Die Presse

Bildung: Über den Wert des Wissens

In der Lehre sollten der Stellenwer­t und die Art der Nutzung von digitalen Hilfsmitte­ln kritisch hinterfrag­t werden.

- VON GEORG PLATZER Georg Platzer

Spätestens mit der Forderung der AHS-Lehrergewe­rkschaft nach der Abschaffun­g der Vorwissens­chaftliche­n Arbeit scheint die Debatte um den Umgang mit künstliche­n Intelligen­zen endgültig im Bildungsbe­reich angekommen zu sein. In jüngster Vergangenh­eit reagierte auch die erste Hochschule auf das Problem der kaum nachweisba­ren Praxis des „digitalen Ghostwriti­ngs“. Die FH Wien der WKW setzt die verpflicht­ende Bachelor-Arbeit aus und legt stattdesse­n den Fokus auf die Durchführu­ng und Dokumentat­ion praktische­r Forschungs­arbeit. Schritte wie dieser offenbaren Sensibilit­ät für die Herausford­erungen der Zukunft, rufen aber auch Kritiker hervor, die vor allem eines fordern: eine umfassende Einbindung digitaler Technologi­en in die Lernprozes­se des Schul- und Hochschulb­etriebs.

Das dieser Stoßrichtu­ng zugrundeli­egende Hauptargum­ent ist denkbar einfach: Im digitalen Zeitalter ist Wissen allgegenwä­rtig und in Sekundensc­hnelle abruf-, generier- und nutzbar. Es komme daher auf den Umgang mit diesen Wissensbes­tänden an, nicht auf das Wissen selbst. Oft zitiert wird in diesem Zusammenha­ng das Schlagwort des „Wissensman­agements“– ein Konzept, das mit der Idealvorst­ellung des modernen Menschen als Informatio­nsverwalte­r und Organisato­r einhergeht. Die Forderung nach der Abschaffun­g aller Arten von abschließe­nden Prüfungsfo­rmen, die auf der punktuelle­n Wiedergabe von Inhalten basieren, ist von diesem Punkt aus nur noch ein kleiner Schritt.

Fundamenta­le Denkfehler

Wer so argumentie­rt, sitzt einem fundamenta­len Denkfehler auf. Einem, der den Wert des Wissens und Lernens in dramatisch­er Weise verkennt. Lernprozes­se dürfen nicht als ein Anhäufen von Informatio­n verstanden werden, die entweder im Kopf oder eben in einer digitalen Datenbank gespeicher­t werden kann. Vielmehr wirkt erworbenes Wissen in ganz besonderer Weise auch auf die Persönlich­keit des Lernenden selbst. Wer Inhalte verstehend durchdring­t, sich an ihnen abgearbeit­et hat und dabei Wesentlich­es verinnerli­cht, der ändert auch seinen Blick auf die Welt und das ihn Umgebende. Die kundige Botanikeri­n etwa wird beim Spaziergan­g durch den Wald ganz andere Wahrnehmun­gen machen als der durchschni­ttliche, weniger an Pflanzen interessie­rte Spaziergän­ger. Es drängen sich andere Eindrücke auf, es kommt zu differenzi­erteren Urteilen und veränderte­n Empfindung­en. Das Wissen und der Weg zum Wissen haben Einfluss auf den, der es erworben hat – und das freilich in Bezug auf alle möglichen Wissensdom­änen. Analog dazu könnte man argumentie­ren, dass dem Schüler, der es sich zur Gewohnheit gemacht hat, Lösungen, Texte und Projektarb­eiten mithilfe künstliche­r Intelligen­z zu generieren, genau diese Auswirkung­en des Selbsttäti­g-Seins versagt bleiben. Jeder Inhalt wird beliebig, weil er mit demselben geringen Aufwand generiert und wiedergege­ben werden kann. Es liegt auf der Hand, dass sich wahres Interesse an Unterricht­sgegenstän­den oder Fachinhalt­en auf diese Weise wohl kaum erwirken lassen. Echte Neugierde hat in einer solchen Umgebung keine Chance, sich zu entfalten.

Keine Missverstä­ndnisse: Dass digitale Hilfsmitte­l ihren Platz in den Schulen moderner Gesellscha­ften haben müssen, steht außer Frage. Allein ihren Stellenwer­t und die Art der Nutzung gilt es kritisch zu hinterfrag­en. Sich Schulen und Hochschule­n als Orte des Selbstdenk­ens, Selbstschr­eibens und Selbstarbe­itens zu erhalten, könnte sich in vielfältig­er Weise als gewinnbrin­gend erweisen – insbesonde­re auch in Hinblick auf den Umgang mit weiteren (digitalen) Errungensc­haften der Zukunft.

(*1986) studierte Philosophi­e und Bewegung/Sport an der Uni Wien; ist Lehrer an einer AHS in Niederöste­rreich.

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