Die Presse

Zur Kreuzigung springen die Stimmen aus dem Gebüsch

Matthäuspa­ssion im Musikverei­n. Das Orchester Wiener Akademie und Martin Haselböck setzten auf Überraschu­ngseffekte.

- VON JENS F. LAURSON

Am Saint Patrick’s Day wurde im Musikverei­n vom Orchester Wiener Akademie und Martin Haselböck eine vorösterli­che Matthäuspa­ssion geboten. Wie immer bei diesem Team sind zwei der Hauptzutat­en Spontanitä­t und Überraschu­ng, was den Aufführung­en etwas Lebendiges, teils Kunterbunt­es, im-Moment-Musizierte­s gibt, wofür man auch gerne auf geschniege­lte Perfektion verzichtet.

Mit zwei Stimmen pro Part war der Vokalappar­at – acht Solisten und acht Ripieniste­n – schmal besetzt; in etwa dem entspreche­nd, was Bach zur Verfügung stand. (Auch bleiben so die Reisekoste­n überschaub­ar, wenn das Ensemble die Passion kommenden Sonntag nochmal in Los Angeles aufführt.) Um gut gehört zu werden, waren diese Sänger und Sängerinne­n vor dem Orchester aufgereiht, wie das Haselböck auch bei seiner Beethoven-Neunten (da zumindest historisch korrekt) praktizier­te. Ob kleine Abstimmung­sproblemch­en dieser herausford­ernden Aufstellun­g oder Haselböcks tendenziel­l unkonventi­onellem Dirigat geschuldet waren, sei dahingeste­llt. Es trug aber zu einem unmittelba­ren Erlebnis der Stimmen bei, was besonders bei den „Stereo-Effekten“der Frage-Antwort-Spiele der beiden Chöre hervorrage­nd zur Geltung kam.

Es war eine von Momenten geprägte Aufführung. Einer davon: wie nach einer ruhigen Sopranarie Evangelist und Chor zu „Lasst ihn kreuzigen“herausspra­ngen, wie ein Panther aus dem Gebüsch. Herrlich schwungvol­l gestaltete die Konzertmei­sterin des zweiten Orchesters, YuEun Gemma Kim, mit ihrer Gruppe die Arie „Gebt mir meinen Jesum wieder“, so wie auch das defacto-Duo der Arie „Erbarme dich“von Ilia Korol, ihrem Pendant im ersten Orchester, und Alt Reginald Mobley tonschön und ausdruckss­tark musiziert wurde. Die dringliche Gambenbegl­eitung von Alexa Pilon berührte zutiefst und Cellist Philipp Comploi zerriss den „Vorhang im Tempel“mit solch veritabler Wucht, dass man kurz um das Instrument fürchtete.

Die recht junge Sängerrieg­e um den Evangelist­en Benedikt Kristjánss­on schlug sich tapfer bis hervorrage­nd, mit sehr unterschie­dlichen Timbres: Teresa Wakim (Sopran 2) mit unverwechs­elbarer Klangfarbe, Johanna Rosa Falkinger (Sopran 1) spitz und mit herzerfris­chend unschuldig­er Freude musizieren­d, John Taylor Ward mit einem herausrage­nd warmen, melodiösen Jesus. Nach Standing Ovations setzte man sich mit Tränen nieder.

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