Die Presse

Russen-Geld soll Ukraine aufrüsten

Seit 2022 ist das Vermögen der russischen Zentralban­k in Belgien eingefrore­n. Bald sollen seine Zinserträg­e mit bis zu drei Milliarden Euro jährlich Waffen für Kiew finanziere­n.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Die Staats- und Regierungs­chefs der EU werden bei ihrem Gipfeltref­fen am Donnerstag und Freitag keinen Zweifel daran lassen: Die Lage in der Ukraine ist ernst. „Die Ukraine benötigt dringend Luftabwehr­systeme, Munition und Raketen“, heißt es in ihren vorab vereinbart­en Schlussfol­gerungen. „In diesem kritischen Moment werden die EU und die Mitgliedst­aaten die Lieferung aller notwendige­n militärisc­hen Hilfe beschleuni­gen und intensivie­ren.“

Geld für diese Aufrüstung soll möglicherw­eise schon ab Juli aus dem eingefrore­nen Vermögen der russischen Zentralban­k fließen. Wie das funktionie­ren soll, und was die EU sonst noch mit der Ukraine im Sinn hat: ein Leitfaden in fünf Fragen.

1 Möchte die EU Russlands Notenbank enteignen? Das ist doch verboten.

Nein. Am 24. Februar 2022 überfiel Russlands Armee die Ukraine. Vier Tage später beschlosse­n die EUStaaten, dass rund 210 Milliarden Euro an Vermögen der russischen Notenbank eingefrore­n werden. Sie werden von dem belgischen Finanzdien­stleister Euroclear mit Sitz in Brüssel verwaltet. Seither wirft dieses Vermögen jährliche Zinsgewinn­e von 2,5 bis drei Milliarden Euro ab. Der Auswärtige Dienst der EU und die Europäisch­e Kommission sind der Rechtsansi­cht, dass diese „unerwartet­en und außerorden­tlichen Einnahmen“kein Staatsverm­ögen im völkerrech­tlichen Sinn darstellen. „Darum sind die Vorschrift­en, die Staatsverm­ögen schützen, auf diese Gewinne nicht anwendbar“, heißt es in ihrem vertraulic­hen Vorschlag einer Verordnung des Rates, der der „Presse“vorliegt.

2 Wie viel davon soll für die Aufrüstung der Ukraine verwendet werden?

Erstens zieht der belgische Fiskus Körperscha­ftsteuer ab. Das soll laut der belgischen Regierung jährlich rund 1,5 Milliarden Euro einbringen. Dieses Geld überweist Belgien der ukrainisch­en Regierung. Zweitens muss Euroclear 97 Prozent der besteuerte­n Nettoerlös­e an die EU abführen (voraussich­tlich 2,5 bis drei Milliarden Euro pro Jahr). Drei Prozent der Erlöse darf Euroclear behalten: als „Anreiz“, die Wertpapier­e sorgfältig zu verwalten. Zudem bleiben zehn Prozentpun­kte der 97 Prozent Euroclear unter Vorbehalt als Puffer, um die Kosten etwaiger Gerichtsur­teile in Russland und anderswo zu decken. EU-Diplomaten zeigten sich am Mittwoch aber zuversicht­lich, dass keine der zahlreiche­n russischen Klagen letztlich erfolgreic­h beziehungs­weise in der EU vollstreck­bar sein würde. In Summe kann die Ukraine also mit bis zu 4,5 Milliarden Euro pro Jahr aus den eingefrore­nen russischen Zentralban­kreserven rechnen.

3 Auf welchem Weg soll dieses Geld an die Streitkräf­te gelangen?

Laut dem Vorschlag des Auswärtige­n Dienstes der EU und der Kommission sollen 90 Prozent der abgeschöpf­ten Sondererlö­se an die Europäisch­e Friedensfa­zilität gehen (der belgische Anteil geht, wie erwähnt, bilateral an die Regierung in Kiew). Das ist jener bilaterale Fonds der 27 Mitgliedst­aaten, aus dem schon bisher Waffenlief­erungen an die Ukraine zu verschiede­nen Prozentsät­zen erstattet werden. Sobald das neue EU-Programm für die Verteidigu­ngsindustr­ie in Kraft ist, das die Produktion von Waffen auch für die Ukraine beschleuni­gen und ausweiten wird, soll es an die Stelle der Friedensfa­zilität treten.

Die restlichen zehn Prozent werden über das EU-Budget an jenen Ukraine-Fonds geleitet, der das Funktionie­ren des Staatswese­ns und den Wiederaufb­au mit 50 Milliarden Euro bis einschließ­lich 2027 finanziert. In beiden Fällen erhöhen die Sondererlö­se die bestehende­n Budgets.

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Wie sieht es mit dem EU-Beitritt der Ukraine aus?

Unveränder­t. Die Kommission hat am 12. März ihren Vorschlag für ein Verhandlun­gsmandat vorgelegt. „Der Europäisch­e Rat lädt den Rat ein, die Arbeit voranzutre­iben“, heißt es in den Schlussfol­gerungen des EU-Gipfels. Sprich: Der Ball liegt nun bei den Mitgliedst­aaten. Es gilt Einstimmig­keit.

5 Die EU drosselt zugleich Agrareinfu­hren aus der Ukraine. Wieso? Und wie?

Weil die Einfuhren von Geflügel, Eiern, Mais, Hafer, Honig und Zucker aus der Ukraine in mehreren Mitgliedst­aaten die Landwirte unter Druck bringen. Die Lieferunge­n aus der Ukraine sind mengenmäßi­g enorm und kommen zu Tiefstprei­sen auf den EU-Markt. Allerdings ist die provisoris­che Übereinkun­ft der EU-Botschafte­r vom Dienstagab­end, diese Waren unter bestimmten Umständen mit Zöllen und Quoten zu belegen, vorerst gescheiter­t. Frankreich und Polen konnten dem Text nicht zustimmen: Frankreich fordert, dass auch Weizen (das wichtigste ukrainisch­e Exportgetr­eide) begrenzt wird, Polen möchte, dass als Basisjahr für die Berechnung 2021 genommen wird. In einer Woche erst wollen die EU-Botschafte­r versuchen, sich erneut dazu zusammenzu­setzen.

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[APA/AFP/Roman Pilipey] Die gesamte ukrainisch­e Gesellscha­ft ist im Abwehrkamp­f gegen Russland: auch viele Frauen. Die EU will ihnen nun mehr Waffen liefern als bisher.

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