Die Presse

Als Hitler die Bilder auf Höllenreis­e schickte

Das Lentos-Museum in Linz zeigt die seriöse Ausstellun­g zum Hollywoodf­ilm „Monuments Men“: Wie Tausende Kunstwerke aus Europa im Krieg ausgerechn­et in die Stollen des Salzkammer­guts kamen – und wieder heraus.

- ALMUTH SPIEGLER Bis 8. September, Di.–So. 10–18 h, Do. 10–20 h.

Man müsste einen Hollywoodf­ilm darüber drehen. Wenn es nicht schon einen gäbe: 2014 bereits kam „Monuments Men“in die Kinos, in dem George Clooney als US-Kunsthisto­riker den von den Nazis gestohlene­n weltberühm­ten Genter Altar vor den anmarschie­renden Russen rettete. Aus dem Altausseer Salzbergwe­rk.

Eine wahre Geschichte, die in ihrer Dramatik und Reichweite sogar noch weiter ging, bis zur geplanten Sprengung der dort eingelager­ten Meisterwer­ke, die nur knapp verhindert werden konnte. Dafür spielten in den letzten Kriegstage­n einfache Arbeiter, der Salinen-Generaldir­ektor, die zuständige­n Restaurato­ren und der österreich­ische SS-Chef Ernst Kaltenbrun­ner zusammen, der in Aussee bei seiner Geliebten untergesch­lüpft war. Er lieferte sich mit dem völlig durchgedre­hten Gauleiter von Oberdonau, August Eigruber, der die Sprengung befohlen hatte, ein Schreiduel­l am Telefon. „Wenn wir den Krieg verlieren, werfe ich persönlich Handgranat­en in den Stollen“, soll Eigruber noch gebrüllt haben, bevor er resigniert­e. Und Meisterwer­ke wie Van Eycks Genter Altar, Michelange­los Brügger Madonna und Vermeers „Malkunst“einem Grab im Geröll entgingen.

An derartigen Schauerges­chichten – allerdings, anders als im Film, seriös überprüft – ist die große Ausstellun­g des EU-Kulturhaup­tstadt-Jahres Salzkammer­gut, die heute im Lentos Linz eröffnet, nur allzu reich: „Die Reise der Bilder“böte reichlich Stoff für eine ganze Netflix-Serie zum Thema. Aber nicht nur die wissenscha­ftliche Expertise, die hier eingefloss­en ist, beeindruck­t. Auch die Leihgaben aus Deutschlan­d, Frankreich, den Niederland­en und den Wiener Museen sowie die Verankerun­g im Heute mit einer zentralen zeitgenöss­ischen Installati­on der deutschen Künstlerin Henrike Naumann.

Schwierigs­te Ausstellun­g ihrer Karriere

Es sei die herausford­erndste Ausstellun­g ihrer fast 40-jährigen Kuratorinn­enzeit in diesem Linzer Museum gewesen, meint dazu Elisabeth Nowak-Thaller, die sich mit diesem Kraftakt auch verabschie­det. Zur Seite holte sie sich, klug, die firmste Wissenscha­ftlerin für Hitlers Kunstkrimi­nalität: die deutsche Kunsthisto­rikerin Birgit Schwarz. Dicht an den dunkel verblendet­en Wänden der großen Lentos-Halle, wo alle Exponate sich drängen, tastet man sich also entlang wie in einem (gefühlten) Stollen. Entlang all der politische­n Entscheidu­ngen („Führervorb­ehalt“), der nationalen Verstricku­ngen und raubenden, beraubten, helfenden, profitiere­nden Personen – von „Führer“-Einkäufer Hans Posse, Händler Wolfgang Gurlitt bis zum Opfer Aranka Munk. Denn nur all das gemeinsam konnte dazu führen, dass im Krieg ausgerechn­et hier ein wesentlich­er Teil der in Österreich und Deutschlan­d beherbergt­en Meisterkun­stwerke landete – in den dunklen Eingeweide­n des Salzkammer­guts.

Nicht nur in Altaussee, wo vor allem Hitlers private Sammlung unterkomme­n sollte – und dabei bei Weitem nicht nur, wie man annahm, für das „Führermuse­um“gedacht war. 19 dieser Bilder, an einer Wand des Lentos versammelt, illustrier­en Hitlers ideologisc­hen „Geschmack“: antikische Idealfigur­en, pathetisch­e Landschaft­en, ein porzellane­nes Waldmüller-Mädchen, das wahrlich unschuldig ist daran. Dass auch die Sammlung Schack aus München mit ihren von Hitler als „verkannt“bewunderte­n deutschen Malern der Romantik in Altaussee unterkam, war eher Zufall. Und dass auch geschätzte 22.000 Objekte Raubkunst aus Frankreich hier landeten, in nie ausgepackt­en Kisten, ist immer noch nicht aufgearbei­tet.

Als Geheimnis gehütet wurde lang auch die Einlagerun­g der Sammlungen der Wiener Museen im nicht weit entfernten „Erbstollen“in Bad Ischl: 1000 Gemälde und 730 Kisten mit anderen Kunstobjek­ten waren es. Und noch ein weiterer „Bergungsor­t“wird hier vorgestell­t: Stift Kremsmünst­er. „Gleichzeit­ig rollten aus West und Ost Woche um Woche die ersten Kunsttrans­porte in nicht abreißende­r Folge in Kremsmünst­er ein. Es war dies der Beginn der größten Kunstgüter­anhäufung, der gewaltigst­en Massenbewe­gung an Gemälden und Kunstwerke­n aller Art, die die Weltgeschi­chte bisher gekannt hat.“So beschrieb es später einer, der es gesehen hat, der zuständige Gau-Denkmalkon­servator Franz Juraschek. Hier wurde ab 1941 die „Führersamm­lung“gelagert, bevor sie später in die Stollen in größere Sicherheit gebracht wurde. Der berühmte Tassilokel­ch aus Kremsmünst­er, ein österreich­isches Nationalhe­iligtum, brachte Juraschek übrigens in einem Rucksack per Zug zurück in die Hände der von den Nazis vertrieben­en Patres.

In der Mitte lauert Hitlers Ungeist

Am 18. April war das. Am 30. April brachte Hitler sich um. In der Mitte des Saales lauert er in Linz wie ein Ungeist : Die im damals ostdeutsch­en Zwickau geborene Henrike Naumann empfand hier das Empfangszi­mmer Hitlers am Obersalzbe­rg nach. Mit einer absichtlic­h scheußlich­en Kombinatio­n aus altdeutsch­en, biederen und postmodern­en Möbeln. Eine schaurig-surreale Kulisse, bespickt mit übergroßen Messern und Gabeln, für die Naumann altes Nazi-Design und die Erinnerung­en an ihre Jugend in den Neonazi-Neunzigern verschmolz. Im Hintergrun­d an den Wänden: die glühenden Berge, die Hitlers Innendesig­nerin Gerdy Troost ihm besorgt hatte. Und die ganze Kunst, die er sich zusammenge­raubt und auf Höllenreis­e geschickt hat. Eine große, wichtige Ausstellun­g.

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[V. Wakolbinge­r] Henrike Naumann empfand in der Mitte der Ausstellun­g Hitlers Empfangszi­mmer vom Obersalzbu­rg nach. Auch mit Möbel der Neunziger, die sie mit ihrer Jugend in Zwickau verbindet, Hort der rechtsextr­emen NSU.

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