Die Presse

Und die Kleinen trifft es doch

Lieferkett­engesetz. Kleinere Firmen sind formal von der am Freitag beschlosse­nen EU-Richtlinie ausgenomme­n. In der Praxis sind sie trotzdem umfasst.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER UND CHRISTINE KARY

Wien. Gegen den Widerstand mehrerer Länder, darunter Deutschlan­d und Österreich, haben sich die EU-Staaten am Freitag auf ein Lieferkett­engesetz verständig­t. Demnach sollen Unternehme­n in der EU künftig kontrollie­ren, ob ihre Geschäftsp­artner in Drittstaat­en menschenre­chtliche Standards einhalten – oder ob sie zum Beispiel Kinder oder Zwangsarbe­iter beschäftig­en.

Die Richtlinie muss nun noch das EU-Parlament passieren und dann von den einzelnen Staaten in nationales Recht umgesetzt werden. Je nach Unternehme­nsgröße soll es drei- bis fünfjährig­e Übergangsf­risten geben, die mit der Veröffentl­ichung der Richtlinie im Amtsblatt beginnen.

Bis zuletzt war über die Schwellenw­erte verhandelt worden. Nun sollen Unternehme­n mit mehr als 1000 Mitarbeite­rn (davor: 500) und mehr als 450 Mio. Euro Jahresumsa­tz (davor: 150 Mio. Euro) direkt von der Richtlinie betroffen sein. Die Idee dahinter war, dass kleinere Firmen ausgenomme­n werden, um sie nicht zu überlasten.

Doch diese Hoffnung wird sich eher nicht erfüllen. Die höheren Schwellenw­erte im Kompromiss­vorschlag würden „relativ wenig“ändern, sagt der Komplexitä­tsforscher Peter Klimek zur „Presse“. Er leitet das Lieferkett­enforschun­gsinstitut ASCII in Wien, das 2022 gegründet wurde. „Wenn ein Unternehme­n unter die Sorgfaltsp­flicht fällt, ist es ziemlich egal, wo man den Grenzwert ansetzt, kleine Unternehme­n werden immer darunter fallen“, sagt Klimek. Denn die Sorgfaltsp­flichten werden von den größeren an die kleineren Firmen weitergege­ben.

Viel Aufwand, keine Lösung

Die Verpflicht­ungen aus der Richtlinie „werden in die gesamte Lieferkett­e hineingetr­agen“, sagt auch Rechtsanwä­ltin Eva-Maria SégurCaban­ac, Partnerin bei Baker McKenzie, zur „Presse“. Zum Teil seien Unternehme­n auch derzeit bereits mit solchen Anforderun­gen ihrer Kunden konfrontie­rt, unabhängig vom Inkrafttre­ten der Richtlinie. „Bei etlichen häufen sich jetzt schon die Fragebögen.“

Das Problem sei, dass es so etwas wie „die eine Lieferkett­e“eines Unternehme­ns nicht gebe, sagt Klimek. „Gerade in komplexen Industrien haben die größeren Unternehme­n mehrere Tausend Zulieferer.“Da sei schnell ein Großteil der globalen Wirtschaft umfasst. „Die Frage ist also nicht, ob man Menschenre­chtsverlet­zungen in der Lieferkett­e hat, sondern nur, wie viel Arbeit man investiere­n muss, um sie zu finden.“

Die Sorge, dass viele kleine und mittlere Unternehme­n (KMU) von den zusätzlich­en Prüfpflich­ten belastet werden, war einer der Gründe, warum Österreich sich bei der Abstimmung am Freitag enthalten hatte. 99,6 Prozent der Firmen in Österreich sind KMU. Nun gehe es darum, die Richtlinie auf nationaler Ebene umsichtig umzusetzen, „um eine Überforder­ung heimischer Betriebe aufgrund überborden­der bürokratis­cher Auflagen zu vermeiden“, heißt es aus dem Wirtschaft­sministeri­um.

Klimek sieht nun das Risiko, „dass wir eine Regulierun­g haben, die sehr viel Mehraufwan­d bringt, aber das eigentlich­e Problem nicht löst.“Er hatte ursprüngli­ch vorgeschla­gen, nicht die Lieferbezi­ehungen zu überwachen, sondern Listen mit „guten“und „schlechten“Zulieferer­n zu erstellen, an denen sich die Unternehme­n in der EU orientiere­n können. Firmen in der EU hätten 900 Millionen Lieferbezi­ehungen, „im Extremfall gibt es 900 Millionen Überprüfun­gen“, sagt Klimek. Wir wissen aber, dass sich das Risiko von Menschenre­chtsverlet­zungen auf einen sehr kleinen Anteil von Unternehme­n reduziert“, sagt Klimek.

Die Großen trifft es härter

Laut Wirtschaft­skammer sind in Österreich zumindest 100 Unternehme­n direkt vom Lieferkett­engesetz betroffen, indirekt aber viel mehr: So werde beispielsw­eise ein österreich­isches Metallvera­rbeitungs-KMU, das einem internatio­nalen Stahlkonze­rn direkt zuliefert, durch eigene Risikoanal­ysen sicherstel­len müssen, dass auch seine indirekten Subliefera­nten aus Südafrika internatio­nale Standards in Bezug auf Arbeitsbed­ingungen, Menschenre­chte und Umwelt einhalten. Treten bei einem indirekten Subliefera­nten im Rohstoffab­bau schwerwieg­ende Verstöße auf, sei das österreich­ische KMU mitunter gar verpflicht­et, die Geschäftsb­eziehung zu kündigen und sich einen neuen Lieferante­n zu suchen.

Einen wesentlich­en Unterschie­d zwischen nur indirekt betroffene­n Unternehme­n und den großen, direkt betroffene­n gebe es aber doch, sagt Ségur-Cabanac: Kleinere Zulieferer müssen bei Verstößen zwar mit vertraglic­hen Konsequenz­en rechnen. Unmittelba­r unter behördlich­er Aufsicht – samt empfindlic­hen Strafdrohu­ngen – stehen jedoch nur die großen. Nur sie werden sich vor der Behörde auch dafür rechtferti­gen müssen, wie sie die nötigen Prozesse aufgesetzt haben. „Das ist schon noch ein anderes Paar Schuhe“, sagt die Anwältin.

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[Reuters/Siphiwe Sibeko1] Unternehme­n in der EU müssen bald genauer hinschauen, von welchen Zulieferer­n sie Rohstoffe kaufen.

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