Beißen sich die Besten durch? Wissenschaft braucht Sicherheit
Vor zweieinhalb Jahren trat die Novelle des Universitätsgesetzes in Kraft. Ein Bericht zeigt nun, wie sie Forschenden das Leben schwer macht.
Um ein Haar wären wir der Coronapandemie nie entkommen. Die ungarische Biochemikerin Katalin Karikó, deren Forschung maßgeblich zur Entwicklung der rettenden mRNAImpfstoffe beitragen sollte, hatte jahrelang Probleme, eine sichere Anstellung an einer Universität zu ergattern. Doch die heute 69-Jährige blieb beharrlich bei ihrem Forschungsinteresse und wurde 2023 mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet.
Vielleicht also ein Beweis, dass sich die Besten durchbeißen – und das gängige System der befristeten Anstellungen funktioniert. Das Ideal ist schließlich, an unterschiedlichen Projekten zu arbeiten, andere Institutionen, Länder und deren Forschungskulturen kennenzulernen. Der Wettbewerb um die wenigen abgesicherten Anstellungen soll zu Höchstleistungen motivieren.
Doch in der Praxis steckt dahinter Stress. Und zwar viel mehr, als nötig wäre. Er ist sogar hinderlich für das konstruktive Arbeiten. Das zeigt ein Bericht, der Anfang März veröffentlicht wurde. Er basiert auf einer Befragung, die die beiden Sozialwissenschaftlerinnen Julia Partheymüller und Petra Dannecker in Kooperation mit dem Netzwerk Unterbau Wissenschaft 2022 und 2023 an der Universität Wien durchgeführt haben, der größten Universität des Landes. Sie wollten von Angehörigen des Mittelbaus wissen, wie ihre Beschäftigungssituation aussah. Der Hintergrund ist eine Novelle des Universitätsgesetzes, die mit Oktober 2021 in Kraft trat – und eigentlich genau jene befristeten Anstellungen verhindern sollte.
Für Hochschulen gilt nämlich eine Ausnahme für Kettenverträge, die sonst arbeitsrechtlich verboten sind. Bislang durften Forschende maximal zehn Jahre (beziehungsweise zwölf Jahre in Teilzeit) in solchen befristeten Anstellungen aneinanderreihen. Legten sie ein Jahr „Pause“ein, konnte die „Kette“wieder von vorn beginnen. Die Novelle hat das geändert. Nach acht Jahren ist nun Schluss. Die Universität muss eine Entfristung anbieten oder darf die Person nicht mehr anstellen.
In der Theorie ist das vernünftig. Sichere Arbeitsverhältnisse schaffen Raum für Kreativität und erlauben, Neues auszuprobieren. Nicht jedes Experiment muss dann gelingen und zu publizierbaren Ergebnissen führen, nicht jeder Gedankengang eine verwertbare Erkenntnis bereithalten. Doch in der Praxis hat das bislang kaum zu einem Anstieg an Entfristungen geführt. 80 Prozent des wissenschaftlich-künstlerischen Personals an Universitäten haben hierzulande befristete Arbeitsverträge. Von den 1102 Befragten, alle Angehörige der Universität Wien, waren sogar rund 93 Prozent in befristeten oder teilbefristeten Anstellungsverhältnissen. Gerade einmal einem Prozent ist seit Beginn der Regelung eine Entfristung in Aussicht gestellt worden.
Das Gesetz erfüllt also bislang seinen Zweck nicht. Stattdessen führt es zu Unsicherheit, Stress und Karrierebrüchen. Eine Perfidie der Regelung ist nämlich, dass Anstellungen bis auf einige Ausnahmen auch rückwirkend berechnet werden. Wer also beispielsweise eine „Pause“eingeplant hatte, bereut nun bisherige Lebensentscheidungen.
In der Theorie ist das vernünftig, doch in der Praxis bis jetzt nicht erfolgreich.
Ein weiteres Problem, das der Bericht aufzeigt, ist die Lehre: Nehmen Doktoratsstudierende oder Projektmitarbeitende nebenbei einen zusätzlichen Lehrauftrag an, der in ihrem Vertrag nicht vorgesehen ist, wird dieser auch zur Kette gerechnet. Was dazu führt, dass sie weniger unterrichten, um ihre „Kette“nicht aufzubrauchen. Diese Trennung von Forschung und Lehre ist ein Verlust für Universität und Studierende, aber auch für die Nachwuchsforschenden selbst, da Lehrerfahrung für internationale Bewerbungen wichtig ist.
Das Netzwerk hat auch bereits eine landesweite Befragung durchgeführt. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass die Situation an den anderen Hochschulen ebenfalls schwierig ist. Eine Überarbeitung des Gesetzes ist laut Ministerium derzeit nicht geplant. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Besten weiterhin durchbeißen. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist der Fortschritt.