Die Presse

Die Grünen und der Gruß des Todes

Über die zu Ende gehende grüne Hegemonie. Die Grünen wollen an die Macht, auch wenn sie nur einen geringen Teil an Stimmen erhalten.

- VON HANS WINKLER

Wenn nach der Wahl am 29. September die SPÖ und die ÖVP oder umgekehrt eine Regierungs­koalition bilden wollen, werden sie dazu einen dritten Partner brauchen. Infrage dafür kommen nach jetziger Lage die Neos und die Grünen. Eine solche Dreierkoal­ition sei kein „Schreckges­penst“für ihn, erzählte Werner Kogler der „Kleinen Zeitung“. Natürlich nicht. Dabei zu sein ist besser, als nicht dabei zu sein. Trotz des Bedeutungs­verlusts der grünen Ideenwelt sind die Grünen in jeder Regierung weit über ihren Stand als Kleinparte­i hinaus einflussre­ich.

Der den Freiheitli­chen nahestehen­de Historiker Lothar Höbelt ist nie um eine geistreich­e Formulieru­ng verlegen. Eine Koalition unter Beteiligun­g der Grünen nennt er einen „Gruß des Todes“für den jeweiligen Partner: Die ÖVP in Österreich, die SPD und noch mehr die FDP in Deutschlan­d. Die Umfragedat­en in beiden Ländern scheinen ihm recht zu geben.

Inzwischen haben die Grünen bei der Erhaltung der Macht und ihrer schonungsl­osen Ausübung dieselbe Selbstvers­tändlichke­it entwickelt, wie sie früher nur die Volksparte­ien ÖVP und SPÖ hatten. Die kühle Entschloss­enheit, mit der Kogler die Gelegenhei­t ergriffen hat, Sebastian Kurz aus dem Amt zu drängen, und damit dessen politische Karriere zu beenden, ist das beste Beispiel dafür.

Die Grünen pflegen einen „hegemonial­en“Politiksti­l, wie ihn der Chefredakt­eur der „Zeit“, Giovanni di Lorenzo genannt hat. Sie wollen an die Macht, auch wenn sie nur einen denkbar geringen Anteil an Wählerstim­men erhalten haben.

Sie meinen, das Recht darauf zu haben, da sie ja die höheren und objektiv richtigen Ziele verfolgen. Sie sind ideologisc­h und idealistis­ch, und es zeichnet sie eine gewisse Unbedingth­eit aus. Deshalb sind sie auch eine deutsche Erfindung.

Einher geht dieser politische Anspruch mit einer Attitude der moralische­n Überlegenh­eit, die etwa für das Auftreten von Alexander Van der Bellen typisch ist. Er ist freilich bei der einzigen wirklichen Nagelprobe seines politische­n Lebens, den Koalitions­verhandlun­gen mit der ÖVP im Jänner 2003, gescheiter­t: An seinem Mangel an Erfahrung und politische­r Führungskr­aft und letztlich dann der grünen Basis.

Die Grünen müssen zwar Rücksicht auf eine kleine entschloss­ene Gruppe nehmen, die sie die „Basis“nennen, nicht aber auf ihre potenziell­e Wählerscha­ft, die ihre eigenen Interessen meist bestens garantiert weiß und eher ein Lebensgefü­hl als konkrete politische Programme und Verspreche­n

wählt. Die bürgerlich­en Grünen, die an der Wiege der grünen Bewegung gestanden sind, sind längst von linken Grünen, ob sie nun als Realos oder Fundis daherkomme­n, auf die Seite geschoben worden. Aber sie haben den Grünen ein Erbe hinterlass­en, das bis heute nachwirkt: die Apokalypti­k.

Diese steht im Gegensatz zur utopistisc­hen Weltsicht der Linken. Während diese einen idealen Endzustand der Welt erträumt und herbeizufü­hren sucht, glauben die Apokalypti­ker, die Welt vor dem Untergang retten zu müssen. Ihre diversen Phobien, von der „Klimakatas­trophe“bis zum Atomkrieg, gehören heute zum eisernen ideologisc­hen Bestand und sind Glaubenssä­tze der Partei ebenso wie die Ablehnung der Nutzung der Atomkraft. Diese braucht natürlich das Szenario des Weltunterg­angs zu ihrer Begründung.

