Die riskante EU-Wette auf den Erfolg der Ukraine
Die EU kommt aus ihrem Beitrittsversprechen an Kiew nicht mehr heraus. Aber sie bremst nun mit der Ankündigung einer schrittweisen Eingliederung.
Die Stimmen werden lauter. Wo hat sich die EU da hineinreiten lassen? Warum hat sie sich nur in diesen Konflikt eingemischt? Die Fragen sind berechtigt, aber die Entscheidung ist gefallen, als Russland seine militärische Invasion der Ukraine begonnen hat. Und es war damals eine Abwägung zwischen den Folgen eines Passivbleibens und jenen einer begrenzten Intervention mit Sanktionen gegen den Angreifer und Hilfen für das Opfer. Auch wenn Moskau dies gern so darstellt, war die Ausweitung des Einflussgebiets der EU nicht die vorrangige Motivation. Es war vielmehr die berechtigte Angst osteuropäischer Mitgliedstaaten vor den Expansionsgelüsten der russischen Führung.
Wer diese Vorgeschichte anerkennt, versteht besser, warum es in der EU in Folge eine Dynamik immer neuer Beschlüsse über Sanktionen gegen Russland, ein 50 Mrd. Euro schweres Paket zum Wiederaufbau der Ukraine, Hilfe bei der Aufrüstung sowie eine Beitrittsperspektive für das Land gegeben hat. Denn irgendwann musste die EU auf einen Erfolg der Ukraine wetten, um zumindest eine Chance zu haben, eines Tages politisch wie finanziell positiv zu bilanzieren. Es ist zweifellos eine riskante Wette. Und eine, deren Einsatz sich nach und nach erhöht hat.
Was war und was ist die Alternative? Sie könnte nur ein Ende der Solidarität mit diesem angegriffenen Land bedeuten, die Kapitulation vor Putins Bruch des Völkerrechts, eine Gefährdung osteuropäischer Staaten. Jene, die derzeit nach Friedensverhandlungen rufen, verdienen zwar Respekt. Aber dieser beste aller Lösungsversuche war schon zu Zeiten des langen Tischs im Kreml wenig erfolgreich, weil Putin kein ehrliches Interesse daran hat.
Es bleibt der EU heute nichts übrig, als darauf zu setzen und zu helfen, dass die Ukraine diesen Krieg als staatliche Einheit übersteht. Um den auf diese Weise erkämpften Frieden abzusichern, wird das Land dann eine neue Verankerung brauchen. Wer auch hier die Alternative in Betracht zieht, muss sich eingestehen, dass ohne diese Verankerung im Westen ein neuer Angriff auf die Ukraine nur eine Frage der Zeit wäre.
EU-Erweiterungen waren schon in der Vergangenheit eine Antwort auf veränderte politische Rahmenbedingungen. Das war so nach dem Ende der Diktaturen in Griechenland, Spanien und Portugal, aber auch nach der politischen Wende in Osteuropa. Die Verankerung in der EU hat diesen Ländern Stabilität und damit auch innere und äußere Sicherheit gebracht.
Der Beschluss aller 27 Regierungen zu Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine war denn auch ein logischer und unausweichlicher. Aber er bleibt riskant. Nicht nur, weil hiermit zu negative Erwartungen in Moskau und zu positive in Kiew geschürt werden. Vor allem, weil die Ukraine ein riesiges, in noch immer korrupten Strukturen vernetztes Land ist. Und auch, weil seine riesige Landwirtschaft mit der EU-Agrarpolitik kaum kompatibel ist.
Es verwundert nicht, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die zur großen Fürsprecherin dieses ukrainischen Beitritts wurde, plötzlich auf die Bremse steigt. Ihr am Mittwoch vorgestellter Plan für eine schrittweise Integration künftiger Mitgliedstaaten in Binnenmarkt und weitere EU-Politikbereiche ist nicht nur eine wahltaktische Beruhigungspille an aufgebrachte Bauern. Sie ist auch der Versuch, das Risiko zu minimieren, das ein sofortiger Vollbeitritt des 44 Millionen Einwohner zählenden Landes mit großem wirtschaftlichen Aufholbedarf bedeuten würde.
Von der Leyen und ihre Kommission verpackten dies in die Ankündigung, dass vor einer Erweiterung noch interne Reformen in der EU notwendig wären. Das ist weder neu noch ehrlich gemeint. Denn eine tiefgehende Reform der EU wurde so inflationär angekündigt, dass kaum noch jemand daran glauben kann. Sie dürfte in dieser Situation auch nur diplomatische Rhetorik sein, um das damit verzögerte Beitrittsversprechen an Kiew charmanter als durch den Hinweis auf die mangelnde Beitrittsreife des Landes zu verkaufen.
Die Dynamik einer gegenseitigen Abhängigkeit, die mit diesem Krieg begonnen hat, wird das taktische Manöver allerdings nicht beenden.