Die Presse

Initiative­n für einen digitalen Humanismus

Experten warnen: Eine unkontroll­ierte Ausbreitun­g von digitalen Inhalten ist eine Gefahr für unsere Gesellscha­ft.

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Eine Welt aus den Angeln gehoben? „The system is failing“, warnt Tim Berners-Lee, Gründungsv­ater des World Wide Web. Die Monopolisi­erung des Internets, Manipulati­on, Meinungsbl­asen mit immer mehr extremisti­schen Inhalten: Die zügellose Digitalisi­erung schade den Menschen mehr als sie nutze, so Berners-Lee. Der Verlust der Privatsphä­re, verbunden mit Überwachun­gsfantasie­n auf der einen Seite und Verschwöru­ngstheorie­n auf der anderen Seite, lässt bei Forschern in aller Welt die Alarmglock­en läuten. Die Demokratie ist in Gefahr, denn immer mehr stehen wirtschaft­liche und politische Interessen über Ethik und Normen. „Wir müssen Technologi­en nach menschlich­en Werten und Bedürfniss­en formen, anstatt nur zuzulassen, dass Technologi­en Menschen formen“, so das Wiener Manifest für digitalen Humanismus: „Wir fordern einen digitalen Humanismus, der das Zusammensp­iel von Technologi­e und Menschheit beschreibt, analysiert und vor allem beeinfluss­t, für eine bessere Gesellscha­ft und ein besseres Leben unter voller Achtung universell­er Menschenre­chte“, so die Unterzeich­ner, Wissenscha­ftler von Universitä­ten und Hochschule­n in Wien, der EU, der Schweiz und den USA. „Kämpfen wir nicht um einen digitalen Humanismus, verlieren wir alles, was Europa stark macht“, sieht Simulation­sforscher Niki Popper von der TU Wien die Institutio­nen in Gefahr. Dem pflichtet auch Rechtsanwa­lt Martin Schiefer bei: „Niemand würde ein Atomkraftw­erk bauen ohne entspreche­nde Kühlsystem­e. Darum geht es beim digitalen Humanismus: mit den Möglichkei­ten der Digitalisi­erung verantwort­ungsvoll umzugehen.“

Neue Regulative gefragt

Damit das gelingt, muss der Gesetzgebe­r das Tempo steigern. Denn neue Technologi­en sind in der Regel bereits lang im Einsatz, bevor ein entspreche­ndes Regelwerk geschaffen wird. Bis aus Facebook oder X von Abermillio­nen genutzte soziale Netzwerke wurden, vergingen nur wenige Jahre – jede Legislatur­periode dauert länger. Nun proben die ersten Systeme auf der Basis von künstliche­r Intelligen­z (KI) den Durchbruch. Millionen von Menschen nutzen diese Umfragen zufolge bereits im Job und in der Freizeit. Die notwendige­n Regulative lassen jedoch auf sich warten. Der AI Act der Europäisch­en Union wurde erst vergangene Woche beschlosse­n, bis die Mitglieder die Vorgaben umsetzen, könnten noch einmal Monate und Jahre vergehen. Dazu kommt, dass der AI Act seit den ersten Entwürfen stark aufgeweich­t wurde – wohl auch, weil man in Brüssel befürchtet, dass die EU bei neuen Technologi­en ins Hintertref­fen geraten könnte. Unsinnig, meint Schiefer: „Warum muss man Gesetze und Moral missachten, um Erfolg zu haben?“In der Tat sind nur mündige Bürger und Konsumente­n gegen Angriffe auf die Demokratie geschützt. Das gilt es zu unterstütz­en – mit einem klaren Bekenntnis zum digitalen Humanismus.

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[Getty Images/gopixa] Digitale Inhalte ohne strenge Normen können einen Angriff auf Europas Werte darstellen.

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