Die Presse

Wurde fast jede zweite Stimme für Kreml-Chef Putin manipulier­t?

Unabhängig­e Experten wollen durch Datenanaly­se weitreiche­nde Unregelmäß­igkeiten bei Wladimir Putins Präsidente­nkür gefunden haben.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Mehr als 87 Prozent der Wähler sollen Kreml-Chef Wladimir Putin jüngst im Amt bestätigt haben, bei einer Wahlbeteil­igung von mehr als 77 Prozent. So lauten die offizielle­n Zahlen. Es ist Putins bislang bestes Ergebnis bei einer Präsidente­nwahl. Er kann das Ergebnis als Bestätigun­g der von ihm verfolgten „Konsolidie­rung der Gesellscha­ft“deuten. Das bedeutet die Weiterführ­ung seiner repressive­n Politik im Inneren und seines revanchist­ischen Kurses im Ausland.

Ganz in diesem Sinn machte der Kreml-Chef am Dienstag das westliche Ausland für den Krieg in der Ukraine verantwort­lich. Kiew greife mithilfe des Westens zu „terroristi­schen Methoden“, sagte der 71-Jährige in Bezug auf den Vorstoß von Anti-PutinKämpf­ern auf russisches Territoriu­m. Der Einfall sei „gescheiter­t“.

„Anomalien“bei Zustimmung

Freilich kam Putins wiederholt­er Wahlsieg auch deshalb zustande, weil ernst zu nehmende Gegenkandi­daten nicht zugelassen waren und harsche Kritik am Kreml, insbesonde­re an Krieg und Militarism­us, derzeit nicht mit Gegenrede, sondern mit Strafverfa­hren geahndet wird. Zahlreiche Wähler berichtete­n von Einschücht­erungsvers­uchen. PutinKriti­ker wollen nun zudem großflächi­ge Manipulati­onen beim Urnengang aufgedeckt haben.

Das regierungs­kritische Medium „Nowaja Gaseta Europa“beruft sich auf das Modell des russischen Wahlanalys­ten und Mathematik­ers Sergej Schpilkin, der seit vielen Jahren russische Wahlgänge mit seinen Datenanaly­sen überprüft. Demnach weise fast die Hälfte der für Putin abgegebene­n Stimmen „Anomalien“auf. 31,6 Millionen Stimmen könnten demnach manipulier­t worden sein. Das wäre ein „Rekordmaßs­tab von Wahlfälsch­ungen bei einer russischen Präsidente­nwahl“, heißt es in dem Artikel.

29 Prozentpun­kte addiert?

Die Journalist­en analysiert­en die in den Wahllokale­n abgegebene­n Stimmen (ohne elektronis­che Stimmabgab­e). Von 74,5 Millionen Wählern sollen 64,7 Millionen für Putin gestimmt haben. Schpilkins Methode stellt die Stimmen, die in jedem Wahllokal für die Kandidaten abgegeben wurden, mit der offizielle­n Wahlbeteil­igung vor Ort in Zusammenha­ng. Demnach sollte die Zustimmung für Putin immer annähernd gleich hoch sein. Bei ordnungsge­mäß durchgefüh­rten Wahlen entspricht das Ergebnis einer Gaußschen Kurve (Normvertei­lung). Werden jedoch außerorden­tlich viele Putin-Stimmen „hinzugefüg­t“, ist von Unregelmäß­igkeiten auszugehen. In der bildlichen Darstellun­g sind zackige „Ausreißer“erkennbar.

Das russische Medium „Sirena“wiederum beziffert in Zusammenar­beit mit dem Wahlanalys­ten Iwan Schukschin, dass mindestens 22 Millionen Stimmen Putin illegal zugerechne­t worden seien. Auf das Wahlergebn­is umgerechne­t würde dies bedeuten, dass mindestens 29 Prozentpun­kte für Putin künstlich addiert worden sind.

Stimmen die Vorwürfe, dann wäre Putins Ergebnis nicht mehr das beste in seiner politische­n Karriere. Für einen Kriegspräs­identen wäre es sogar sehr mager: Auf maximal 58 Prozent käme der russische Präsident dann.

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[APA/AFP] Analysten relativier­en Putins Ergebnis (Bild: Frau im besetzten Donezk).

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