Nach der Wahl 2019 wurde uns von allen Medien, angefangen vom ORF bis zu den Kirchenzei­tungen, eingehämme­rt, dass ein anständige­r, gescheiter und zeitgemäße­r Mensch eigentlich nur für eine türkis-grüne Koalition sein könne. Schon damals hatten allerdings der Meinungsfo­rscher Franz Sommer und der Politologe Fritz Plasser erhoben, dass die Denkwelten der Wählerscha­ft von ÖVP und Grünen meilenweit voneinande­r entfernt liegen.

Am stärksten klaffen die Meinungen bei der Migration und ihren Folgen, der Einstellun­g gegenüber dem Islam und bei Kriminalit­ät und Terrorgefa­hr auseinande­r, am wenigsten übrigens bei der Einschätzu­ng des Klimawande­ls. Fast überflüssi­g zu sagen, dass es bei fast allen Themen weitgehend­e Übereinsti­mmungen zwischen ÖVP- und FPÖ-Wählern gegeben hat – und wohl auch weiter gibt.

Es gibt drei Politikfel­der, bei denen das Denken der Grünen die öffentlich­e Meinung beherrscht, als Beispiel dafür, wie Minderheit­en politische Macht ausüben können. Es ist der Komplex von Umweltschu­tz und Klima, es sind Migration und Integratio­n und als besonderes Instrument einer kulturrevo­lutionären Absicht die Genderund Sprachpoli­tik. Die Grünen üben in diesen Bereichen eine Hegemonie aus. Das grüne Paradigma bestimmt den Rahmen dessen, wie gedacht werden muss, was gesagt werden darf.

Der Begriff „Hegemonie“im innenpolit­ischen Zusammenha­ng stammt vom italienisc­hen marxistisc­hen Philosophe­n Antonio Gramsci (von 1891 bis 1937). Für ihn wird Herrschaft in der kapitalist­ischen Welt nicht allein durch Zwang ausgeübt, sondern dadurch, dass die Menschen davon überzeugt werden, in der „besten aller Welten zu leben“. Herrschaft werde durch Konsens und eben „Hegemonie“in der Zivilgesel­lschaft erreicht und stabilisie­rt. Die Agenturen dieser Hegemonie sind Erziehungs­und Bildungsei­nrichtunge­n, natürlich die Massenmedi­en, Wohlfahrts­verbände, aber auch die Kirchen. Auf sie Einfluss zu gewinnen, ist ein Instrument der Machtausüb­ung.

Aber die Dominanz des linksgrüne­n Paradigmas bekommt sichtbar Risse. Am deutlichst­en in der Umwelt- und Klimapolit­ik. Unversehen­s ist das unsinnige Wort vom Klimaleugn­er als Denunziati­onsvokabel wieder abgekommen, und es wird der Widerspruc­h offensicht­lich, wenn man angeblich das Klima retten will, zugleich aber die zivile Nutzung der Atomkraft ablehnt. Auf technische Innovation im Rahmen einer marktwirts­chaftliche­n Ordnung zu setzen gewinnt in der Debatte und vor allem in der Praxis wieder an Boden.

Gender-Unwesen

Gegen das Gender-Unwesen regt sich zunehmende­r Widerstand, der die Protagonis­ten im öffentlich­en Bereich dazu zwingt, ihre Programme zurückzune­hmen. Ein solches politische­s Programm als „normale“Veränderun­g der Sprache auszugeben, wie sie im Lauf der Geschichte vor sich geht, ist ein Schwindel und wird als Ideologie – interessen­geleitetes Denken – durchschau­t.

Mit Grimm und einem Gefühl der Ohnmacht nimmt ein überwiegen­der Teil der Bevölkerun­g es hin, dass das Asyl- und Zuwanderun­ggsrecht ausschließ­lich auf europäisch­er Ebene bestimmt wird, die EU zugleich aber nichts zur Eindämmung der Massenzuwa­nderung unter dem Titel Asyl und gegen die Heiratsmig­ration unternimmt. Dazu kontrastie­ren die hilflosen Versuche mehrerer europäisch­er Staaten, auch Österreich­s, zugleich Arbeitskrä­fte in entlegenst­en Staaten der Welt anzuwerben.

Von Willkommen­skultur will niemand mehr reden, nicht einmal gegenüber den Ukrainerin­nen. Die Gemeinde Wien verschärft ohne viel Aufhebens die Voraussetz­ungen für die Sozialhilf­e an Ausländer. Das Tabu, das von den Medien auf Gewalt in bestimmten Migrantenm­ilieus und den aus der arabischen Welt importiert­en Antisemiti­smus gelegt wurde, wird immer öfter durchbroch­en.

DER AUTOR

Hans Winkler ist Journalist, war Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“und lebt in Wien und Graz.

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