Mit Drohnen zielt Kiew auf russische Ölraffinerien
Elf Raffinerien wurden heuer bereits angegriffen. Russland musste die Ölverarbeitung um über ein Zehntel reduzieren. Der Weltölmarkt spürt das wider Erwarten. Bei einer weiteren Eskalation könnte der Ölpreis explodieren.
Im Gebiet Samara an der Wolga, auf halbem Weg zwischen Moskau und dem Kaspischen Meer, attackierten ukrainische Drohnen am Samstag gleich zwei Ölraffinerien. Auf einer breitete sich ein Feuer aus. Verletzt sei niemand, sagte der örtliche Gouverneur, an der Behebung der Schäden werde gearbeitet.
Nur drei Tage zuvor wurde in Nischnij Novgorod, 450 Kilometer östlich von Moskau, zum zweiten Mal seit Jahresbeginn die Raffinerie des landesweit zweitgrößten Ölkonzerns Lukoil angegriffen. Sie produziert elf Prozent des russischen Benzins. Infolge des Angriffs wurde die Produktion um die Hälfte heruntergefahren.
Diese Vorfälle sind nur die größten Beispiele für die ukrainischen Angriffe auf die Ölindustrie, die heuer begonnen und seit einer Woche – angesichts der russischen Präsidentenwahlen – intensiviert wurden. Auch in der Stadt Rjazan kam es zu einem Brand, in der Stadt Rostow wurde die Raffinerieproduktion nach einem Angriff heruntergefahren, im Umland von St. Petersburg wurde eine Drohne knapp vor der Ölverarbeitungsanlage immerhin abgewehrt.
Beträchtliche Schäden
Die Ukraine hat in dem 2022 von Moskau losgetretenen Krieg offensichtlich eine neue Front eröffnet. Und diese verläuft durch den europäischen Teil Russlands entlang der Ölverarbeitungsstätten. „Die Ukrainer wollen offenbar maximale Schäden verursachen“, sagt Michail Krutichin, Energieexperte der Moskauer Beratungsfirma RusEnergy, auf Anfrage der „Presse“. „Ein Video aus Rjazan zeigt, wie die Drohnen zuerst an der Raffinerie vorbeifliegen, dann umdrehen und gezielt auf die Primärverarbeitung zusteuern.“In der Primärverarbeitung, einem Herzstück der Raffinerie, wird das Rohöl in seine Bestandteile, etwa Benzin und Diesel, getrennt.
Nachdem seit Jahresbeginn unterm Strich elf größere Raffinerien attackiert worden sind, schätzen Experten den Schaden als beträchtlich ein. Torbjörn Törnqvist, Chef des Ölhändlers Gunvor, der früher vorwiegend russisches Öl handelte und zur Hälfte einem Putin-Intimus gehörte, sprach auf einer Konferenz am Montag von 600.000 Barrel betroffener Raffinationskapazität, die Bank JP Morgan von 900.000. Damit wären elf bis 15 Prozent der Gesamtkapazität blockiert.
Russland, hinter den USA und Saudiarabien weltweit drittgrößter Ölproduzent, hat im Vorjahr 523 Millionen Tonnen Rohöl gefördert. 275 Millionen davon wurden im Inland zu Ölprodukten verarbeitet, der Rest ging als Rohöl in den Export. Und dieser stieg zuletzt aufgrund der Drohnenangriffe deutlich an, weil die Ölfirmen die Produktion nicht so leicht drosseln können und mit dem Öl irgendwohin müssen. Der führende Anbieter von Rohstoffdaten, Kpler, schreibt, dass in den ersten beiden Märzwochen der russische Ölexport übers Meer gegenüber Februar um 9,4 Prozent gestiegen ist. „Den Ölkonzernen ist das nur recht, weil sie so deutlich mehr verdienen“, sagt Ölfachmann Krutichin. „Keiner wird sich daher mit der Reparatur der beschädigten Raffinerien beeilen.“Experten zufolge wird die Reparatur ohnehin Monate dauern.
Preise steigen
Doch obwohl mehr Rohöl auf den Weltmarkt kommt, führt das nicht zu sinkenden Preisen. Im Gegenteil: Die Unsicherheit durch die Drohnenangriffe zieht Preisaufschläge nach sich. Analysten beziffern die Risikoprämien seit voriger Woche mit zwei bis vier Dollar je Barrel (159 Liter) Öl. Zwischen 12. und 19. März stieg der Preis für ein Barrel der Sorte Brent von knapp 83 auf 87,5 Dollar – ehe er gestern auf gut 86 Dollar korrigierte. Seit Jahresbeginn bedeutet dies ein Plus von zwölf Prozent, wofür neben den Drohnenangriffen freilich auch die Nahostkrise, die anhaltende Angebotskürzung durch das Förderkartell Opec+ und nun auch die positiven Wachstumsdaten aus China verantwortlich sind.
Die Folgen der Drohnenangriffe für den Ölpreis seien nicht so klar, schreibt die Commerzbank: „Denn sollte die Raffineriekapazität dauerhaft beeinträchtigt sein, könnte dies höhere russische Rohölexporte zur Folge haben.“
Vorerst keine Eskalation
Für Ölprodukte haben die Preise jedenfalls angezogen. In Europa blieb die Notierung für Diesel aber unter der von Februar, als Rebellen die Schiffe im Roten Meer angriffen. In Russland selbst hingegen sei der Preis im Großhandel zuletzt um 20 bis 30 Prozent auf den höchsten Stand seit Herbst gestiegen, sagt Krutichin. Ein Exportverbot auf Diesel wurde zwar noch nicht verhängt. Benzin aber darf – um einen Mangel abzuwenden – seit 1. März nicht mehr exportiert werden.
Die ukrainischen Drohnenangriffe haben in ihrem jüngsten Ausmaß „nur“das Ziel, den Betrieb der Militärmaschinerie zu beeinträchtigen. Sollten sie aber die Raffinerie von Kirischi im Gebiet St. Petersburg außer Gefecht setzen, wäre dies eine andere Größenordnung – 150.000 Barrels Diesel pro Tag wären betroffen, die vorwiegend für den Export bestimmt sind, schreibt Bloomberg. Der schlimmste Schlag für den Weltölmarkt wäre freilich, wenn die Ukraine die russischen Ölexporthäfen im Baltikum und am Schwarzen Meer angreifen und so den Ölpreis steil nach oben treiben würde. Auf dem Markt kursiere das Gerücht, die USA hätten Kiew gebeten, davon abzusehen, sagt Krutichin: „Bestätigt ist es nicht.“