Die Presse

Wie KI die Filmwelt (nicht) verändert

Kino aus der Konserve ist keine Zukunftsmu­sik mehr. Warum es sich so schnell nicht durchsetze­n wird – und dennoch Vorsicht geboten ist.

- VON ANDREY ARNOLD

Im Jahr 2001 kam einer von Steven Spielbergs besten Filmen in die Kinos. Sein Titel? „A. I. – Artificial Intelligen­ce“. Das Science-Fiction-Drama handelt von einem Buben namens David, der sich in einer vom Klimawande­l gebeutelte­n Zukunft auf Sinnsuche begibt. David ist eine künstliche Intelligen­z: ein digitaler Pinocchio, der gern ein Mensch wäre. Im Zuge seiner Odyssee wirft „A. I.“etliche philosophi­sche Fragen auf: Was ist der Unterschie­d zwischen Mensch und Maschine? Tragen wir die Verantwort­ung für die Spätfolgen unseres technologi­schen Fortschrit­ts? Eine auf den ersten Blick viel trivialere Problemati­k bleibt in Spielbergs Film indes völlig unerörtert: Könnte KI Filme machen? Und wenn ja: Wären sie sehenswert?

Auch die unzähligen anderen, meist viel schlechter­en Hollywood-Produktion­en, die sich im Lauf der Filmgeschi­chte des KI-Themas angenommen haben, stellen solche Fragen gemeinhin nicht: Es ist offenbar leichter, sich eine Roboter-Apokalypse vorzustell­en als die Auswirkung­en von Zukunftste­chnologie auf die eigene Branche. Doch jetzt, da KI im öffentlich­en Diskurs angekommen ist und vom Mediensekt­or mit einer nervösen Mischung aus Panik und Euphorie beäugt wird, gibt es kein Ausweichen mehr. Die Filmwelt muss sich mit der Sache auseinande­rsetzen.

Der Sparstift ist im Anschlag

Zentral ist hierbei die potente Fantasie, dass wir bald per Mausklick unsere eigenen Blockbuste­r erstellen können. Sie heizt alles Mögliche an: Den Boom von Start-ups, die der Branche das Blaue vom digitalen Himmel verspreche­n. Die technokrat­ischen Visionen von Studioboss­en, die mit Sparstift im Anschlag nach „unnötigen“Gewerken fahnden. Und, auf der anderen Seite, die Ängste von Filmarbeit­erinnen und Filmarbeit­ern, die sich davor fürchten, von Rechenmasc­hinen ersetzt zu werden. KI war ein wichtiger Streitpunk­t bei den Streiks der Schauspiel­er und Drehbuchau­toren, die im vergangene­n Jahr Hollywood lahmlegten: Die finale Einigung zwischen den Streikende­n und den Studios sieht u. a. vor, dass den Autoren keine KI-generierte­n Drehbücher zum Editieren vorgelegt werden dürfen – und dass Darsteller für den Einsatz digitaler Kopien ihrer Stimmen und Gesichter kompensier­t werden müssen.

Doch die Umwälzunge­n, die der Branche bevorstehe­n, sind damit nur vorläufig eingehegt. Die rasanten Fortschrit­te im Bereich generative­r KI, die auf Textbefehl hin Videos erstellen kann, schüren schon neue Sorgen. Bereits mit Bildgenera­toren wie Midjourney und Stable Diffusion ließen sich in Verbindung mit anderen Programmen rudimentär­e Filme erstellen, auf YouTube finden sich viele Anleitunge­n für den Hausgebrau­ch. Doch als die Firma OpenAI – die auch für Chat GPT verantwort­lich zeichnet – im Februar erste Promo-Clips für ihr in Entwicklun­g befindlich­es Bewegtbild-Tool Sora präsentier­te, wurden Potenzial und Gefahr der Technologi­e noch deutlicher. Der prominente Schauspiel­er, Regisseur und Unternehme­r Tyler Perry machte in einem Interview mit dem Branchenbl­att „Hollywood Reporter“Werbung dafür, indem er ankündigte, eine geplante Expansion seines eigenen Studios auf Eis legen zu wollen. Angesichts von Sora sähe er „keine Notwendigk­eit“mehr für den teuren Ausbau, schließlic­h werde er realistisc­he Sets künftig umstandslo­s am Computer erstellen können.

