Wie KI die Filmwelt (nicht) verändert
Kino aus der Konserve ist keine Zukunftsmusik mehr. Warum es sich so schnell nicht durchsetzen wird – und dennoch Vorsicht geboten ist.
Im Jahr 2001 kam einer von Steven Spielbergs besten Filmen in die Kinos. Sein Titel? „A. I. – Artificial Intelligence“. Das Science-Fiction-Drama handelt von einem Buben namens David, der sich in einer vom Klimawandel gebeutelten Zukunft auf Sinnsuche begibt. David ist eine künstliche Intelligenz: ein digitaler Pinocchio, der gern ein Mensch wäre. Im Zuge seiner Odyssee wirft „A. I.“etliche philosophische Fragen auf: Was ist der Unterschied zwischen Mensch und Maschine? Tragen wir die Verantwortung für die Spätfolgen unseres technologischen Fortschritts? Eine auf den ersten Blick viel trivialere Problematik bleibt in Spielbergs Film indes völlig unerörtert: Könnte KI Filme machen? Und wenn ja: Wären sie sehenswert?
Auch die unzähligen anderen, meist viel schlechteren Hollywood-Produktionen, die sich im Lauf der Filmgeschichte des KI-Themas angenommen haben, stellen solche Fragen gemeinhin nicht: Es ist offenbar leichter, sich eine Roboter-Apokalypse vorzustellen als die Auswirkungen von Zukunftstechnologie auf die eigene Branche. Doch jetzt, da KI im öffentlichen Diskurs angekommen ist und vom Mediensektor mit einer nervösen Mischung aus Panik und Euphorie beäugt wird, gibt es kein Ausweichen mehr. Die Filmwelt muss sich mit der Sache auseinandersetzen.
Der Sparstift ist im Anschlag
Zentral ist hierbei die potente Fantasie, dass wir bald per Mausklick unsere eigenen Blockbuster erstellen können. Sie heizt alles Mögliche an: Den Boom von Start-ups, die der Branche das Blaue vom digitalen Himmel versprechen. Die technokratischen Visionen von Studiobossen, die mit Sparstift im Anschlag nach „unnötigen“Gewerken fahnden. Und, auf der anderen Seite, die Ängste von Filmarbeiterinnen und Filmarbeitern, die sich davor fürchten, von Rechenmaschinen ersetzt zu werden. KI war ein wichtiger Streitpunkt bei den Streiks der Schauspieler und Drehbuchautoren, die im vergangenen Jahr Hollywood lahmlegten: Die finale Einigung zwischen den Streikenden und den Studios sieht u. a. vor, dass den Autoren keine KI-generierten Drehbücher zum Editieren vorgelegt werden dürfen – und dass Darsteller für den Einsatz digitaler Kopien ihrer Stimmen und Gesichter kompensiert werden müssen.
Doch die Umwälzungen, die der Branche bevorstehen, sind damit nur vorläufig eingehegt. Die rasanten Fortschritte im Bereich generativer KI, die auf Textbefehl hin Videos erstellen kann, schüren schon neue Sorgen. Bereits mit Bildgeneratoren wie Midjourney und Stable Diffusion ließen sich in Verbindung mit anderen Programmen rudimentäre Filme erstellen, auf YouTube finden sich viele Anleitungen für den Hausgebrauch. Doch als die Firma OpenAI – die auch für Chat GPT verantwortlich zeichnet – im Februar erste Promo-Clips für ihr in Entwicklung befindliches Bewegtbild-Tool Sora präsentierte, wurden Potenzial und Gefahr der Technologie noch deutlicher. Der prominente Schauspieler, Regisseur und Unternehmer Tyler Perry machte in einem Interview mit dem Branchenblatt „Hollywood Reporter“Werbung dafür, indem er ankündigte, eine geplante Expansion seines eigenen Studios auf Eis legen zu wollen. Angesichts von Sora sähe er „keine Notwendigkeit“mehr für den teuren Ausbau, schließlich werde er realistische Sets künftig umstandslos am Computer erstellen können.
