Früherkennung: Für eine gesunde Lunge
Erspart persönliches Leid und volkswirtschaftliche Kosten. Über die notwendigen Rahmenbedingungen für mehr Lungengesundheit wurde kürzlich in Wien diskutiert.
Lungenkrebs ist nicht nur eine der häufigsten Krebsarten, sondern auch jene mit der höchsten Mortalitätsrate. Die Überlebenschancen nach der Diagnose sind verglichen mit anderen onkologischen Erkrankungen gering: „Während etwa 80 Prozent aller Betroffenen Brustkrebs überleben, sind es bei Lungenkrebs 80 Prozent, die fünf Jahre nach der Diagnose nicht mehr am Leben sind“, sagt Arschang Valipour, Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie an der Klinik Floridsdorf und Leiter des Karl-Landsteiner-Instituts für Lungenforschung und Pneumologische Onkologie. Die Lage in Österreich in absoluten Zahlen: 5000 Lungenkrebs-Neuerkrankungen pro Jahr, rund 4000 Todesfälle.
Zufall führt Regie
„Der Risikofaktor Nummer 1 für die Entstehung von Lungenkrebs ist das Rauchen, auch wenn bestimmte genetische Veranlagungen eine Rolle spielen können“, so Valipour, der auf eine Besonderheit dieser Krebsart hinweist: „Betroffene haben selten Beschwerden, die sie zum Ordinationsbesuch veranlassen. Die Lunge ist kein besonders schmerzintensives Organ und Husten wird bei bestimmten Vorerkrankungen oder einer Raucherkarriere als normal empfunden. Wenn Betroffene dann doch beim Hausarzt oder dem Lungenfacharzt ankommen, sind nach einem Röntgen oder CT Zufallsbefunde häufig.“
Während also bei der Diagnose oftmals der Zufall Regie führt, treten ab diesem Zeitpunkt bis hin zum Behandlungsstart kaum Verzögerungen auf. Die Zuweisung in eine Spitalsambulanz, die weitere diagnostische Abklärung und die Einleitung der Therapie erfolgen in der Regel zügig. Die Behandlung des Lungenkarzinoms im Zeitalter der multimodalen Therapie ist eine wirkungsvolle Kombination aus Chirurgie, Chemotherapie, Radioonkologie, zielgerichteter Therapie und/oder Immuntherapie. „Insgesamt haben sich durch die multimodalen Therapien die Überlebenschancen auch in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung deutlich verbessert“, weiß der Pneumologe. Ohne Therapie ist davon auszugehen, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit innerhalb von fünf Jahren nach Diagnosestellung unter zehn Prozent liegt.
Fokus auf Früherkennung
Aktuelle Daten aus dem Lungenkrebszentrum der Klinik Floridsdorf zeigen, dass viele Karzinome früher erkannt werden, als dies vor 15 Jahren der Fall war. Aber immer noch wird rund die Hälfte aller Erkrankungen erst im Stadium 4 festgestellt, was für eine heilende Behandlung meist zu spät ist. Das Ziel einer Lungenkrebsfrüherkennung muss nach Ansicht von Valipour daher lauten, in einem möglichst frühen Stadium die Erkrankung bei Hochrisikogruppen (Stichwort: Raucherkarriere) zu identifizieren. Den Mehrwert eines Früherkennungsprogrammes bestätigen Metaanalysen und internationale Daten, etwa aus England und Taiwan. Während ohne Programme rund 80 Prozent erst in einem fortgeschrittenen Stadium 3 oder 4 erkannt werden, so sind es mit der passenden Früherkennung vorwiegend Betroffene im Stadium 1.
Die Früherkennung hat zudem den Vorteil, dass rechtzeitig pulmonale und kardiovaskuläre Komorbiditäten detektiert und kostenintensive Therapien in einem Spätstadium vermieden werden. „Auch die Kosteneffizienz von Lungenkrebsfrüherkennung im Gegensatz zu einer Therapie im Spätstadium kann mit Daten belegt werden“, bestätigt Valipour. Während sich etwa in Großbritannien die Vorsorge mit 8500 Britischen Pfund pro qualitätskorrigiertem Lebensjahr (Qaly, englisch quality-adjusted life year, ist eine Kennzahl für die Bewertung eines Lebensjahres in Relation zur Gesundheit; ein Qaly von 1 bedeutet ein Jahr in voller Gesundheit) zu Buche schlägt, liegen die Kosten für personalisierte Therapeutika bei 41.000 Pfund pro Qaly. In den USA ist das Verhältnis 19.000 zu 231.000 US-Dollar. Dort wird die Lungenkrebsfrüherkennung seit 2013 empfohlen und seit 2016 erstattet. Die Zahl der Todesfälle konnte im Schnitt um 10.000 Fälle pro Jahr reduziert werden.
