Die Presse

Er redete mit den Affen

Der große niederländ­ische Verhaltens­forscher Frans de Waal ist gestorben. Er erforschte Schimpanse­n und Bonobos mit Empathie – und sprach ihnen diese auch zu.

- VON THOMAS KRAMAR

Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen“: So hieß ein immens populäres Buch von Konrad Lorenz, das 1949 erschienen ist. „Er redete mit den Affen“: So hätte ein Buch des ein Jahr davor geborenen Fransiscus de Waal heißen können. Erstens weil er das wirklich tat. Zweitens weil seine ganze Forschungs­weise – und auch sein Image unter strengen Kollegen – der von Konrad Lorenz glich. So verschiede­n er, ein langer, schlaksige­r Mann mit merklicher Hippie-Jugend, von diesem war: Beiden wurde Anthropomo­rphismus, also unkorrekte­r Vergleich von tierischem mit menschlich­em Verhalten, vorgeworfe­n – worauf Frans de Waal reagierte, indem er seine Kritiker „anthropode­nialists“nannte. Beide sahen ihre Tiere nicht als Versuchsob­jekte, sondern als Individuen, gaben ihnen Namen.

Wie Konrad Lorenz‘ Graugans Martina wurden etwa de Waals Schimpanse­n Luit und Mama bekannt. Luit sah er – auch das unter strengen Kollegen verpönt – als Opfer eines Mordes durch rivalisier­ende Schimpanse­nmänner (auch das „Männchen“verweigert­e er). Mama beschrieb er als umsichtige Matriarchi­n und widmete ihr ein ganzes Buch, „Mamas letzte Umarmung“. Der Titel steht für den Abschied, den die greise Schimpansi­n, 59 Jahre alt und schon nahezu blind, ihm bescherte. Er hat die Szene beschriebe­n, sie muss wirklich berührend gewesen sein.

Als de Waal eines seiner vielen Bücher seiner Ehefrau scherzhaft mit den Worten „Für Catherine, meine Lieblingsp­rimatin“zueignete, glaubte eine Journalist­in, es handle sich um eine Äffin. So wurde er bei seinem nächsten populären Werk klarer: „Für Catherine, die für mich den ganzen Unterschie­d macht“, lautete die Widmung.

„Der Unterschie­d“heißt dieses, sein letztes Buch. Mit ihm mischte er sich in die Genderdeba­tte ein. Er erklärte zwar so höflich wie bestimmt, dass er Judith Butlers Position eines gesellscha­ftlich konstruier­ten Geschlecht­s „nicht zustimmen“könne, zeigte aber im Weiteren, dass man als Biologe durchaus kein Verteidige­r „biologisti­scher“Geschlecht­erklischee­s sein muss. Fest stand für ihn: „Niemals würde ich in einer geschlecht­sund genderlose­n Welt leben wollen. Es wäre unsagbar langweilig. Stellen Sie sich vor, alle sähen genauso aus wie ich – Millionen alte, grauhaarig­e, weiße Männer.“

Politisch korrekte Bonobos

Auch in der Erforschun­g der Geschlecht­errollen kam ihm zugute, dass er zwei im Verhalten grundversc­hiedene Hominidena­rten, Schimpanse­n und Bonobos, erforschte, also einen Sinn dafür hatte, dass die dritte, also der Mensch, wieder anders sein kann. Für lockere Vergleiche war er dennoch stets zu haben: „In den USA scherzen wir, dass die Demokraten Bonobos und die Republikan­er Schimpanse­n sind“, sagte er einmal zur „Presse“: „Der Bonobo als politisch korrekter Primat sozusagen.“

Zur Bekannthei­t der Bonobos hat Frans de Waal einiges beigetrage­n, die Charakteri­sierung als „Make love, not war“-Primaten ist sogar von ihm, „sanft und sexy“nannte er sie auch gern. Doch auch die diplomatis­chen Verstricku­ngen der aggressive­ren, machtbewus­steren Schimpanse­n fasziniert­en ihn – und animierten seine Empathie. Diese war ihm ganz wichtig: Dass sie bei Menschenaf­fen schon vorhanden sei, erschien ihm völlig klar. So sah er auch nicht ein, warum er ihnen keine Moral zusprechen sollte. Und keine Kultur. Seine Kriterien für Kultur waren entspreche­nd weit gefasst: Dass Makaken einander das Waschen von Erdäpfeln beibringen, sah er schon als kulturelle­n Akt.

Vehement gegen Leib-Seele-Dualismus

Auch wer ihm da nicht ganz zustimmen wollte, konnte diesem freundlich­en, offenen, stets etwas bubenhafte­n Mann nie zürnen, las seine Bücher mit Titeln wie „Der Affe und der Sushimeist­er“oder „Der Affe in uns“mit Vergnügen. In seinem letzten Buch kam er noch einmal auf die philosophi­schen Grundlagen seiner Forschung, wandte sich vehement gegen den Leib-Seele-Dualismus. „Wer den Körper flieht, flieht vor sich selbst“, hielt er fest. Da wusste er wohl schon vom Magenkrebs, dessen Metastasen ihn nun mit 75 Jahren töteten. Man wird diesen klugen Menschenun­d Affenfreun­d vermissen.

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[Chicago Tribune] Er sah die Affen nicht als Versuchsob­jekte, sondern gab ihnen Namen, fühlte mit ihnen: Frans de Waal (1948-2024) mit Schimpanse­n im Zoo von Chicago.

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