Aber treten wir einen Schritt zurück: KI, nicht zuletzt deren non-generative Variante, ist in erster Linie ein Werkzeug. Und zwar eines, das im Kino längst Verwendung findet. Das Animationsstudio Pixar nutzte es etwa, um das Feuerwesen in seinem rezenten Film „Elemental“glaubhafter „brennen“zu lassen. KI half dabei, Harrison Ford in „Indiana Jones 4“zu verjüngen, demnächst sollen die Stars Tom Hanks und Robin Wright im Drama „Here“von Robert Zemeckis – der Hanks schon 2004 per Bewegungserfassung digitalisiert auf die Leinwand brachte – einer ähnlichen Kur unterzogen werden. Bereits der zweite „Herr der Ringe“-Film (2002) setzte auf KI-artige Software, um Schlachtenszenen in überbordende Wimmelbilder zu verwandeln. Das sind nur die aufsehenerregendsten Beispiele: Im Hintergrund dient KI vor allem der Optimierung routinemäßiger Arbeitsprozesse im Bereich digitaler Bildbearbeitung.
Die Sehnsucht nach mehr Effizienz ist allerdings auch in den Führungsetagen Hollywoods Triebfeder von KI-Enthusiasmus. Die Technologie eignet sich gut dafür, um Muster zu erkennen und auf Basis bestehender Daten Prognosen zu machen. Weshalb sich das Studio Warner Bros 2020 mit einer Firma zusammentat, deren KI-gestützte Analysetools helfen sollen, „bessere“Entscheidungen bei der Auswahl marktgängiger Filmprojekte zu treffen. Wozu soll man Fokusgruppen befragen, wenn man Statistiken auswerten kann? In unsicheren Zeiten geht Berechenbarkeit vor. Das Menschliche bleibt auf der Strecke.
Die Sehnsucht nach dem „Echten“
Oder? Noch ist es verfrüht, um in Alarmismus zu verfallen: Obgleich sich wohl so mancher Medienkonzern darüber freuen würde, wenn bald nur noch automatisch generierte Roboterfilme von Filmrobotern in den Kinos laufen, sind wir davon weit entfernt. Zwar haben schon die Digitalisierung der Filmwirtschaft und der einhergehende Triumphzug digitaler Effekte die Toleranz des breiteren Publikums für künstliche Filmwelten stark erhöht. Aber die Humankomponente ist nach wie vor unerlässlich für Großerfolg: Selbst ein durchweg digital animierter Spielfilm wie „Avatar: The Way of Water“kommt nur deswegen so gut an, weil er sich nicht wie ein Produkt aus der Konserve anfühlt. Wie „echt“Entertainment ist, haben wir immer noch im Gespür.
Das Bedürfnis nach dieser Echtheit spiegelt sich auch in der Popularität von Filmen wie „Barbie“und „Oppenheimer“, die sich als besonders „analog“vermarkten; die Durchsetzung von KI wird diese Sehnsucht nur steigern. Was nicht heißt, dass keine Vorsicht geboten ist. Derzeit mögen Videoclips von Sora (sowie andere KI-generierte oder KI-gestützte Filmchen) aus cineastischer Sicht faszinierend, aber wenig überzeugend sein. Zu glatt, zu fake, zu seltsam und seelenlos muten sie an. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Einsatz naturalistischer KI-Versatzstücke im Kino als neue Normalität durchgeht.
Wird das die seit Jahren laufende ästhetische Nivellierung des Mainstreamfilms noch weiter vorantreiben – oder diesen vielmehr zu ungeahnten künstlerischen Höhenflügen anspornen? Darauf können nur Menschen eine Antwort geben: jene, die Filme machen. Und die, die sie sich ansehen. Die Büchse der Pandora ist jedenfalls sperrangelweit offen.