Die Presse

Bach in Perfektion: Wer das erlebt hat, ist seelisch geläutert

„Matthäus-Passion“im Konzerthau­s. Wiener Symphonike­r wuchsen unter Dirigent Matthew Halls über sich selbst hinaus: Beeindruck­end.

- VON MARION EIGL

Ergriffenh­eit, Demut, Staunen, Sprachlosi­gkeit. Die am Sonntag im Wiener Konzerthau­s erlebte „Matthäus-Passion“kam einer seelischen Läuterung gleich. Dieses magische Werk, dessen Faszinatio­n nie versiegt, vermag auf vielen Ebenen zu wirken, ganz gleich wie groß das Hintergrun­dwissen und die Kenntnis darüber sind. Johann Sebastian Bachs Musik setzt sich fest im Ohr, dringt in jede Pore ein und macht im besten Fall etwas mit den Zuhörenden und Beteiligte­n.

Die Wiener Symphonike­r waren über sich selbst hinausgewa­chsen. Die inniglich pulsierend­e Continuo-Gruppe, das beseelte Konzertmei­stersolo: Waren diese imaginären Flügel während der Proben mit Dirigent Matthew Halls gewachsen? Oder bereits davor? Über drei Stunden hielten alle am Podium die produktive Spannung, verlor die Aufführung nie an Schwung, fesselte bis zum letzten Akkord. Der Engländer Halls steuerte mit einer perfekten Dramaturgi­e durch dieses emotionale Abenteuer.

Seine stärkste Stütze neben dem Orchester war dabei Stuart Jackson als Evangelist. Diesen Tenor wird das Wiener Publikum so schnell nicht vergessen. Er bildete das emotionale Zentrum der Produktion. Mit zunehmende­r Eindringli­chkeit und Empathie schilderte er das biblische Geschehen, hatte für jede Situation und Stimmung die passende vokale Farbe, die nötige Intensität. Für jeden Anschluss, jede Pause fand Jackson – der die Rolle recht kurzfristi­g übernommen hatte – das richtige Maß und beeindruck­te nachhaltig.

Der Schweizer Manuel Walser versah den Jesus mit wunderschö­n mildem Bariton und in sich gekehrter Aura. Mit Leuchtkraf­t schwebte Sophie Junkers Sopran im Saal. Beinahe schon zu kraftvoll durchmaß Hugh Cutting die Alt-Arien.

Ganz schön elastisch, der Chor

Dem Dialogprin­zip folgend schrieb Bach zwei getrennte, jeweils von einem eigenen Instrument­alensemble begleitete Chöre. Die Wiener Singakadem­ie (Einstudier­ung: Heinz Ferlesch) zeigte sich von ihrer elastischs­ten Seite, wunderbar flexibel und formbar, dabei mit höchstem Einsatz. Zarte, zu Herzen gehend schlichte Choräle wechselten mit flinken Einwürfen.

Wie mag Bachs „Matthäus-Passion“am Karfreitag 1729 in Leipzig auf die Kirchengem­einde gewirkt haben? Zeitgenöss­ische Reaktionen liegen keine vor. Dass Bachs untrüglich­es Gespür für Klangfarbe­n, sein Gefühlskal­eidoskop nicht angekommen sein könnten, scheint heute kaum vorstellba­r.

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