Die EU rüstet militärisch auf – doch wer soll das bezahlen?
Europäischer Rat. Während Russland noch heuer zwei neue Armeen aufstellen will, suchen Europas Chefs nach dem Geld, um ihre Verteidigungsfähigkeit zu finanzieren.
War das Timing zufällig oder gewollt? Wirkmächtig war es auf jeden Fall: Punktgenau vor Beginn des Europäischen Rats am Donnerstag in Brüssel verübte Russland erstmals seit Wochen wieder schwere Luftangriffe auf die ukrainische Hauptstadt, Kiew. Alle 31 Geschosse seien abgefangen worden, teilte das ukrainische Verteidigungsministerium mit. Trotzdem wurden von herabfallenden Trümmern zumindest 13 Menschen verletzt. Zudem erklärte der russische Verteidigungsminister, Sergej Schojgu, dass die russischen Streitkräfte noch heuer zwei neue Armeen aufbauen würden, um die Ukraine niederzuwerfen. „Die Vereinigten Staaten und ihre Satelliten sind äußerst besorgt über den Erfolg der russischen Streitkräfte“, frohlockte Schojgu.
Mit den „Satelliten“meinte er in erster Linie die EU. Deren Staats- und Regierungschefs waren sich bei ihrem Gipfel in Brüssel des Ernstes der Lage bewusst. Es gebe „die unbedingte Notwendigkeit für erweiterte und koordinierte militärische und zivile Bereitschaft und strategisches Krisenmanagement im Kontext der sich kontinuierlich entwickelten Bedrohungslage“, heißt es in ihren gemeinsamen Schlussfolgerungen.
Die Zeit der Kriegswirtschaft naht
Anders ausgedrückt: Die Europäer müssen sich darauf vorbereiten, dass der russische Krieg nicht in der Ukraine haltmacht. Das Wort von der „Kriegswirtschaft“macht seit Wochen schon die Runde. „Die Verteidigungsbereitschaft und die Souveränität der Union zu erhöhen wird zusätzliche Aufwendungen erfordern“, so der Text. Die Mitgliedstaaten bekräftigten die „gemeinsame Verpflichtung, die Verteidigungsausgaben substanziell zu erhöhen und besser und schneller zu investieren“.
Doch woher soll das Geld kommen, um sich gegen die russische Bedrohung zu rüsten? „Wir haben immer gesagt: Wenn alle zumindest 0,25 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung als militärische Hilfe an die Ukraine geben würden, könnten sie Russland aufwiegen“, sagte die Ministerpräsidentin Estlands, Kaja Kallas. Sie kündigte zudem weitere estnische Waffenlieferungen an die Ukraine im Ausmaß von 20 Millionen Euro an.
Eine neue Geldquelle könnten die in Belgien eingefrorenen Reserven der russischen Zentralbank sein. 2,5 bis drei Milliarden Euro pro Jahr könnten sie für die Rüstungshilfe an die Ukraine liefern. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission und des Auswärtigen Diensts der EU liegt seit Mittwoch vor. „Das sind Erträge, die niemandem zustehen und auf die die EU deshalb zugreifen kann“, sagte der deutsche Bundeskanzler, Olaf Scholz. „Sie werden aus meiner Sicht zuallererst verwendet werden, um die Waffen zu erwerben, die die Ukraine für ihren Verteidigungskampf braucht.“Deutschland habe bereits 28 Milliarden Euro an Waffen an Kiew geliefert. „Es müssen alle europäischen Staaten einen guten Beitrag leisten. Wir werden auch weltweit einkaufen, weil es jetzt schnell gehen muss.“Mark Rutte, der scheidende niederländische Ministerpräsident und mögliche nächste Nato-Generalsekretär, sieht das ähnlich: „Die Kommissionsvorschläge sind sehr vielversprechend. Wir haben immer gesagt, dass das rechtlich solide sein muss.“
Eine weitere Idee ist deutlich kontroversieller. Frankreichs Regierung drängt seit Längerem darauf, gemeinsame Euro-Anleihen zwecks Finanzierung der europäischen Rüstungsindustrie aufzulegen. Charles Michel, Präsident des Europäischen Rats und treuer Bote der politischen Wunschvorstellungen aus Paris, schlug dies Anfang der Woche vor. Auch Kallas ist dafür: „Ich habe auch Eurobonds vorgeschlagen. Wenn das nicht funktioniert, dann schlagt etwas anderes vor. Wir können das nicht aufschieben.“
Der Widerstand gegen neue gemeinsame Schulden der EU ist nach dem bisher eher mäßigen Erfolg des Corona-Wiederaufbaufonds stark – nicht nur bei den Nettozahlerstaaten. Mehr Erfolg könnte der Vorstoß von 14 Mitgliedstaaten (darunter Deutschland und Frankreich) bringen, die Europäische Investitionsbank dazu zu bewegen, auch die Finanzierung von Rüstungsprojekten zu unterstützen. Für eine entsprechende Statutenänderung müssten nur vier weitere Mitgliedstaaten sich ihnen anschließen.
Nehammer skeptisch
Die Bundesregierung nimmt an all diesen Debatten eher nur als skeptischer Beobachter teil. Das zeigte sich am Donnerstag an der Stellungnahme von Kanzler Karl Nehammer zur Frage der Verwendung der Zinserträge der russischen Zentralbank-Reserven: „Für uns Neutrale muss sichergestellt sein, dass das Geld, bei dem wir die Zustimmung geben, nicht für Waffen und Munition verwendet wird. Es gab ursprünglich den Vorschlag, dass es für den Wiederaufbau in der Ukraine verwendet wird, und das halte ich für einen vernünftigen Vorschlag.“
‘‘ Es geht zuallererst darum, dass wir Waffenhilfe organisieren. Alle europäischen Staaten müssen dazu beitragen.
Olaf Scholz Bundeskanzler Deutschlands