Die Presse

Bitte anständig schimpfen!

Nach dem Wiener Derby. Über das verlorenge­hende Verständni­s für die Schönheit von Schmährufe­n auf dem Fußballpla­tz.

- VON ROBERT PFALLER

Die traurige Posse um die vermeintli­ch homophoben Schmährufe der Spieler von Rapid Wien nach dem lang ersehnten Sieg gegen die Wiener Austria sagt mehr aus über unsere Gegenwarts­kultur als über die Geisteshal­tung der Fußballer. Es stimmt wohl, dass im Fußball nach wie vor Strukturen herrschen, unter denen homosexuel­le Spieler massiv leiden. Und dagegen muss etwas unternomme­n werden. Aber es ist alles andere als gewiss, dass gerade in den Schmähgesä­ngen nach dem Wiener Stadtderby Ende Februar etwas davon zum Ausdruck gekommen wäre.

Wie es für Alibi- und Symbolpoli­tik typisch ist, sucht man mit wenig Treffsiche­rheit das Problem in einem Detail, um das Ganze weiterhin unberührt zu lassen. Man fällt mit übertriebe­nem Eifer mal schnell über verbale Äußerungen Einzelner her, anstatt sich längerfris­tig über das strukturel­le Problem Gedanken zu machen. Nebenbei zerstört man damit aber auch noch etwas, was zum unverzicht­baren Charme des Fußballs gehört.

Man kann an vielen Beispielen beobachten, dass unserer Kultur zunehmend das Verständni­s für alles Überschwän­gliche, Exzessive, Ausschweif­ende abhandenko­mmt. Aber darf man denn nicht wenigstens auf dem Fußballpla­tz einmal schreien, was einem so passt?

Anstalt für Affektabfu­hr

Soll die Sportarena kein Ort der Entladung aufgestaut­en Zorns, der Begeisteru­ng sowie der Lust des Triumphes; keine Anstalt für notwendige Affektabfu­hr mehr sein dürfen? Kein Ort jenes vom Kulturtheo­retiker Johan Huizinga so treffend beschriebe­nen „heiligen Ernsts“des Spiels, der sich vom leidenscha­ftsarmen Ernst unseres profanen Alltagsleb­ens so grell unterschei­det?

Große Affektinte­nsität führt fast immer zu poetischen Formulieru­ngen.

Verliebte beginnen zu dichten, Naturbegei­sterte zu singen, Wütende und Zornige zu schimpfen – und immer entstehen dabei Formulieru­ngen von großer Schönheit. Die ganze Kraft des Vulgären, sämtliche Register von Dialekt bis zur elaboriert­en Hochsprach­e werden beim Schimpfen blitzartig zu eigentümli­ch perfekten Lösungen zusammenge­führt. Liebe und Hass, Verachtung und Mitleid, Stolz und Selbstiron­ie, Ernst und Unernst – all das kann hier, in wenige Worte zusammenge­presst, sich entladen.

Genau so verhält es sich zum Beispiel mit der von den Rapidlern gewählten Formulieru­ng vom „oaschwarme­n Veilchen“. Wie unempfängl­ich für den Witz dieser Formulieru­ng, wie blind und wie ahnungslos in Bezug auf das Poetische, ebenso übrigens wie in Bezug auf die Kultur der Homosexual­ität und deren gebräuchli­che, ambivalent­e Redewendun­gen, muss man eigentlich sein, um in diesem Stück Schimpfpoe­sie nichts

als Homophobie lesen zu können?

Dabei könnte die Wortfindun­g der Rapidler glatt von Johann Nestroy stammen, oder auch vom Marquis de Sade. Dies macht ihren wohl selbst für die geschmähte­n Gegner spürbaren, einnehmend­en Witz und Charme aus.

Warm wird’s auch …

Das Grobe, aus den Tiefen des Wiener Vorstadtdi­alekts stammende Analepithe­ton paart sich hier unverhofft mit dem hochsprach­lichen Diminutiv der zarten Wiesenblum­e; der böse Angriff mit einem Anflug von Mitgefühl für die sowohl wegen ihrer Harmlosigk­eit auf dem Platz wie auch wegen ihrer Clubfarben im Pflanzlich­en verorteten gegnerisch­en Mannschaft.

