­en.at und den 69 Lerncafés der Caritas in Österreich würde dieser Entwicklun­g etwas entgegenge­setzt. Allerdings brauche es neben der

Lernunters­tützung auch den schnellen Ausbau von kostenlose­n Kindergart­enplätzen und den Ausbau ganzheitli­cher und ganztägige­r Schulforme­n.

„Aus der Zeit gefallen“

Das unterstrei­cht auch Elke Larcher, Bildungsex­pertin der Arbeiterka­mmer (AK), im Gespräch mit der „Presse“. Dass die Nachfrage nach Nachhilfe in Österreich im internatio­nalen Vergleich so hoch sei, liege vor allem am Halbtagssc­hulsystem. Letzteres stamme aus einer Zeit, in der es oft noch üblich war, dass Kinder etwa in der Landwirtsc­haft mitarbeite­n. Das sei aus der Zeit gefallen und ergebe heute keinen Sinn mehr. Dieses Problem werde mit den 200.000 gratis Nachhilfes­tunden nicht gelöst – auch würden diese bei Weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Dennoch begrüßt Larcher die Initiative. Erstmals gebe es mit der Finanzieru­ng bis 2026 nämlich auch eine längerfris­tige Perspektiv­e, und nicht nur ein Weiterhang­eln von Schuljahr zu Schuljahr.

Polaschek sichert zu, dass das „Programm auch nach 2026 auf jeden Fall verlängert“werden soll. Derzeit arbeite das Ministeriu­m daran, wieder eine Kofinanzie­rung aus EU-Mitteln sicherzust­ellen.

Die AK-Bildungsex­pertin plädiert unterdesse­n dafür, sich ein Beispiel an Städten wie Hamburg oder London zu nehmen. Dort bekommen Schulen mit größeren Herausford­erungen bei der Förderung der Kinder zusätzlich­e finanziell­e Mittel, die sie etwa für mehr Personal einsetzen können. Laut Larcher sollen aber darüber hinaus auch Lerninhalt­e und die Art des Lernens generell überdacht werden. Aktuell würde oft auf einen veralteten Fächerkano­n und das Lernen auf einen Test hin gesetzt, statt interdiszi­plinäres Lernen zu forcieren und die Kinder und Jugendlich­en dort zu fördern, wo ihre jeweiligen Talente liegen.

‘‘ Ziel ist es, allen Schülerinn­en und Schülern, unabhängig von ihrem sozialen Hintergrun­d, die beste Bildung zu ermögliche­n.

Martin Polaschek, Bildungsmi­nister

 ?? [Florian Gaertner/photothek.net] ?? In Österreich wird Nachhilfe über alle Schultypen und Altersklas­sen hinweg stark nachgefrag­t.
[Florian Gaertner/photothek.net] In Österreich wird Nachhilfe über alle Schultypen und Altersklas­sen hinweg stark nachgefrag­t.

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