Er redete mit den Affen
Der große niederländische Verhaltensforscher Frans de Waal ist gestorben. Er erforschte Schimpansen und Bonobos mit Empathie – und sprach ihnen diese auch zu.
Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen“: So hieß ein immens populäres Buch von Konrad Lorenz, das 1949 erschienen ist. „Er redete mit den Affen“: So hätte ein Buch des ein Jahr davor geborenen Fransiscus de Waal heißen können. Erstens weil er das wirklich tat. Zweitens weil seine ganze Forschungsweise – und auch sein Image unter strengen Kollegen – der von Konrad Lorenz glich. So verschieden er, ein langer, schlaksiger Mann mit merklicher Hippie-Jugend, von diesem war: Beiden wurde Anthropomorphismus, also unkorrekter Vergleich von tierischem mit menschlichem Verhalten, vorgeworfen – worauf Frans de Waal reagierte, indem er seine Kritiker „anthropodenialists“nannte. Beide sahen ihre Tiere nicht als Versuchsobjekte, sondern als Individuen, gaben ihnen Namen.
Wie Konrad Lorenz‘ Graugans Martina wurden etwa de Waals Schimpansen Luit und Mama bekannt. Luit sah er – auch das unter strengen Kollegen verpönt – als Opfer eines Mordes durch rivalisierende Schimpansenmänner (auch das „Männchen“verweigerte er). Mama beschrieb er als umsichtige Matriarchin und widmete ihr ein ganzes Buch, „Mamas letzte Umarmung“. Der Titel steht für den Abschied, den die greise Schimpansin, 59 Jahre alt und schon nahezu blind, ihm bescherte. Er hat die Szene beschrieben, sie muss wirklich berührend gewesen sein.
Als de Waal eines seiner vielen Bücher seiner Ehefrau scherzhaft mit den Worten „Für Catherine, meine Lieblingsprimatin“zueignete, glaubte eine Journalistin, es handle sich um eine Äffin. So wurde er bei seinem nächsten populären Werk klarer: „Für Catherine, die für mich den ganzen Unterschied macht“, lautete die Widmung.
„Der Unterschied“heißt dieses, sein letztes Buch. Mit ihm mischte er sich in die Genderdebatte ein. Er erklärte zwar so höflich wie bestimmt, dass er Judith Butlers Position eines gesellschaftlich konstruierten Geschlechts „nicht zustimmen“könne, zeigte aber im Weiteren, dass man als Biologe durchaus kein Verteidiger „biologistischer“Geschlechterklischees sein muss. Fest stand für ihn: „Niemals würde ich in einer geschlechtsund genderlosen Welt leben wollen. Es wäre unsagbar langweilig. Stellen Sie sich vor, alle sähen genauso aus wie ich – Millionen alte, grauhaarige, weiße Männer.“
Politisch korrekte Bonobos
Auch in der Erforschung der Geschlechterrollen kam ihm zugute, dass er zwei im Verhalten grundverschiedene Hominidenarten, Schimpansen und Bonobos, erforschte, also einen Sinn dafür hatte, dass die dritte, also der Mensch, wieder anders sein kann. Für lockere Vergleiche war er dennoch stets zu haben: „In den USA scherzen wir, dass die Demokraten Bonobos und die Republikaner Schimpansen sind“, sagte er einmal zur „Presse“: „Der Bonobo als politisch korrekter Primat sozusagen.“
Zur Bekanntheit der Bonobos hat Frans de Waal einiges beigetragen, die Charakterisierung als „Make love, not war“-Primaten ist sogar von ihm, „sanft und sexy“nannte er sie auch gern. Doch auch die diplomatischen Verstrickungen der aggressiveren, machtbewussteren Schimpansen faszinierten ihn – und animierten seine Empathie. Diese war ihm ganz wichtig: Dass sie bei Menschenaffen schon vorhanden sei, erschien ihm völlig klar. So sah er auch nicht ein, warum er ihnen keine Moral zusprechen sollte. Und keine Kultur. Seine Kriterien für Kultur waren entsprechend weit gefasst: Dass Makaken einander das Waschen von Erdäpfeln beibringen, sah er schon als kulturellen Akt.
Vehement gegen Leib-Seele-Dualismus
Auch wer ihm da nicht ganz zustimmen wollte, konnte diesem freundlichen, offenen, stets etwas bubenhaften Mann nie zürnen, las seine Bücher mit Titeln wie „Der Affe und der Sushimeister“oder „Der Affe in uns“mit Vergnügen. In seinem letzten Buch kam er noch einmal auf die philosophischen Grundlagen seiner Forschung, wandte sich vehement gegen den Leib-Seele-Dualismus. „Wer den Körper flieht, flieht vor sich selbst“, hielt er fest. Da wusste er wohl schon vom Magenkrebs, dessen Metastasen ihn nun mit 75 Jahren töteten. Man wird diesen klugen Menschenund Affenfreund vermissen.