Als Hitler die Bilder auf Höllenreise schickte
Das Lentos-Museum in Linz zeigt die seriöse Ausstellung zum Hollywoodfilm „Monuments Men“: Wie Tausende Kunstwerke aus Europa im Krieg ausgerechnet in die Stollen des Salzkammerguts kamen – und wieder heraus.
Man müsste einen Hollywoodfilm darüber drehen. Wenn es nicht schon einen gäbe: 2014 bereits kam „Monuments Men“in die Kinos, in dem George Clooney als US-Kunsthistoriker den von den Nazis gestohlenen weltberühmten Genter Altar vor den anmarschierenden Russen rettete. Aus dem Altausseer Salzbergwerk.
Eine wahre Geschichte, die in ihrer Dramatik und Reichweite sogar noch weiter ging, bis zur geplanten Sprengung der dort eingelagerten Meisterwerke, die nur knapp verhindert werden konnte. Dafür spielten in den letzten Kriegstagen einfache Arbeiter, der Salinen-Generaldirektor, die zuständigen Restauratoren und der österreichische SS-Chef Ernst Kaltenbrunner zusammen, der in Aussee bei seiner Geliebten untergeschlüpft war. Er lieferte sich mit dem völlig durchgedrehten Gauleiter von Oberdonau, August Eigruber, der die Sprengung befohlen hatte, ein Schreiduell am Telefon. „Wenn wir den Krieg verlieren, werfe ich persönlich Handgranaten in den Stollen“, soll Eigruber noch gebrüllt haben, bevor er resignierte. Und Meisterwerke wie Van Eycks Genter Altar, Michelangelos Brügger Madonna und Vermeers „Malkunst“einem Grab im Geröll entgingen.
An derartigen Schauergeschichten – allerdings, anders als im Film, seriös überprüft – ist die große Ausstellung des EU-Kulturhauptstadt-Jahres Salzkammergut, die heute im Lentos Linz eröffnet, nur allzu reich: „Die Reise der Bilder“böte reichlich Stoff für eine ganze Netflix-Serie zum Thema. Aber nicht nur die wissenschaftliche Expertise, die hier eingeflossen ist, beeindruckt. Auch die Leihgaben aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und den Wiener Museen sowie die Verankerung im Heute mit einer zentralen zeitgenössischen Installation der deutschen Künstlerin Henrike Naumann.
Schwierigste Ausstellung ihrer Karriere
Es sei die herausforderndste Ausstellung ihrer fast 40-jährigen Kuratorinnenzeit in diesem Linzer Museum gewesen, meint dazu Elisabeth Nowak-Thaller, die sich mit diesem Kraftakt auch verabschiedet. Zur Seite holte sie sich, klug, die firmste Wissenschaftlerin für Hitlers Kunstkriminalität: die deutsche Kunsthistorikerin Birgit Schwarz. Dicht an den dunkel verblendeten Wänden der großen Lentos-Halle, wo alle Exponate sich drängen, tastet man sich also entlang wie in einem (gefühlten) Stollen. Entlang all der politischen Entscheidungen („Führervorbehalt“), der nationalen Verstrickungen und raubenden, beraubten, helfenden, profitierenden Personen – von „Führer“-Einkäufer Hans Posse, Händler Wolfgang Gurlitt bis zum Opfer Aranka Munk. Denn nur all das gemeinsam konnte dazu führen, dass im Krieg ausgerechnet hier ein wesentlicher Teil der in Österreich und Deutschland beherbergten Meisterkunstwerke landete – in den dunklen Eingeweiden des Salzkammerguts.
Nicht nur in Altaussee, wo vor allem Hitlers private Sammlung unterkommen sollte – und dabei bei Weitem nicht nur, wie man annahm, für das „Führermuseum“gedacht war. 19 dieser Bilder, an einer Wand des Lentos versammelt, illustrieren Hitlers ideologischen „Geschmack“: antikische Idealfiguren, pathetische Landschaften, ein porzellanenes Waldmüller-Mädchen, das wahrlich unschuldig ist daran. Dass auch die Sammlung Schack aus München mit ihren von Hitler als „verkannt“bewunderten deutschen Malern der Romantik in Altaussee unterkam, war eher Zufall. Und dass auch geschätzte 22.000 Objekte Raubkunst aus Frankreich hier landeten, in nie ausgepackten Kisten, ist immer noch nicht aufgearbeitet.
Als Geheimnis gehütet wurde lang auch die Einlagerung der Sammlungen der Wiener Museen im nicht weit entfernten „Erbstollen“in Bad Ischl: 1000 Gemälde und 730 Kisten mit anderen Kunstobjekten waren es. Und noch ein weiterer „Bergungsort“wird hier vorgestellt: Stift Kremsmünster. „Gleichzeitig rollten aus West und Ost Woche um Woche die ersten Kunsttransporte in nicht abreißender Folge in Kremsmünster ein. Es war dies der Beginn der größten Kunstgüteranhäufung, der gewaltigsten Massenbewegung an Gemälden und Kunstwerken aller Art, die die Weltgeschichte bisher gekannt hat.“So beschrieb es später einer, der es gesehen hat, der zuständige Gau-Denkmalkonservator Franz Juraschek. Hier wurde ab 1941 die „Führersammlung“gelagert, bevor sie später in die Stollen in größere Sicherheit gebracht wurde. Der berühmte Tassilokelch aus Kremsmünster, ein österreichisches Nationalheiligtum, brachte Juraschek übrigens in einem Rucksack per Zug zurück in die Hände der von den Nazis vertriebenen Patres.
In der Mitte lauert Hitlers Ungeist
Am 18. April war das. Am 30. April brachte Hitler sich um. In der Mitte des Saales lauert er in Linz wie ein Ungeist : Die im damals ostdeutschen Zwickau geborene Henrike Naumann empfand hier das Empfangszimmer Hitlers am Obersalzberg nach. Mit einer absichtlich scheußlichen Kombination aus altdeutschen, biederen und postmodernen Möbeln. Eine schaurig-surreale Kulisse, bespickt mit übergroßen Messern und Gabeln, für die Naumann altes Nazi-Design und die Erinnerungen an ihre Jugend in den Neonazi-Neunzigern verschmolz. Im Hintergrund an den Wänden: die glühenden Berge, die Hitlers Innendesignerin Gerdy Troost ihm besorgt hatte. Und die ganze Kunst, die er sich zusammengeraubt und auf Höllenreise geschickt hat. Eine große, wichtige Ausstellung.