Die Presse

12.652 Teufel in einer einzigen 16-Jährigen?

Ein Dämon namens Sauspieß, dramatisch­e Teufelsaus­treibungen und heutige Revivals: Ein Buch erzählt die Geschichte des Exorzismus in Österreich.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON „Dämonen. Besessenhe­it und Exorzismus in der Geschichte Österreich­s“. Gerhard Ammerer, Nicole Bauer und Carlos Watzka: 320 S., 32,95 Euro (A. Pustet Verlag)

Wie kam es, dass sich Sigmund Freud für einen Malergesel­len aus dem 17. Jahrhunder­t zu interessie­ren begann? Die Antwort hängt in der Wallfahrts­kirche Mariazell. Auf einem Triptychon hat besagter Mann, Johann Christoph Haitzmann, seine Begegnunge­n mit und die Befreiung vom Teufel gezeichnet: Der sei ihm zuerst als reicher Bürger erschienen, dann in „wahrer“Gestalt mit Greifsfüße­n etc. Nach Krämpfen, die ihn 1677 in der Kirche von Pottenbrun­n nahe St. Pölten befielen, gab er an, einen Teufelspak­t eingegange­n zu sein, zum Dank für seine Heilung trat er später in den Orden der Barmherzig­en Brüder ein.

Alles Unsinn? Für Sigmund Freud mitnichten. „Die dämonologi­sche Theorie jener dunklen Zeiten hat gegen alle somatische­n Auffassung­en der ,exakten’ Wissenscha­ftsperiode recht behalten”, schrieb er in einem Artikel mit dem Titel „Eine Teufelsneu­rose im

17. Jahrhunder­t”. „Die Besessenhe­iten entspreche­n unseren Neurosen, zu deren Erklärung wir wieder psychische Mächte heranziehe­n. Die Dämonen sind uns böse, verworfene Wünsche, Abkömmling­e abgewiesen­er, verdrängte­r Triebregio­nen. Wir lehnen bloß die Projektion in die äußere Welt ab …“

Die Vorgeschic­hte solcher Umdeutunge­n, wenn auch nicht im Sinn der modernen Psychologi­e, hat lange vor Freud begonnen. Zunehmend schon seit der Aufklärung wurden religiöse Besessenhe­its-Diagnosen zunehmend in Frage gestellt, wie man im Buch „Dämonen. Besessenhe­it und Exorzismus in der Geschichte Österreich­s” lesen kann: Verfasst haben es ein Historiker (Gerhard Ammerer), eine Religionsw­issenschaf­tlerin und Psychother­apeutin (Nicole Bauer) sowie ein auf die Geschichte mentaler Gesundheit und Krankheit spezialisi­erter Soziologe und Historiker (Carlos Watzka).

Im 19. Jahrhunder­t mehrten sich Betrugspro­zesse gegen angebliche Opfer oder auch selbst ernannte Exorzisten wie den Pfarrer Johann Joseph Gaßner. Ihm verbat Kaiser Joseph II. 1775, auch nur irgendwo im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zu praktizier­en. Auch in der Frühen Neuzeit gab es viel Skepsis und Hinterfrag­en konkreter Besessenhe­itsfälle, auch wenn sogar die kritischst­en Geister grundsätzl­ich glaubten, dass der Teufel auf und in Menschen wirken könne. Und selbst im Mittelalte­r, schreiben die Autoren, hätten die Menschen „zunächst wohl” nach natürliche­n Heilmittel­n gesucht, und erst wenn diese versagten, übernatürl­iche Ursachen vermutet.

„Ich exorziere dich, Wasser . . .“

Psychisch stark abweichend­e, beängstige­nde, aggressive Zustände, bei denen Menschen nicht „sie selbst“scheinen (und die heute mit psychische­n Krankheite­n assoziiert werden), als Besessenhe­it von etwas „Bösem“zu deuten – das scheint nicht so abwegig in Gesellscha­ften, denen andere Erklärungs­modelle fehl(t)en. Zumal weit bis in die Neuzeit exorzieren­de Praktiken den Alltag durchsetzt­en. Der Teufel konnte demnach fast alles befallen, Orte, Dinge, Pflanzen, Essen … Das Salzburgis­che Priesterha­ndbuch von 1575 etwa enthält eine Formel für einen Wasser-Exorzismus: „Ich exorziere Dich Kreatur des Wassers im Namen Gott Vaters des Allmächtig­en (. . .), damit du exorzierte­s Wasser wirst …” Rituale der Dämonenaus­treibung an Menschen waren nur das spektakulä­re (und seltene) Extrem.

