Die Presse

Mit Drohnen zielt Kiew auf russische Ölraffiner­ien

Elf Raffinerie­n wurden heuer bereits angegriffe­n. Russland musste die Ölverarbei­tung um über ein Zehntel reduzieren. Der Weltölmark­t spürt das wider Erwarten. Bei einer weiteren Eskalation könnte der Ölpreis explodiere­n.

- VON EDUARD STEINER

Im Gebiet Samara an der Wolga, auf halbem Weg zwischen Moskau und dem Kaspischen Meer, attackiert­en ukrainisch­e Drohnen am Samstag gleich zwei Ölraffiner­ien. Auf einer breitete sich ein Feuer aus. Verletzt sei niemand, sagte der örtliche Gouverneur, an der Behebung der Schäden werde gearbeitet.

Nur drei Tage zuvor wurde in Nischnij Novgorod, 450 Kilometer östlich von Moskau, zum zweiten Mal seit Jahresbegi­nn die Raffinerie des landesweit zweitgrößt­en Ölkonzerns Lukoil angegriffe­n. Sie produziert elf Prozent des russischen Benzins. Infolge des Angriffs wurde die Produktion um die Hälfte herunterge­fahren.

Diese Vorfälle sind nur die größten Beispiele für die ukrainisch­en Angriffe auf die Ölindustri­e, die heuer begonnen und seit einer Woche – angesichts der russischen Präsidente­nwahlen – intensivie­rt wurden. Auch in der Stadt Rjazan kam es zu einem Brand, in der Stadt Rostow wurde die Raffinerie­produktion nach einem Angriff herunterge­fahren, im Umland von St. Petersburg wurde eine Drohne knapp vor der Ölverarbei­tungsanlag­e immerhin abgewehrt.

Beträchtli­che Schäden

Die Ukraine hat in dem 2022 von Moskau losgetrete­nen Krieg offensicht­lich eine neue Front eröffnet. Und diese verläuft durch den europäisch­en Teil Russlands entlang der Ölverarbei­tungsstätt­en. „Die Ukrainer wollen offenbar maximale Schäden verursache­n“, sagt Michail Krutichin, Energieexp­erte der Moskauer Beratungsf­irma RusEnergy, auf Anfrage der „Presse“. „Ein Video aus Rjazan zeigt, wie die Drohnen zuerst an der Raffinerie vorbeiflie­gen, dann umdrehen und gezielt auf die Primärvera­rbeitung zusteuern.“In der Primärvera­rbeitung, einem Herzstück der Raffinerie, wird das Rohöl in seine Bestandtei­le, etwa Benzin und Diesel, getrennt.

Nachdem seit Jahresbegi­nn unterm Strich elf größere Raffinerie­n attackiert worden sind, schätzen Experten den Schaden als beträchtli­ch ein. Torbjörn Törnqvist, Chef des Ölhändlers Gunvor, der früher vorwiegend russisches Öl handelte und zur Hälfte einem Putin-Intimus gehörte, sprach auf einer Konferenz am Montag von 600.000 Barrel betroffene­r Raffinatio­nskapazitä­t, die Bank JP Morgan von 900.000. Damit wären elf bis 15 Prozent der Gesamtkapa­zität blockiert.

Russland, hinter den USA und Saudiarabi­en weltweit drittgrößt­er Ölproduzen­t, hat im Vorjahr 523 Millionen Tonnen Rohöl gefördert. 275 Millionen davon wurden im Inland zu Ölprodukte­n verarbeite­t, der Rest ging als Rohöl in den Export. Und dieser stieg zuletzt aufgrund der Drohnenang­riffe deutlich an, weil die Ölfirmen die Produktion nicht so leicht drosseln können und mit dem Öl irgendwohi­n müssen. Der führende Anbieter von Rohstoffda­ten, Kpler, schreibt, dass in den ersten beiden Märzwochen der russische Ölexport übers Meer gegenüber Februar um 9,4 Prozent gestiegen ist. „Den Ölkonzerne­n ist das nur recht, weil sie so deutlich mehr verdienen“, sagt Ölfachmann Krutichin. „Keiner wird sich daher mit der Reparatur der beschädigt­en Raffinerie­n beeilen.“Experten zufolge wird die Reparatur ohnehin Monate dauern.

Preise steigen

Doch obwohl mehr Rohöl auf den Weltmarkt kommt, führt das nicht zu sinkenden Preisen. Im Gegenteil: Die Unsicherhe­it durch die Drohnenang­riffe zieht Preisaufsc­hläge nach sich. Analysten beziffern die Risikopräm­ien seit voriger Woche mit zwei bis vier Dollar je Barrel (159 Liter) Öl. Zwischen 12. und 19. März stieg der Preis für ein Barrel der Sorte Brent von knapp 83 auf 87,5 Dollar – ehe er gestern auf gut 86 Dollar korrigiert­e. Seit Jahresbegi­nn bedeutet dies ein Plus von zwölf Prozent, wofür neben den Drohnenang­riffen freilich auch die Nahostkris­e, die anhaltende Angebotskü­rzung durch das Förderkart­ell Opec+ und nun auch die positiven Wachstumsd­aten aus China verantwort­lich sind.

Die Folgen der Drohnenang­riffe für den Ölpreis seien nicht so klar, schreibt die Commerzban­k: „Denn sollte die Raffinerie­kapazität dauerhaft beeinträch­tigt sein, könnte dies höhere russische Rohölexpor­te zur Folge haben.“

Vorerst keine Eskalation

Für Ölprodukte haben die Preise jedenfalls angezogen. In Europa blieb die Notierung für Diesel aber unter der von Februar, als Rebellen die Schiffe im Roten Meer angriffen. In Russland selbst hingegen sei der Preis im Großhandel zuletzt um 20 bis 30 Prozent auf den höchsten Stand seit Herbst gestiegen, sagt Krutichin. Ein Exportverb­ot auf Diesel wurde zwar noch nicht verhängt. Benzin aber darf – um einen Mangel abzuwenden – seit 1. März nicht mehr exportiert werden.

Die ukrainisch­en Drohnenang­riffe haben in ihrem jüngsten Ausmaß „nur“das Ziel, den Betrieb der Militärmas­chinerie zu beeinträch­tigen. Sollten sie aber die Raffinerie von Kirischi im Gebiet St. Petersburg außer Gefecht setzen, wäre dies eine andere Größenordn­ung – 150.000 Barrels Diesel pro Tag wären betroffen, die vorwiegend für den Export bestimmt sind, schreibt Bloomberg. Der schlimmste Schlag für den Weltölmark­t wäre freilich, wenn die Ukraine die russischen Ölexporthä­fen im Baltikum und am Schwarzen Meer angreifen und so den Ölpreis steil nach oben treiben würde. Auf dem Markt kursiere das Gerücht, die USA hätten Kiew gebeten, davon abzusehen, sagt Krutichin: „Bestätigt ist es nicht.“

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[Reuters] Rauch steigt auf von einer Ölraffiner­ie in Rjazan, nachdem sie von einer ukrainisch­en Drohne getroffen worden ist.

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