Europa kämpft auch auf dem Balkan gegen Putin
Die EU muss Bosnien und Herzegowina ins Boot holen und trotzdem auf klaren Reformen beharren. Damit die Union nicht von innen ausgehöhlt wird.
Zehntausende Menschen wurden getötet, vertrieben, in Lagern gefoltert. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, die Hauptstadt Sarajewo belagert und beschossen. In Srebrenica ermordeten Truppen der bosnischen Serben 8000 Männer und Buben. Dieses Verbrechen an den Bosniaken, den bosnischen Muslimen, hat das UN-Tribunal für Ex-Jugoslawien als Völkermord eingestuft. Der Krieg in Bosnien und Herzegowina war damals der schlimmste Konflikt in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Nun werden es nächstes Jahr bereits 30 Jahre, dass der Bosnien-Krieg beendet wurde. Seither herrscht Frieden, auch wenn der zeitweise brüchig erscheint. Zugleich harrt das Land im Wartesaal der EU aus.
Jetzt dürfte sich endlich etwas bewegen. Aus Brüssel kommen positive Signale, dass mit Bosnien und Herzegowina EU-Beitrittsgespräche gestartet werden sollen. Das Land, das einst so unter Krieg und Zerstörung gelitten hat, macht einen kleinen Schritt in Richtung EU-Integration. Das ist an und für sich eine gute Nachricht. Gerade Bosniens proeuropäische Zivilgesellschaft sollte sich darüber freuen. Doch ganz so ist es nicht. Denn spricht man mit NGOs in Sarajewo darüber, so stößt man auch auf eines: Skepsis. Die Politiker des Landes, die wenig Reformeifer zeigen, dürften von Brüssel nicht belohnt werden, heißt es. Der Wunsch an die EUStaaten lautet: Macht weiter Druck, dass die Verantwortlichen in Bosnien und Herzegowina Reformen durchführen.
Die Union steckt hier in einer Zwickmühle. Die Voraussetzungen, um Mitglied der EU zu werden, dürfen nicht nach unten nivelliert werden. Die Aussicht, in den Klub EU aufgenommen zu werden, war viele Jahre ein Ansporn für Reformen, gerade in Südosteuropa. Das war lange Zeit die strategische Soft Power der Europäer. Und so wurde eine Annäherung an die Union auch als Belohnung für politisch erwünschtes Verhalten eingesetzt.
Doch je mehr die Union wuchs und je unangenehmer die Probleme mit Mitgliedern wie Viktor Orbáns Ungarn wurden, desto größer wurde die Skepsis gegenüber der Aufnahme weiterer Staaten. Vor allem solcher, die etwa bei Rechtstaatlichkeit säumig sind.
Jetzt kommt aber erneut ein Aspekt jenseits von Reformen und Rechtstaatlichkeit ins Spiel: die Geopolitik. Der Grund dafür ist Russlands Überfall auf die Ukraine. Um ein starkes Signal der Unterstützung an Kiew zu senden, erhielt die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Und Politiker der Union geben unumwunden zu, dass auch bei Bosnien und Herzegowina strategische Überlegungen mitschwingen. Die Länder Südosteuropas sollen ganz klar ins Team EU geholt werden. Das ist auch wichtig. Denn längst versuchen andere Kräfte, auf dem Balkan ihre Macht auszubauen.
Etwa China, das dabei auf wirtschaftlichen Einfluss setzt. Eine EU-Annäherung Südosteuropas ist dabei durchaus in Pekings Interesse – in der Hoffnung, dass damit auch für China die Türen nach Europa weiter aufgehen. Auch Russland ist in der Region präsent, aber spielt hier eine destruktivere Rolle. Der Balkan ist gleichsam der Innenhof der EU. Und Kreml-Chef Wladimir Putin will das nutzen, um dem Westen hier Schwierigkeiten zu bereiten.
Dabei setzt Putin auf autokratisch agierende Politiker wie Milorad Dodik, den starken Mann bei Bosniens Serben. Dodik ist ständig Gast in Moskau – und droht regelmäßig mit der Abspaltung der von ihm kontrollierten Republika Srpska, des zweiten Landesteils Bosnien und Herzegowinas. Offiziell begrüßt Dodik den Weg in der EU. De facto würde eine EUAnnäherung aber seine auf Vetternwirtschaft aufgebaute Herrschaft gefährden, so wie auch bei anderen Politikern in der Region. Er muss also nur Reformen verhindern und hat es damit in der Hand, den EU-Beitrittsprozess zu sabotieren.
Für die Union ist das eine Gratwanderung. Klar ist: Die Europäer müssen Putin auch auf dem Balkan geopolitisch Paroli bieten. Und zur europäischen Einigung gehört auch der Beitritt der Länder Südosteuropas zur EU. Zugleich muss die Union auf die Einhaltung ihrer Werte pochen. Bei den derzeitigen und bei künftigen Mitgliedern. Denn andernfalls würde die EU von innen ausgehöhlt. Und auch das wäre ein Sieg für Putin.