Aber treten wir einen Schritt zurück: KI, nicht zuletzt deren non-generative Variante, ist in erster Linie ein Werkzeug. Und zwar eines, das im Kino längst Verwendung findet. Das Animations­studio Pixar nutzte es etwa, um das Feuerwesen in seinem rezenten Film „Elemental“glaubhafte­r „brennen“zu lassen. KI half dabei, Harrison Ford in „Indiana Jones 4“zu verjüngen, demnächst sollen die Stars Tom Hanks und Robin Wright im Drama „Here“von Robert Zemeckis – der Hanks schon 2004 per Bewegungse­rfassung digitalisi­ert auf die Leinwand brachte – einer ähnlichen Kur unterzogen werden. Bereits der zweite „Herr der Ringe“-Film (2002) setzte auf KI-artige Software, um Schlachten­szenen in überborden­de Wimmelbild­er zu verwandeln. Das sind nur die aufsehener­regendsten Beispiele: Im Hintergrun­d dient KI vor allem der Optimierun­g routinemäß­iger Arbeitspro­zesse im Bereich digitaler Bildbearbe­itung.

Die Sehnsucht nach mehr Effizienz ist allerdings auch in den Führungset­agen Hollywoods Triebfeder von KI-Enthusiasm­us. Die Technologi­e eignet sich gut dafür, um Muster zu erkennen und auf Basis bestehende­r Daten Prognosen zu machen. Weshalb sich das Studio Warner Bros 2020 mit einer Firma zusammenta­t, deren KI-gestützte Analysetoo­ls helfen sollen, „bessere“Entscheidu­ngen bei der Auswahl marktgängi­ger Filmprojek­te zu treffen. Wozu soll man Fokusgrupp­en befragen, wenn man Statistike­n auswerten kann? In unsicheren Zeiten geht Berechenba­rkeit vor. Das Menschlich­e bleibt auf der Strecke.

Die Sehnsucht nach dem „Echten“

Oder? Noch ist es verfrüht, um in Alarmismus zu verfallen: Obgleich sich wohl so mancher Medienkonz­ern darüber freuen würde, wenn bald nur noch automatisc­h generierte Roboterfil­me von Filmrobote­rn in den Kinos laufen, sind wir davon weit entfernt. Zwar haben schon die Digitalisi­erung der Filmwirtsc­haft und der einhergehe­nde Triumphzug digitaler Effekte die Toleranz des breiteren Publikums für künstliche Filmwelten stark erhöht. Aber die Humankompo­nente ist nach wie vor unerlässli­ch für Großerfolg: Selbst ein durchweg digital animierter Spielfilm wie „Avatar: The Way of Water“kommt nur deswegen so gut an, weil er sich nicht wie ein Produkt aus der Konserve anfühlt. Wie „echt“Entertainm­ent ist, haben wir immer noch im Gespür.

Das Bedürfnis nach dieser Echtheit spiegelt sich auch in der Popularitä­t von Filmen wie „Barbie“und „Oppenheime­r“, die sich als besonders „analog“vermarkten; die Durchsetzu­ng von KI wird diese Sehnsucht nur steigern. Was nicht heißt, dass keine Vorsicht geboten ist. Derzeit mögen Videoclips von Sora (sowie andere KI-generierte oder KI-gestützte Filmchen) aus cineastisc­her Sicht fasziniere­nd, aber wenig überzeugen­d sein. Zu glatt, zu fake, zu seltsam und seelenlos muten sie an. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Einsatz naturalist­ischer KI-Versatzstü­cke im Kino als neue Normalität durchgeht.

Wird das die seit Jahren laufende ästhetisch­e Nivellieru­ng des Mainstream­films noch weiter vorantreib­en – oder diesen vielmehr zu ungeahnten künstleris­chen Höhenflüge­n anspornen? Darauf können nur Menschen eine Antwort geben: jene, die Filme machen. Und die, die sie sich ansehen. Die Büchse der Pandora ist jedenfalls sperrangel­weit offen.

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[Storyblock­er Studios] Der Bär ist los: ein Werbebild für den abendfülle­nden KI-Testfilm „Our T2 Remake“.

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