Russen-Geld soll Ukraine aufrüsten
Seit 2022 ist das Vermögen der russischen Zentralbank in Belgien eingefroren. Bald sollen seine Zinserträge mit bis zu drei Milliarden Euro jährlich Waffen für Kiew finanzieren.
Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs der EU werden bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag keinen Zweifel daran lassen: Die Lage in der Ukraine ist ernst. „Die Ukraine benötigt dringend Luftabwehrsysteme, Munition und Raketen“, heißt es in ihren vorab vereinbarten Schlussfolgerungen. „In diesem kritischen Moment werden die EU und die Mitgliedstaaten die Lieferung aller notwendigen militärischen Hilfe beschleunigen und intensivieren.“
Geld für diese Aufrüstung soll möglicherweise schon ab Juli aus dem eingefrorenen Vermögen der russischen Zentralbank fließen. Wie das funktionieren soll, und was die EU sonst noch mit der Ukraine im Sinn hat: ein Leitfaden in fünf Fragen.
1 Möchte die EU Russlands Notenbank enteignen? Das ist doch verboten.
Nein. Am 24. Februar 2022 überfiel Russlands Armee die Ukraine. Vier Tage später beschlossen die EUStaaten, dass rund 210 Milliarden Euro an Vermögen der russischen Notenbank eingefroren werden. Sie werden von dem belgischen Finanzdienstleister Euroclear mit Sitz in Brüssel verwaltet. Seither wirft dieses Vermögen jährliche Zinsgewinne von 2,5 bis drei Milliarden Euro ab. Der Auswärtige Dienst der EU und die Europäische Kommission sind der Rechtsansicht, dass diese „unerwarteten und außerordentlichen Einnahmen“kein Staatsvermögen im völkerrechtlichen Sinn darstellen. „Darum sind die Vorschriften, die Staatsvermögen schützen, auf diese Gewinne nicht anwendbar“, heißt es in ihrem vertraulichen Vorschlag einer Verordnung des Rates, der der „Presse“vorliegt.
2 Wie viel davon soll für die Aufrüstung der Ukraine verwendet werden?
Erstens zieht der belgische Fiskus Körperschaftsteuer ab. Das soll laut der belgischen Regierung jährlich rund 1,5 Milliarden Euro einbringen. Dieses Geld überweist Belgien der ukrainischen Regierung. Zweitens muss Euroclear 97 Prozent der besteuerten Nettoerlöse an die EU abführen (voraussichtlich 2,5 bis drei Milliarden Euro pro Jahr). Drei Prozent der Erlöse darf Euroclear behalten: als „Anreiz“, die Wertpapiere sorgfältig zu verwalten. Zudem bleiben zehn Prozentpunkte der 97 Prozent Euroclear unter Vorbehalt als Puffer, um die Kosten etwaiger Gerichtsurteile in Russland und anderswo zu decken. EU-Diplomaten zeigten sich am Mittwoch aber zuversichtlich, dass keine der zahlreichen russischen Klagen letztlich erfolgreich beziehungsweise in der EU vollstreckbar sein würde. In Summe kann die Ukraine also mit bis zu 4,5 Milliarden Euro pro Jahr aus den eingefrorenen russischen Zentralbankreserven rechnen.
3 Auf welchem Weg soll dieses Geld an die Streitkräfte gelangen?
Laut dem Vorschlag des Auswärtigen Dienstes der EU und der Kommission sollen 90 Prozent der abgeschöpften Sondererlöse an die Europäische Friedensfazilität gehen (der belgische Anteil geht, wie erwähnt, bilateral an die Regierung in Kiew). Das ist jener bilaterale Fonds der 27 Mitgliedstaaten, aus dem schon bisher Waffenlieferungen an die Ukraine zu verschiedenen Prozentsätzen erstattet werden. Sobald das neue EU-Programm für die Verteidigungsindustrie in Kraft ist, das die Produktion von Waffen auch für die Ukraine beschleunigen und ausweiten wird, soll es an die Stelle der Friedensfazilität treten.
Die restlichen zehn Prozent werden über das EU-Budget an jenen Ukraine-Fonds geleitet, der das Funktionieren des Staatswesens und den Wiederaufbau mit 50 Milliarden Euro bis einschließlich 2027 finanziert. In beiden Fällen erhöhen die Sondererlöse die bestehenden Budgets.
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Wie sieht es mit dem EU-Beitritt der Ukraine aus?
Unverändert. Die Kommission hat am 12. März ihren Vorschlag für ein Verhandlungsmandat vorgelegt. „Der Europäische Rat lädt den Rat ein, die Arbeit voranzutreiben“, heißt es in den Schlussfolgerungen des EU-Gipfels. Sprich: Der Ball liegt nun bei den Mitgliedstaaten. Es gilt Einstimmigkeit.
5 Die EU drosselt zugleich Agrareinfuhren aus der Ukraine. Wieso? Und wie?
Weil die Einfuhren von Geflügel, Eiern, Mais, Hafer, Honig und Zucker aus der Ukraine in mehreren Mitgliedstaaten die Landwirte unter Druck bringen. Die Lieferungen aus der Ukraine sind mengenmäßig enorm und kommen zu Tiefstpreisen auf den EU-Markt. Allerdings ist die provisorische Übereinkunft der EU-Botschafter vom Dienstagabend, diese Waren unter bestimmten Umständen mit Zöllen und Quoten zu belegen, vorerst gescheitert. Frankreich und Polen konnten dem Text nicht zustimmen: Frankreich fordert, dass auch Weizen (das wichtigste ukrainische Exportgetreide) begrenzt wird, Polen möchte, dass als Basisjahr für die Berechnung 2021 genommen wird. In einer Woche erst wollen die EU-Botschafter versuchen, sich erneut dazu zusammenzusetzen.