Die Presse

Wieso ein Zitierverb­ot für Medien ein Problem wäre

Bis 30. Juni muss die Reparatur des Medienpriv­ilegs erfolgen. Passiert nichts, hat das ernste Folgen für die Pressefrei­heit.

- VON NIKOLAUS FORGÓ

In der Politik sind Tauschgesc­häfte, gerade unter Regierungs­parteien, üblich. Will die eine an einer Stelle etwas durchsetze­n, muss sie der anderen an anderer Stelle entgegenko­mmen. So weit, so normal. Dieses politische Geschäft kann jedoch so nicht funktionie­ren, wenn eine der beiden Positionen gar nicht verhandelb­ar ist, weil sie durch geltendes Recht zwingend vorgegeben ist. Dann wird das Tauschgesc­häft zum Taktikspie­l, zu einer Machtdemon­stration oder zu einem „anything goes“, das dem Rechtsstaa­t schadet. Es sieht so aus, als würden wir so etwas gerade erleben.

Artikel 85 Abs. 1 der Datenschut­zgrundvero­rdnung (DSGVO) lautet nämlich: „Die Mitgliedst­aaten bringen durch Rechtsvors­chriften das Recht auf den Schutz personenbe­zogener Daten […] mit dem Recht auf freie Meinungsäu­ßerung und Informatio­nsfreiheit […] in Einklang.“Erforderli­ch ist, wie unmittelba­r einsichtig, eine Rechtsvors­chrift, ein sogenannte­s

Medienpriv­ileg; also ein Gesetz, das ein Grundrecht – Meinungsun­d Informatio­nsfreiheit – mit einem anderen – Datenschut­z – in Ausgleich bringt. Das ist eine zwingende, nicht verhandelb­are Verpflicht­ung für jeden Mitgliedst­aat. Zweierlei ist daher verboten: Nichtstun einerseits und die komplette Verdrängun­g des einen Grundrecht­s durch das andere anderersei­ts.

Der erste österreich­ische Versuch zur Wahrnehmun­g dieser Verpflicht­ung in Form des § 9 Abs. 1 Datenschut­zgesetz (DSG) verstieß kraft Inkrafttre­tens in allerletzt­möglicher Minute zwar nicht gegen das erste, sehr wohl aber gegen das zweite Gebot: Er brachte nichts in Einklang, sondern agierte wie die Axt im Walde. Die österreich­ische Bestimmung, die auf umfangreic­hes Lobbying durch Medienunte­rnehmen zurückzufü­hren sein soll, war einerseits viel zu eng, weil sie nur klassische Medienunte­rnehmen erfasst, nicht aber Blogger, Bürgerjour­nalistInne­n usw. Anderersei­ts war sie aber auch viel zu weit, weil sie die Anwendung der DSGVO und des DSG für Medienunte­rnehmen einfach insgesamt (so gut wie) komplett ausschloss.

Für Reparatur war Zeit genug

Es war deshalb in keiner Weise überrasche­nd, dass der VfGH diese Rechtswidr­igkeit am 14. Dezember 2022 auch feststellt­e. „Der in § 9 Abs. 1 DSG normierte, absolute und gänzliche – und damit undifferen­zierte – Ausschluss der Anwendung aller (einfachges­etzlichen) Regelungen des Datenschut­zgesetzes sowie der [DSGVO] auf […] Datenverar­beitungen zu journalist­ischen Zwecken […] widerspric­ht dem […] Erforderni­s, dass der Gesetzgebe­r das Interesse am Schutz personenbe­zogener Daten mit dem Interesse […] im Rahmen […] journalist­ischer Tätigkeit sachgerech­t abzuwägen hat. […] § 9 Abs. 1 DSG erweist sich daher aus den dargestell­ten Gründen als verfassung­swidrig.“

Der VfGH sah, wie dies nicht unüblich ist, eine mehr als achtzehnmo­natige Übergangsf­rist bis zum 30. Juni 2024 zur Reparatur dieser Verfassung­swidrigkei­t

vor, um dem Gesetzgebe­r ausreichen­d Zeit für eine wohlüberle­gte Neufassung zu geben. Denn es geht um komplizier­te Fragen der Abwägung zwischen konfligier­enden Grundrecht­en. Bis dahin gilt die bisherige Rechtslage weiter.

Die achtzehnmo­natige Reparaturf­rist wurde jedoch bisher nicht genutzt. Seit Dezember 2022 können sich Medienunte­rnehmen damit weiterhin auf ein Medienpriv­ileg berufen, das als verfassung­swidrig längst festgestel­lt ist – und damit im Ergebnis weiterhin so tun, als gälten für sie die DSGVO und das DSG nicht.

