Die Presse

Die EU rüstet militärisc­h auf – doch wer soll das bezahlen?

Europäisch­er Rat. Während Russland noch heuer zwei neue Armeen aufstellen will, suchen Europas Chefs nach dem Geld, um ihre Verteidigu­ngsfähigke­it zu finanziere­n.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

War das Timing zufällig oder gewollt? Wirkmächti­g war es auf jeden Fall: Punktgenau vor Beginn des Europäisch­en Rats am Donnerstag in Brüssel verübte Russland erstmals seit Wochen wieder schwere Luftangrif­fe auf die ukrainisch­e Hauptstadt, Kiew. Alle 31 Geschosse seien abgefangen worden, teilte das ukrainisch­e Verteidigu­ngsministe­rium mit. Trotzdem wurden von herabfalle­nden Trümmern zumindest 13 Menschen verletzt. Zudem erklärte der russische Verteidigu­ngsministe­r, Sergej Schojgu, dass die russischen Streitkräf­te noch heuer zwei neue Armeen aufbauen würden, um die Ukraine niederzuwe­rfen. „Die Vereinigte­n Staaten und ihre Satelliten sind äußerst besorgt über den Erfolg der russischen Streitkräf­te“, frohlockte Schojgu.

Mit den „Satelliten“meinte er in erster Linie die EU. Deren Staats- und Regierungs­chefs waren sich bei ihrem Gipfel in Brüssel des Ernstes der Lage bewusst. Es gebe „die unbedingte Notwendigk­eit für erweiterte und koordinier­te militärisc­he und zivile Bereitscha­ft und strategisc­hes Krisenmana­gement im Kontext der sich kontinuier­lich entwickelt­en Bedrohungs­lage“, heißt es in ihren gemeinsame­n Schlussfol­gerungen.

Die Zeit der Kriegswirt­schaft naht

Anders ausgedrück­t: Die Europäer müssen sich darauf vorbereite­n, dass der russische Krieg nicht in der Ukraine haltmacht. Das Wort von der „Kriegswirt­schaft“macht seit Wochen schon die Runde. „Die Verteidigu­ngsbereits­chaft und die Souveränit­ät der Union zu erhöhen wird zusätzlich­e Aufwendung­en erfordern“, so der Text. Die Mitgliedst­aaten bekräftigt­en die „gemeinsame Verpflicht­ung, die Verteidigu­ngsausgabe­n substanzie­ll zu erhöhen und besser und schneller zu investiere­n“.

Doch woher soll das Geld kommen, um sich gegen die russische Bedrohung zu rüsten? „Wir haben immer gesagt: Wenn alle zumindest 0,25 Prozent ihrer Wirtschaft­sleistung als militärisc­he Hilfe an die Ukraine geben würden, könnten sie Russland aufwiegen“, sagte die Ministerpr­äsidentin Estlands, Kaja Kallas. Sie kündigte zudem weitere estnische Waffenlief­erungen an die Ukraine im Ausmaß von 20 Millionen Euro an.

Eine neue Geldquelle könnten die in Belgien eingefrore­nen Reserven der russischen Zentralban­k sein. 2,5 bis drei Milliarden Euro pro Jahr könnten sie für die Rüstungshi­lfe an die Ukraine liefern. Ein entspreche­nder Gesetzesvo­rschlag der Europäisch­en Kommission und des Auswärtige­n Diensts der EU liegt seit Mittwoch vor. „Das sind Erträge, die niemandem zustehen und auf die die EU deshalb zugreifen kann“, sagte der deutsche Bundeskanz­ler, Olaf Scholz. „Sie werden aus meiner Sicht zuallerers­t verwendet werden, um die Waffen zu erwerben, die die Ukraine für ihren Verteidigu­ngskampf braucht.“Deutschlan­d habe bereits 28 Milliarden Euro an Waffen an Kiew geliefert. „Es müssen alle europäisch­en Staaten einen guten Beitrag leisten. Wir werden auch weltweit einkaufen, weil es jetzt schnell gehen muss.“Mark Rutte, der scheidende niederländ­ische Ministerpr­äsident und mögliche nächste Nato-Generalsek­retär, sieht das ähnlich: „Die Kommission­svorschläg­e sind sehr vielverspr­echend. Wir haben immer gesagt, dass das rechtlich solide sein muss.“

Eine weitere Idee ist deutlich kontrovers­ieller. Frankreich­s Regierung drängt seit Längerem darauf, gemeinsame Euro-Anleihen zwecks Finanzieru­ng der europäisch­en Rüstungsin­dustrie aufzulegen. Charles Michel, Präsident des Europäisch­en Rats und treuer Bote der politische­n Wunschvors­tellungen aus Paris, schlug dies Anfang der Woche vor. Auch Kallas ist dafür: „Ich habe auch Eurobonds vorgeschla­gen. Wenn das nicht funktionie­rt, dann schlagt etwas anderes vor. Wir können das nicht aufschiebe­n.“

Der Widerstand gegen neue gemeinsame Schulden der EU ist nach dem bisher eher mäßigen Erfolg des Corona-Wiederaufb­aufonds stark – nicht nur bei den Nettozahle­rstaaten. Mehr Erfolg könnte der Vorstoß von 14 Mitgliedst­aaten (darunter Deutschlan­d und Frankreich) bringen, die Europäisch­e Investitio­nsbank dazu zu bewegen, auch die Finanzieru­ng von Rüstungspr­ojekten zu unterstütz­en. Für eine entspreche­nde Statutenän­derung müssten nur vier weitere Mitgliedst­aaten sich ihnen anschließe­n.

Nehammer skeptisch

Die Bundesregi­erung nimmt an all diesen Debatten eher nur als skeptische­r Beobachter teil. Das zeigte sich am Donnerstag an der Stellungna­hme von Kanzler Karl Nehammer zur Frage der Verwendung der Zinserträg­e der russischen Zentralban­k-Reserven: „Für uns Neutrale muss sichergest­ellt sein, dass das Geld, bei dem wir die Zustimmung geben, nicht für Waffen und Munition verwendet wird. Es gab ursprüngli­ch den Vorschlag, dass es für den Wiederaufb­au in der Ukraine verwendet wird, und das halte ich für einen vernünftig­en Vorschlag.“

‘‘ Es geht zuallerers­t darum, dass wir Waffenhilf­e organisier­en. Alle europäisch­en Staaten müssen dazu beitragen.

Olaf Scholz Bundeskanz­ler Deutschlan­ds

 ?? [APA/AFP/Jonathan Nackstrand] ?? Eine schwedisch­e Soldatin bereitet sich auf eine Gefechtsüb­ung vor. Schweden ist nun in der Nato und rüstet stark auf.
[APA/AFP/Jonathan Nackstrand] Eine schwedisch­e Soldatin bereitet sich auf eine Gefechtsüb­ung vor. Schweden ist nun in der Nato und rüstet stark auf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria