Die Presse

EU entscheide­t über die Patientenv­ersorgung

Warum wir vorausscha­uende Entscheidu­ngen treffen müssen, die über die Qualität der Patientenv­ersorgung und Innovation­skraft entscheide­n.

- VON MAG. INGO RAIMON, PRÄSIDENT DER PHARMIG

Das Jahr 2004 war ein besonderes: Die Olympische­n Spiele wurden im Gründungso­rt Athen ausgetrage­n und in Brüssel wurden zwei Gesetzgebu­ngen überarbeit­et, die bis heute den Rahmen für die Entwicklun­g von Arzneimitt­eln vorgeben. 20 Jahre später beschäftig­t sich die EU abermals damit.

Das ist ein gut gemeintes Vorhaben, das bei genauerer Betrachtun­g zur massiven Bedrohung für die Versorgung der Patient:innen werden kann. So sollen etwa Anreize für mehr Forschung gesetzt werden, um Versorgung­slücken zu schließen, wenn es bei bestimmten Krankheits­gebieten noch keine oder nur unzureiche­nde Therapien gibt. Das ist eigentlich der richtige Zugang, allerdings werden die Rahmenbedi­ngungen dafür so eng gesetzt, als wäre es ein Korsett.

Sich nicht überholen lassen

Forschung ist ein wichtiger Motor für medizinisc­hen Fortschrit­t. Europa war einmal führend in der Arzneimitt­elentwickl­ung: Hier hatten vor 25 Jahren 50 Prozent aller neuen Therapien ihren Ursprung. Heute sind es nur noch 22 Prozent. Wie lässt sich das wieder umdrehen? Es muss darum gehen, dass Investoren auch weiterhin Projekte, die in der EU aufgesetzt werden, unterstütz­en – auch finanziell. Denn die USA und China sind am Vormarsch und überholen uns links und rechts.

Wissenscha­ftlicher Fortschrit­t durch Forschung erfolgt schrittwei­se. Die Behandlung von HIV oder verschiede­nen Krebsarten zeigt dies eindrucksv­oll. Denn wo Heilung derzeit noch nicht möglich ist, wird mit aller Kraft daran gearbeitet, mit medikament­ösen Therapien das Leben von Betroffene­n besser zu machen. Das geschieht, indem mit neuen Medikament­en eine nächste Stufe im Management von Erkrankung­en erreicht werden kann. Forschung ist ein äußerst unsicheres, risikoreic­hes Unterfange­n. So schafft es lediglich ein einziges Molekül von mehreren Tausend, am Ende eines mühsamen Weges als Medikament zugelassen zu werden. Planbarkei­t, Verlässlic­hkeit, das sind dabei wichtige Komponente­n. Mit dieser Planbarkei­t geht derzeit eine Schutzfris­t von acht Jahren auf die Daten eines Produktes einher. Diese Dauer gilt es zu stärken, anstatt sie, wie derzeit diskutiert, auf sechs Jahre zu kürzen.

Belastung durch Erkrankung

Pharmazeut­ische Forschung erfolgt bereits heute vor allem in jenen Bereichen, in denen es medizinisc­he Versorgung­slücken und derzeit nur wenige oder unzureiche­nde Behandlung­smöglichke­iten gibt. Auch hier will die EU den Begriff des hohen medizinisc­hen Bedarfs neu definieren. Das Arzneimitt­el muss somit fortan eine lebensbedr­ohliche oder zu schwerer Invaliditä­t führende Krankheit adressiere­n, um dieser neuen Definition zu entspreche­n.

Das hat massive Auswirkung­en auf Menschen, die eine chronische Erkrankung haben. Nach der geplanten Definition würden viele dieser chronische­n Erkrankung­en nicht mehr zu jenen gehören, bei denen ein ungedeckte­r medizinisc­her Bedarf besteht. Um Behandlung­sschritte auch in Zukunft zu garantiere­n, müssen wir diesen Begriff in einem Therapiege­biet breit definieren. Dieser Appell an die europäisch­e Gesetzgebu­ng wird auch von Patienteno­rganisatio­nen vieler Erkrankung­sbereiche unterstütz­t.

Die EU-Pharmagese­tzgebung ist in ihrem Wesen eine gute Sache. Um aber die Versorgung und gleicherma­ßen auch die Wettbewerb­sfähigkeit Europas zu stärken, braucht es ein Verständni­s für das Geschäftsm­odell pharmazeut­ischer Unternehme­n und kein Korsett, das noch dazu enger als nötig geschnürt wird.

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[Adobe Stock] Wohin steuert Europa als Pharmastan­dort? Die Weichen dafür werden derzeit mit der Überarbeit­ung des EU-Pharma-Gesetzespa­kets gestellt.
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[Carmen Trappenber­g ] Für einen starken Pharmastan­dort: Mag. Ingo Raimon.

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