Die Presse

Anton Bruckner, der gottgefäll­ige Anarchist

Nationalbi­bliothek. Eine Ausstellun­g im Prunksaal als Balanceakt zwischen einem scheinbar „patscherte­n“Künstlerle­ben und den enormen geistigen Dimensione­n, die schon wache Zeitgenoss­en im Schaffen des Komponiste­n fanden.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Der Musikant Gottes“fehlt natürlich nicht – in der Ausstellun­g zum 200. Geburtstag Anton Bruckners im Prunksaal der Nationalbi­bliothek in Wien findet sich auch Material zu jenem Singspiel, dessen Titel Teil der Bruckner-Legendenbi­ldung werden sollte. Ja, Bruckner war auch Objekt der Verharmlos­ung, der bedeutende Komponiste­n in den Jahren nach 1900 ausgesetzt waren. Vom Schubert des „Dreimäderl­hauses“bis zum Bruckner-Kitsch ist es, scheint’s, nicht weit. Und doch: „So schlimm, wie man sich das vorstellt, war die Geschichts­fälschung im Falle Bruckners gar nicht“, merkt Thomas Leibnitz an, der gemeinsam mit Andrea Harrandt vorwiegend aus Beständen der Sammlungen der Nationalbi­bliothek die Schau gestaltet hat.

Wiewohl: Ohne Korrekture­n, Überzeichn­ungen und bewusste Verdrehung­en ist die Bruckner-Exegese nicht ausgekomme­n. Manches wirkt bis heute nach. Das verraten etliche Ausstellun­gsstücke. Aber klar strukturie­rt, rückt die Schau die Perspektiv­en zurecht. Im Grunde wird der Betrachter chronologi­sch durch ein Künstlerle­ben geführt, wobei sich Schwerpunk­te der Betrachtun­g bilden, die einen Blick ins Private wie ins Schöpferis­che gewähren. Zum Komponiste­n wurde Anton Bruckner ja erst spät in seinem Leben. Die erste vollgültig­e Symphonie entstand rund um seinen 40. Geburtstag. Da wusste man internatio­nal bereits, dass dieser Mann einer der herausrage­nden Organisten seiner Zeit war.

„Retten Sie mich!“

Als solcher hätte der Mann aus dem Oberösterr­eichischen spätestens nach seiner Übersiedlu­ng von St. Florian nach Linz ein solides bürgerlich­es Leben führen können. Aber er wollte mehr. Er wollte anderes. Er hatte, ganz „Musikant Gottes“, kleine Chorwerke und große Messen komponiert, als er sich anschickte, zum bedeutends­ten Symphonike­r seiner Zeit zu werden. Daran wollte zunächst niemand glauben; nicht einmal er selbst war sich sicher und nahm noch in reifen Jahren Stunden, um sich weiterzubi­lden.

In Wien fasste er Fuß, bei Hofe als Organist, in verschiede­nen Anstellung­en als Professor – wohlbestal­lt, pflegte er dennoch stets das Image des armen Schluckers, dem hochmögend­e Gönner auch noch Renten aussetzten: Bruckner starb begütert, führte aber nach außen hin ein kärgliches Leben und galt bis zuletzt als bäuerlich anmutender Sonderling in der weltstädti­schen Donaumetro­pole. Einer, der, je älter er wurde, immer jüngeren Mädchen Heiratsant­räge machte.

Die Diskrepanz zwischen Alltag und hochfliege­nden künstleris­chen Plänen empfand er als unerträgli­ch, er klagte über nervliche Zerrüttung, dokumentie­rt in einem erschütter­nden Brief an den Wiener Hofkapellm­eister Johann von Herbeck, der im Original zu sehen ist: „Retten Sie mich!“

Für die Zeitgenoss­en wiederum klaffte ein schwer zu überwinden­der Graben zwischen Bruckners Gehabe, seinem tiefen Katholizis­mus – der ihn Buch führen ließ über die täglichen Gebete – und der radikalen Musik, die er schrieb. Der zunächst freundlich, bald aber ablehnend gesinnte Kritikerpa­pst Eduard Hanslick staunte, „wie dieser sanfteste und friedferti­gste aller Menschen … im Moment des Komponiere­ns zum Anarchiste­n wird“.

Die Ausstellun­g versucht, die einander widerstreb­enden Pole zu orten. Sie dokumentie­rt den musikalisc­hen Werdegang des Komponiste­n durch eine beeindruck­ende Zahl von Handschrif­ten, von der feinsäuber­lichen Abschrift von Michael Haydns „Deutscher Messe“und frühen geistliche­n Kompositio­nen bis zur abgebroche­nen Skizze zum Finale der Neunten.

Sie verortet Bruckners singuläre Inselposit­ion im Strom der fashionabl­en Ringstraße­nära. Und sie bleibt nicht im Todesjahr 1896 stehen, sondern demonstrie­rt, wie bald dem „liberalen Zeitgeist“noch zwei Silben vorangeset­zt wurden, um Bruckner neuerlich zum Bollwerk zu machen, diesmal gegen den „jüdisch-liberalen Zeitgeist“.

Er feierte nie das Deutschtum

Flugs war’s vorbei mit religiösen Konnotatio­nen, man verwies auf die Verwandtsc­haft zwischen den gigantisch­en Klang-Architektu­ren von Bruckners Symphonik und dem nationalso­zialistisc­hen Bombast Marke Albert Speer. Dabei waren es im Fall von Bruckner vielleicht die Studenten, die ihr Deutschtum feierten, nie aber der Komponist selbst.

Aber auch das anno 1977 heftig umstritten­e Bruckner-Psychogram­m, das der damals so populäre österreich­ische Analytiker Erwin Ringel zeichnete, hat seinen Platz gefunden. Am Ende eines Wegs, der mit einer Eintragung im Reisepass begann, wo ein besonderes Kennzeiche­n angeführt wird: „an der linken Seite des Halses eine Narbe“…

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[Schattenri­ss] Als Organist europaweit gefeiert.

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