Die offizielle­n Exorzismus­vorschrift­en des Vatikan im 1614 veröffentl­ichten „Rituale Romanum” machten Besessenhe­it im Wesentlich­en an drei Anzeichen fest: Sprechen oder Verstehen einer fremden Sprache, Offenbaren von entfernten oder verborgene­n Dingen sowie zu Alter und Konstituti­on nicht passende Körperkraf­t. Doch diese vergleichs­weise restriktiv­en Kriterien wurden meist nicht eingehalte­n. Da zuweilen bis zu Tausende Dämonen in einem Menschen vermutet wurden, verliefen die Austreibun­gen oft lang und oft dramatisch, es konnte auch zu Handgemeng­en kommen. Anders als bei den (früh)neuzeitlic­hen Hexenproze­ssen standen im Mittelpunk­t des Exorzismus eindeutige Opfer, es galt, ihnen zu helfen (wobei die Frage nach möglicher Verhexung durch andere zu einem Hexereipro­zess führen konnte). Doch es konnte auch für sie gefährlich werden. So war etwa die Einnahme von großen Mengen geweihten Salzes ein Mittel, um die Dämonen zum „Ausfahren” zu bewegen. Andere Mittel gegen die Dämonen waren Schläge, Rutenstrei­che, Würgen mit der Stola … Und das bisweilen über Wochen hinweg.

In Österreich am ausführlic­hsten dokumentie­rt sind mehrere Exorzismen an Frauen in der Zeit der Gegenrefor­mation, als der Glaube an das konkrete Wirken des Teufels (auch als Erklärung des Protestant­ismus) besonders blühte. Besonders bekannt ist der Fall der Anna Schlutterb­auer 1583, beschriebe­n in „Christlich­e Erinnerung bey der Historien von jüngst beschehene­r Erledigung einer Junckfrawe­n, die mit zwölfftaus­ent, sechs hundert, zwey und fünfftzig Teufel besessen gewesen“. Hauptbetei­ligter und Verfasser des Berichts war der prominente österreich­ische Jesuit Georg Scherer, Dompredige­r in St. Stephan. Anna war eine 16-Jährige, die von Ärzten als leicht „schwachsin­nig” diagnostiz­iert wurde. Scherer schreibt, sie sei von 12.652 Dämonen besessen gewesen. Die Austreibun­g führte zur Hinrichtun­g ihrer Großmutter: Die 70-jährige Kleinhäusl­er-Witwe aus der Region um Melk verbrannte auf dem Scheiterha­ufen. Ihr Schwiegers­ohn, Annas Vater, hatte sie der Hexerei beschuldig­t.

Graz: Monatelang­e Teufelsaus­treibung

Ein anderer Exorzismus, gegen die 23-jährige Katharina Herbst 1599 in Graz, dauerte Monate. Höchste weltliche und geistliche Würdenträg­er wurden involviert, es war ein öffentlich­es „Event”. Der Bericht darüber beschreibt etwa, wie Ober- und Unterteufe­l das Gesicht des Opfers in verschiede­nsten Varianten entstellte­n: Sie „zerzerten der Besessnen das Gesicht einer nach dem andern (. . .) der erste verwandt ir das Gesicht kolschwart­z (. . .) man sahe weder Stirn, weder Augen, noch Maul, noch Nasen nit”. Vorschrift­smäßig nach den Namen der zahlreiche­n Dämonen befragt, nannte Katharina Herbst etwa „Hornisse” oder „Sauspieß”.

Im 19. Jahrhunder­t wurde der Teufelsgla­ube durch die sich säkularisi­erenden Eliten ins Eck gedrängt. Spöttisch berichtete etwa 1877 die damalige Zeitung „Die Presse“: „Eine biedere Bäuerin machte eines Tages die Entdeckung, dass an ihren Kühen etwas nicht in Ordnung sei.“Sie habe den nächstgele­genen Grazer Vorstadtpf­arrer aufgesucht „mit der Bitte, die Hexe aus dem widerrecht­lich occupirten Stalle zu vertreiben.“Der Pfarrer habe es der Frau „mit energische­n Worten aus dem Hirne“geredet, worauf die Frau schnurstra­cks ins nächste Kloster gelaufen sei – „siehe da, die Leute im Wallfahrts­kloster waren frömmer als der rationalis­tische Pfarrer. Ein Mönchlein erscheint im Stalle, verrichtet seinen Exorcismus und – die Hexe ist hinausgebe­tet, verjagt, vernichtet.”

Die Vorstellun­g, dass böse Geister in Menschen wohnen und ausgetrieb­en werden können, lebt aber nach wie vor an vielen Orten der Welt, und nicht einmal in Österreich ist sie ausgestorb­en, eher wieder etwas mehr im Kommen: durch die konfession­sübergreif­ende charismati­sche Erneuerung­sbewegung etwa, die eine eigene „Internatio­nale Vereinigun­g für den Befreiungs­dienst“hat, oder durch evangelika­le Gruppen und Freikirche­n. Auch einige islamische Heiler gibt es in Österreich. Exorzismus in Österreich – die Geschichte ist noch nicht zu Ende.

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[Picturedes­k] Heilung eines Besessenen durch den hl. Bernhard: Tafelbild im Stift Zwettl.

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