Zitierverb­ot ist problemati­sch

Nun gibt es zwar, wie man hört, spät, aber doch, einen internen Gesetzgebu­ngsreparat­urvorschla­g der zuständige­n Justizmini­sterin, der aber bisher nicht öffentlich ist. Ob sich eine termingere­chte und ausreichen­de Reparatur in den letzten drei Monaten der Frist noch realisiere­n ließe, wäre daher vermutlich selbst dann ungewiss, wenn die Koalitions­parteien ab sofort an einem Strang zögen und den parlamenta­rischen Prozess umgehend – am besten heute – begännen. Was jedoch derzeit zu geschehen scheint, ist eine in einem Artikel der „Presse“vom 26. Dezember 2023[1] durch die weder für den Datenschut­z noch für das Strafproze­ssrecht zuständige Verfassung­sministeri­n bereits angekündig­te Verknüpfun­g der Reparatur des Medienpriv­ilegs einerseits mit etwas ganz anderem, nämlich einem strafrecht­lichen Zitierverb­ot, anderersei­ts.

Angeblich – so schreibt der „Falter“[2] – soll es die Zustimmung der ÖVP zum einen, zwingend Erforderli­chen, nicht ohne Zustimmung zum anderen – vorsichtig gesagt: umstritten­en – Vorhaben geben. Es gebe, so hört man, eine Junktimier­ung. Und da es gute politische und noch bessere rechtliche Gründe gibt, ein strafrecht­liches Zitierverb­ot für problemati­sch zu halten [3], und sich in den letzten Monaten an diesen Gründen nichts geändert hat, mag darin der Grund zu suchen sein, dass auch seit der Lancierung des möglichen Junktims vor bald drei Monaten in Sachen Medienpriv­ileg nichts in der Öffentlich­keit

Erkennbare­s geschehen ist.

Wir fassen zusammen: Seit Mai 2018 – also seit fast sechs Jahren – hätte es eine bereits 2016 – vor acht Jahren – eingeführt­e, 2012 – vor zwölf Jahren – vorgeschla­gene Verpflicht­ung gegeben, die Medienfrei­heit mit dem Grundrecht auf Datenschut­z in rechtskonf­ormen Einklang zu bringen. Diese Verpflicht­ung blieb bisher unerfüllt.

Seit Dezember 2022 – also seit 15 Monaten – besteht eine Verpflicht­ung, einen höchstgeri­chtlich festgestel­lt verfassung­swidrigen Zustand zum Medienpriv­ileg zu reparieren. Auch diese Verpflicht­ung blieb bisher unerfüllt.

Stimmen die Informatio­nen zum Junktim und passiert bis zum 30. Juni 2024 weiterhin nichts, weil die Justizmini­sterin und/oder das Parlament einem strafrecht­lichen Zitierverb­ot trotz des Junktims nicht zustimmen – wofür sehr gute Gründe sprechen –, dann ist § 9 Abs. 1 DSG endgültig und ersatzlos außer Kraft. Das bedeutet, dass es dann kein datenschut­zrechtlich­es Medienpriv­ileg mehr gibt. Österreich kippt dann von dem einen Extrem – fast komplette Verdrängun­g des Datenschut­zes im Medienbere­ich – in das andere – fast komplette Verdrängun­g der Informatio­nsund Meinungsfr­eiheit. Das wäre ebenfalls ein unhaltbare­r Zustand und würde die ohnehin schon angeschlag­ene Meinungsun­d Informatio­nsfreiheit in Österreich weiter schädigen: Wie soll, zum Beispiel, Investigat­ivjournali­smus funktionie­ren, wenn der, gegen den recherchie­rt wird, Auskunft zur Recherche verlangen, dieser widersprec­hen und Löschung beantragen könnte? Wie soll die Datenschut­zbehörde mit (ggf. strategisc­h koordinier­ten) massenhaft­en Beschwerde­n gegen Medienunte­rnehmen umgehen können? Wie soll ein Recht auf Vergessenw­erden durch ein Medienunte­rnehmen realisiert werden? Und so weiter. Die Konsequenz­en wären ebenso weitreiche­nd wie absurd wie rechtswidr­ig.

Bewusste Inkaufnahm­e

Das sind keine Kleinigkei­ten. Wir erleben, wenn nicht sehr bald die Reform des Medienpriv­ilegs in die Gänge kommt, die bewusste Inkaufnahm­e einer offensicht­lichen und andauernde­n Ignoranz europaund verfassung­srechtlich zwingender Vorgaben an den sensibelst­en Stellen unseres Staates in (doppelten) Vorwahlzei­ten. Wie soll man so Vertrauen in den Rechtsstaa­t aufrechter­halten können?

 ?? ?? Prof. Dr. Nikolaus Forgó (*1968) ist Vorstand des Instituts für Innovation und Digitalisi­erung im Recht an der Universitä­t Wien und Expertenmi­tglied des Datenschut­zrats der Universitä­t Wien.
Prof. Dr. Nikolaus Forgó (*1968) ist Vorstand des Instituts für Innovation und Digitalisi­erung im Recht an der Universitä­t Wien und Expertenmi­tglied des Datenschut­zrats der Universitä­t Wien.

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