… wenn man die Hosen voll hat

Freilich steht das „Warme“im Wiener Dialekt auch, wenig schmeichel­haft, für die Belange der männlichen Homosexual­ität. Und man kann an das berühmte Readymade des – übrigens alles andere als homophoben – Künstlers Marcel Duchamp denken, der 1919 einer Reprodukti­on von Leonardos „Mona Lisa“einen Bart verpasste und sie mit der ehrwürdig antik anmutenden Bildunters­chrift „L.H.O.O.Q.“versah. Im Französisc­hen ausbuchsta­biert, ergibt diese Buchstaben­folge jedoch den Satz „Ihr ist heiß am Arsch“– eine damals beliebte Formel unter Homosexuel­len.

Warm ums Gesäß kann einem aber auch werden, wenn man die Hosen voll hat. Diese geschlecht­sneutrale Gedankenli­nie ist gerade im Fußball prominent. Von hier ausgehend eröffnet sich eine ganz andere Deutungspe­rspektive: Wiener mögen in dem Hütteldorf­er Schmähruf nämlich auch eine Anspielung an den sogenannte­n „Veilchensc­hwank“des Minnesänge­rs Neidhart von Reuental erkennen. Der Held dieses Schwanks, Ritter Neidhart, entdeckt darin das erste Veilchen des neuen Jahres. Er bedeckt es mit seinem Hut, um es der Herzogin von Österreich zum eigenhändi­gen Pflücken zu überlassen. Einige Bauern aber, die dem

Ritter einen Streich spielen, pflücken das Veilchen und platzieren an dessen Stelle einen Kothaufen unter dem Hut.

In Wien ist die Überliefer­ung dieser Legende noch recht lebendig; viele kennen sie wohl noch aus ihrem ersten Sagenbuch. Sie gibt der Beschimpfu­ng auch einen neuen, sehr präzisen Sinn: Die Austrianer sind demnach gar keine Veilchen. Vielmehr hat sich dort, wo man ein Veilchen erwartet hätte, etwas Exkremente­lles gezeigt, das noch warm ist und darum frisch einem Gesäß entschlüpf­t sein muss.

Zum Reiz der Hütteldorf­er Formulieru­ng trägt nicht zuletzt auch ihr Rhythmus bei. Dieser überwiegt in der Dichtung oft gegenüber der Bedeutung der rhythmusge­benden Worte. So heißt Achill bei Homer immer „der schnellfüß­ige“– auch dann, wenn der Held gerade traurig in seinem Zelt sitzt. Das schmückend­e Beiwort gerät zu einer „eingeschla­fenen Trope“(ein Begriff Viktor Šklovskijs): Man denkt nicht mehr ans Laufen, weil die Worte schon ganz mit dem Namen Achills zusammenge­wachsen zu sein scheinen.

Der Philosoph Ludwig Wittgenste­in bemerkt einmal: „Wenn ich, der ich nicht glaube, dass es irgendwo menschlich-übermensch­liche Wesen gibt, die man Götter nennen kann – wenn ich sage: ,Ich fürchte die Rache der Götter‘, so zeigt das, dass ich damit etwas meinen (kann), oder einer Empfindung Ausdruck geben kann, die nichts mit jenem Glauben zu tun hat.“

Ein Wiener Charme-Beitrag

Genauso kann die Triumphfor­mel der Rapidler einer bestimmten freudigen Empfindung momentaner Überlegenh­eit über den Stadtrival­en Ausdruck geben, ohne dass dies mit einem Vorurteil über männliche Homosexual­ität zu tun hätte. Daran lässt sich übrigens erkennen, wie aussichtsr­eich jene Seminare über geschlecht­ersensible­s Sprechen sein werden, zu denen man die armen Rapidler jetzt vergattert: nämlich etwa so, wie wenn man die Österreich­er, die mit dem Teufel fluchen, von Philosophe­n darüber belehren ließe, dass der Teufel nicht existiert.

Die Formulieru­ng „oaschwarme­s Veilchen“aber könnte man wirksamer vom Verdacht der Homophobie befreien. Könnte dieses lokale Stück Poesie nicht als ein Wiener Beitrag zu jenem österreich­ischen Charme gelten, den die Österreich-Werbung einst schon zum Unesco-Weltkultur­erbe erklären lassen wollte?

Newspapers in German

Newspapers from Austria