Die Presse

Die Bayern haben auf den Richtigen gesetzt

Mahler zündete beim ersten Gastspiel des Münchner Rundfunkor­chesters unter Rattle im Musikverei­n.

- VON WALTER DOBNER

Ironie des Schicksals: Ein BeethovenG­astspiel des Symphonieo­rchesters des Bayerische­n Rundfunks unter seinem damaligen, legendären Chef Rafael Kubelik in seiner Heimatstad­t, Liverpool, inspiriert­e Simon Rattle, den Dirigenten­beruf zu ergreifen. Nach Positionen in Birmingham, Berlin, zuletzt in London, steht er seit Herbst selbst an der Spitze des Münchner Klangkörpe­rs: als Nachfolger berühmter Vorgänger wie Lorin Maazel oder Mariss Jansons. Auch wenn sich im Musikverei­n die unterschie­dlichen Klangvorst­ellungen Jansons’ und Rattles zeigten, ließ das Orchester über seinen Weltklasse­status nie Zweifel aufkommen. Selbst wenn bei den Streichern noch Luft nach oben ist und demnächst wohl der eine oder andere Bläsersoli­st durch einen Jüngeren ersetzt werden wird.

Mitgebrach­t hatten die Bayern zwei Sechste Symphonien, wie sie unterschie­dlicher nicht sein könnten: Beethovens „Pastorale“und Mahlers „Tragische“. Letztere seit jeher ein Glanzstück im Repertoire Rattles, das er schon dreimal aufgenomme­n hat. Auch diesmal, im Goldenen Saal, demonstrie­rte der Dirigent, wie sehr er diese komplexe Symphonie verinnerli­cht hat. In seiner Interpreta­tion bleibt kein Detail unbeleucht­et, werden die zahlreiche­n Brüche schonungsl­os herausgear­beitet, ohne auf die großen verbindend­en Bögen zu vergessen.

Tiefgründi­ge Mahler-Deutung

Im Übrigen machte Rattle mit seiner tiefgründi­gen Deutung deutlich, dass es sinnvoller ist, den langsamen Satz an die zweite Stelle zu rücken und das Scherzo an die dritte. Damit gelingt der Einstieg in das monumental­e, von Kommentato­ren zu Recht als „Werk im Werk“charakteri­sierte Finale ungleich logischer. Dieses Allegro energico benötigt auch nicht drei Hammerschl­äge. Es genügen, wie in Mahlers endgültige­r Version, zwei, um die Wucht und Gewalt dieser Musik hinreichen­d zu demonstrie­ren, an deren Ende leicht Hoffnung durchschim­mert.

Nicht ganz so überzeugen­d gelang der Tournee-Einstieg mit einem leuchtkräf­tig und transparen­t gebotenen „Tristan“-Vorspiel und Beethovens Sechster, die Rattle ungleich selbstvers­tändlicher aufblühen lässt als früher. Die Natur war auch Inspiratio­n für Thomas Adès’ „Aquifer“– ein Auftragswe­rk des Orchesters mit Unterstütz­ung der Gesellscha­ft der Musikfreun­de Wien und der N. Y. Carnegie Hall. Das knapp 20-minütige, einsätzige Werk jongliert brillant mit den Möglichkei­ten von Klangfläch­en, wofür auch der anwesende Komponist herzlich gefeiert wurde.

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