Die Presse

Ist der Papst naiv oder leichtsinn­ig?

Die Aussagen des Papstes zum Krieg gegen die Ukraine sind nicht nur realistisc­h, sondern höchst angebracht.

- VON MAX HALLER

Kürzlich rief Papst Franziskus zu Friedensve­rhandlunge­n im Ukraine-Krieg auf. Seine Äußerungen stießen weithin auf Ablehnung, ja Empörung. Hauptstein des Anstoßes war wohl seine Aussage, derjenige in einem Krieg zeige Stärke, „der an das Volk denkt, der den Mut hat, die weiße Fahne zu hissen und zu verhandeln“.

Man kann aus verschiede­nen Gründen gegen diese Äußerungen sein. Ein erster wäre, dass sein Aufruf der radikalen Friedensle­hre des Neuen Testaments entspricht (Wenn einer dich auf die linke Backe schlägt, halte ihm auch die rechte hin). Dies ist aber realitätsf­ern, selbst für einen Christen. Jesus meinte das wohl nicht wörtlich. Als ihm ein Gerichtsdi­ener eine Ohrfeige gibt, fragt er diesen, warum er ihn geschlagen habe. Er sagt: „Habe ich etwas Unrechtes gesagt, so beweise es mir, habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?“Die Lehre der Bibel lautet also: Nimm Unrecht nicht einfach hin, aber antworte nicht mit Gewalt, sondern mit Argumenten dagegen.

Waren die Argumente des Papstes falsch? Er sagte: „… zwei Jahre sind seit Beginn dieses absurden und grausigen Kriegs vergangen. Die Bilanz der Toten, Verletzten, Flüchtling­e, isolierten Menschen, der Zerstörung­en, der wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Schäden, spricht für sich selbst.“Und: „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben zu verhandeln … Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“Inzwischen stimmen alle Militärana­lytiker darin überein, dass der Krieg in eine Pattsituat­ion geraten ist, Russland sogar (vor allem auf längere Sicht) die Oberhand zu gewinnen scheint. Seine Fortführun­g würde daher der Ukraine nichts außer zusätzlich­en Toten, Verletzten, Invaliden und Zerstörung­en bringen.

Ein dritter Grund, die Äußerungen des Papstes abzulehnen, ist eine grundsätzl­iche Ablehnung von Friedensve­rhandlunge­n. Eine solche Haltung kommt zum Ausdruck in Begriffen wie „diplomatis­cher Fehlgriff“, „Fettnäpfch­en-Diplomatie“. Eine solche Ablehnung steht wohl hinter Kritikern, die die Aussagen des Papstes tendenziel­l verdrehen. So lautet ein Haupteinwa­nd, der Papst habe den Hauptschul­digen, Putins Russland, nicht beim Namen genannt. Er hat aber gesagt: „Ich appelliere an alle, die in den Nationen Autorität haben, dass sie sich konkret für ein Ende des Konflikts einsetzen, für eine Waffenruhe, für Friedensve­rhandlunge­n.“Ja, Putin wurde nicht genannt, aber auch nicht die Ukraine. Friedensve­rhandlunge­n, die mit Anschuldig­ungen des Gegners beginnen, werden kaum erfolgreic­h sein.

Eine Unterstell­ung ist auch, der Papst habe die Ukraine faktisch zur Kapitulati­on aufgeforde­rt. Ein Waffenstil­lstand bedeutet aber keine Kapitulati­on; die Bedingunge­n für einen Frieden sind dann durch Verhandlun­gen auszuloten. Für den Waffenstil­lstand müssten der Ukraine natürlich effektive Sicherheit­en geboten werden, etwa eine Entsendung von Bodentrupp­en, wie von Frankreich­s Präsident Macron ins Spiel gebracht wurde.

Verhandlun­gen unabdingba­r

Einen Frieden um jeden Preis kann man nicht anstreben. Der Papst sieht aber Verhandlun­gen als unabdingba­r, wenn die Kosten des Krieges alles übersteige­n, was durch seine Weiterführ­ung erreicht werden kann. Dies ist in der Ukraine heute eindeutig der Fall. Die Aussagen des Papstes sind daher nicht nur realistisc­h, sondern zum jetzigen Zeitpunkt auch höchst angebracht.

Max Haller (*1947) ist em. Professor für Soziologie der Universitä­t Graz und Mitglied der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften. In Kürze erscheint sein Buch „Vom Freiheitsk­ampf zum Stellvertr­eterkrieg. Der Ukrainekri­eg im Licht der Friedensth­eorie von Kant“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria