Die Presse

Geflüchtet, minderjähr­ig – und keiner ist zuständig

Türkis-Grün wollte Obsorgever­fahren für Minderjähr­ige, die unbegleite­t nach Österreich kommen, beschleuni­gen. Passiert ist das nicht, die Länder bremsen. Doch es gibt Lösungsans­ätze.

- VON ELISABETH HOFER

Wer kümmert sich darum, dass sie in die Schule gehen? Wer entscheide­t über medizinisc­he Behandlung­en? Wer vertritt sie in Rechtsfrag­en? Wer kümmert sich um ihre Erziehung? Zusammenge­fasst : Wem obliegt die Obsorge? Diese Frage sollte eigentlich im Hinblick auf alle Kinder und Jugendlich­en in Österreich klar beantwortb­ar sein. Ist sie aber nicht. Bei jenen Minderjähr­igen, die als unbegleite­te Flüchtling­e herkommen, bleibt sie oft sehr lang offen, kritisiert die Asylkoordi­nation Österreich – länger als in den allermeist­en anderen EU-Staaten. Laut einem Bericht der EU-Grundrecht­eagentur von 2021 bildet Österreich gemeinsam mit Frankreich und Luxemburg das europaweit­e Schlusslic­ht. Hier dauert es mehr als einen Monat, bis die Obsorge unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling­e (UMF), die in Österreich ankommen, geklärt ist.

Entspreche­nd der Kinderrech­tskonventi­on der Vereinten Nationen dürfte das nicht so sein. Laut ihr sollten Kinder von Anfang an, also ab ihrer Ankunft oder Identifizi­erung als UMF, Obsorgeber­echtigte haben. Nun ist es nicht so, dass es dafür in Österreich kein Problembew­usstsein gibt. Allen Akteuren ist klar, dass die eingangs genannten Fragen bezüglich Bildung, Erziehung und rechtliche­r Vertretung nicht nur für die Minderjähr­igen selbst, sondern auch für eine gelungene Integratio­n von Bedeutung sind. Entspreche­nd hat sich die türkis-grüne Regierung zum Ziel gesetzt, Verbesseru­ngen vorzunehme­n. Im Regierungs­programm steht: „Schutz und Rechtsstel­lung von geflüchtet­en Kindern verbessern: Schnelle Obsorge für unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e (UMF) durch die Kinder- und Jugendhilf­e und Berücksich­tigung des Kindeswohl­s im Asylverfah­ren; besonderes Augenmerk im Asylverfah­ren auf UMF.“

Nicht umgesetzt

Umgesetzt worden ist das ein halbes Jahr vor Ende der Legislatur­periode noch nicht. Und das, obwohl ein Gesetzesen­twurf für die Obsorge durch die Kinder- und Jugendhilf­e ab Tag eins laut „Presse“-Informatio­nen seit geraumer Zeit im Justizmini­sterium liegt. Die Länder aber dürften sich dagegen wehren – nicht ganz ohne Grund. Was ist los? Um das zu verstehen, muss man wissen, dass die Kinder- und Jugendhilf­e und damit die Obsorge unter Schwarz-Blau (und mit Zustimmung der SPÖ) „verländert“wurde. Im Regelfall sollte der Prozess nun so laufen: Nachdem die UMF nach Österreich gekommen sind, stellen sie einen Asylantrag und kommen in die Bundesbetr­euung. Wenn das Verfahren eröffnet ist, wechseln sie in die Landesbetr­euung. Dort beantragt dann die zuständige Kinder- und Jugendhilf­e die Obsorge.

Allerdings stoßen die Länder bzw. die Betreuungs­organisati­onen, mit denen sie zusammenar­beiten, immer mehr an ihre Grenzen. Zum einen sind die Tagsätze für UMF etwa um die Hälfte niedriger als für andere Kinder, die von der Kinder- und Jugendhilf­e betreut werden. Zum anderen fehlt es an Personal. Aus diesen Gründen bleiben die Kinder und Jugendlich­en oft lang ohne Obsorge in der Bundesbetr­euung, etwa in Traiskirch­en. Dort ist man allerdings nicht darauf ausgericht­et, ihnen eine altersadäq­uate Tagesstruk­tur zu bieten, etwa Bildungs-, Sport- oder Freizeitan­gebote bereitzust­ellen.

Mehr Geld, mehr Personal

Um das Problem zu lösen, gibt es mehrere Ansätze. Doch gerade vor der Wahl scheinen alle Seiten zu zögern, das Thema anzugehen. Man könnte etwa die entspreche­nde 15a-Vereinbaru­ng auflösen und die Zuständigk­eit wieder in den Bund holen. Dort brauchte es aber mehr Geld – genauso wie in den Ländern. Um Anreize für die Übernahme der Obsorge zu schaffen, rechnet man in Regierungs­kreisen mit etwa 20 bis 30 Millionen Euro im ersten Jahr, danach weniger.

Christian Oxonitsch, Bereichssp­recher für Integratio­n sowie Kinder und Kinderrech­te der SPÖ, wünscht sich „in einem ersten Schritt, dass Familienmi­nisterin Susanne Raab einmal die Länder an einen Tisch holt, um über die Situation zu beraten“. Die Personalkn­appheit könnte laut ihm etwa bekämpft werden, indem die Studienplä­tze für Sozialarbe­it an den Fachhochsc­hulen erhöht werden. Entspreche­nde Nachfrage gebe es nämlich durchaus.

Auch die Anhebung der Tagsätze für UMF könnte dem Vernehmen nach noch vor dem Sommer passieren. Aus dem Innenminis­terium (BMI) heißt es dazu auf „Presse“-Anfrage: „Vom BMI wird nach einem entspreche­nden Beschluss der Landesflüc­htlingsref­erentenkon­ferenz der Abschluss einer Zusatzvere­inbarung zur Grundverso­rgungsvere­inbarung forciert. Damit soll eine Anhebung der Kostenhöch­stsätze im Bereich der Unterbring­ung, Verpflegun­g und Betreuung von UMF festgelegt werden. Derzeit läuft der Abstimmung­sprozess mit den Ländern. Schon jetzt steht es den Bundesländ­ern offen, Leistungen, die über die normierten Kostenhöch­stsätze hinausgehe­n, zu gewähren.“

Eine andere Möglichkei­t wäre eine Realkosten­abrechnung zwischen Bund und Ländern. In Wien läuft dazu derzeit ein Pilotproje­kt. Eine österreich­weite Umsetzung würde allerdings Jahre dauern.

 ?? [APA/Helmut Fohringer] ?? In Traiskirch­en bleiben UMF oft länger in Betreuung, obwohl das eigentlich nicht so vorgesehen ist.
[APA/Helmut Fohringer] In Traiskirch­en bleiben UMF oft länger in Betreuung, obwohl das eigentlich nicht so vorgesehen ist.

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