Damit konnte Heller nicht rechnen
Jimmy Webb verlor seine Stimme, Saxofonistin Lakecia Benjamin nützte ihre in besonders intensiver Weise. Ein Abend des Staunens in Hamburg.
André Heller wollte uns Musiknarren zum Staunen bringen, indem er seinen alten Songwriterhelden Jimmy Webb zum von ihm kuratierten Reflektor-Festival in die Hamburger Elbphilharmonie einlud. Immerhin hat er als junger Mann mit der sensiblen Interpretation von Webbs „The Name of My Sorrow“seine Liebe zum „Schubert des Popsongs“schon früh demonstriert. Der mittlerweile 77-jährige Amerikaner, dem wir Klassiker wie „Wichita Lineman“und „By the Time I Get to Phoenix“verdanken, war tatsächlich in der Hansestadt.
Freilich konnte niemand damit rechnen, dass er hier jäh die Stimme verliert. Vor dem anberaumten Konzertbeginn standen zwei freundliche Damen vor dem prachtvollen Konzertgebäude und taten ihr Möglichstes, um den Unmut der von nah und fern angereisten Musikfeinschmecker abzufedern. Aktueller Status ist, dass Webbs spätes Deutschlanddebüt am 3. Juni stattfinden soll.
Einige Glückliche kamen nach dieser Enttäuschung noch im großen Saal bei Saxofonistin Lakecia Benjamin unter. Die heuer zweifach Grammy-nominierte New Yorkerin absolvierte ein Gastspiel, das nichts mit Hellers mit wissender Hand programmiertem Festival zu tun hatte. Sie wollte, so sagte sie, der Elbphilharmonie das Dach mit wildem Spiel wegsprengen.
Mit Rap und Saxofon
Das passierte so dann doch nicht. Aber sie peitschte die notorisch kühlen Hamburger gnadenlos in Richtung laut geäußerter Begeisterung. Grund, irgendwie reserviert zu sein, gab es keinen. Alles war makellos. Dabei hat sich die 41-Jährige erst vor einigen Jahren als Jazzgröße etabliert. Viele Jahre spielte sie hauptsächlich R&B, Funk sowie in Hip-Hop-Bands wie The Roots. Zur Vollblutjazzerin wurde sie mit einem Album, auf dem sie John Coltrane und dessen Frau, Alice, die viel zu lang im Schatten der Ikone stand, scharf klingend Reverenz erwies. Ihr aktuelles Werk „Phoenix“ stellt Frauen aus Politik, Poesie und Musik in den Mittelpunkt.
Gleich die erste Nummer „Amerikkan Skin“, die drei k stehen für Ku-Klux-Klan, führte schroff tönend an die dunkle Seite der dortigen Gesellschaft. Mit großem Furor rappte Benjamin die Worte der lang dienenden Bürgerrechtlerin Angela Davis und verstärkte selbige mit gefährlichen Riffs am Altsaxofon. Rassismus ist offenbar ein Phänomen, das mit jeder neuen Generation neu ersteht und somit bekämpft werden muss. Nicht zuletzt mit den Mitteln der Kunst.
Benjamin hatte aber auch versöhnliche Klänge im Repertoire. Das alte Kirchenlied „Amazing Grace“etwa. Der richtige Klang kann selbst arme Sünder, wie es im Lied heißt, retten. Die sich sonst so gerne wild gebende Benjamin ging sehr zärtlich mit der alten Melodie um. Heiterkeit lenkte sie bei „My Favorite Things“, das einst Coltrane verspielt aufnahm. An die Spiritualität des alten Meisters dockte sie am Ende an. Intensiver kann man „A Love Supreme“nicht spielen.