Internationale Best Practice
In den letzten sechs Jahren haben einige Länder in Europa Pilotprogramme zur Früherkennung von Lungenkrebs implementiert, wie etwa Großbritannien, Spanien, Italien oder Deutschland. Die wissenschaftliche Evidenz ist aus den zahlreichen Best-Practice-Modellen gesichert. Die risikobasierte Früherkennung führt zu einem besseren Langzeitüberleben, mehr gesunden Lebensjahren und weniger Therapiekosten im späten Stadium. „Wir können hier schon auf viel Vorarbeit aufbauen und von den Vorbildern lernen“, so Valipour. Schließt man in Österreich alle über 55-jährigen Raucherinnen und Raucher, die über 20 Jahre lang mehr als ein Päckchen Zigaretten pro Tag rauchen, ein, so wäre von etwa 350.000 Personen auszugehen, die für ein derartiges Programm grundsätzlich infrage kommen.
Zielgruppen-Thema
Der konkrete Einschluss einer Zielgruppe für ein Lungenfrüherkennungsprogramm wirft allerdings noch offene Fragen auf. „Nichtrauchende auszuschließen ist schwer zu argumentieren und fördert Ungerechtigkeiten, da auch andere Faktoren wie bestimmte Vorerkrankungen das Risiko für Lungenkrebs erhöhen können“, betont etwa Helmut Prosch, stellvertretender Abteilungsleiter, Klinische Abteilung für Allgemeine Radiologie und Kinderradiologie, Medizinische Universität Wien. Er verweist auf Erfahrungen, dass die Zahl der tatsächlichen Teilnehmenden am Programm ohnehin geringer wäre als die potenziell identifizierte Gruppe. „Nichtsdestotrotz gilt es dort zu starten, wo es Sinn macht und auch der größte Nutzen entsteht“, so Prosch. Stefan Watzka, interimistischer Leiter der Abteilung für Thoraxchirurgie an der Klinik Floridsdorf, plädiert ebenfalls für einen breiten Einschluss von Patientinnen und Patienten: „Wir dürfen uns nicht von Anfang an auf Rauchende limitieren. Ein Projekt in einer begrenzten Pilotregion, etwa ein Bezirk in Wien, könnte mehr Orientierung geben, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind.“
Praevenire Experte Wilhelm Marhold betont wiederum die Bedeutung einer möglichst frühen Diagnose und Therapie: „Wenn wir von Früherkennung sprechen, muss klar sein, dass wir auch von Frühtherapie sprechen. Das ist die Domäne der minimalinvasiven und der molekularbiologisch personalisierten, modernen Medizin. Dafür müssen die Ressourcen vorhanden sein.“Clemens Aigner, Leiter der Universitätsklinik für Thoraxchirurgie an der Medizinischen Universität Wien, verweist auf das Untersuchungsintervall: „Es gibt noch keine Evidenz, ob ein oder zwei Jahre das passende Intervall sind. Zu Beginn wäre sicher ein einjähriges Intervall sinnvoll. Erreicht man die gesamte Population der Risikopersonen, so wären das in einer ersten Untersuchungsrunde etwa 11.000 Betroffene, die dann auch in vernünftigen Strukturen weiterbehandelt werden müssen.“Besonders großen Wert legt der Thoraxchirurg auf eine verantwortungsvolle Abklärung: „Ein interdisziplinäres Setting zur Entscheidungsfindung über die weitere Abklärung ist essenziell. Mit vielen falsch positiven Befunden ist niemandem geholfen.“
Bevölkerung motivieren
Die hohe Zahl der Zufallsbefunde bringt Walter Klepetko, Leiter des Vienna Center für Thoracic Oncology, zu der Forderung, eine breitere Population einzuschließen: „Der Nutzen ist hoch und wir verhindern die Stigmatisierung der Rauchenden.“Insgesamt, so resümiert der Mediziner, müssen drei zentrale Fragen geklärt werden: „Die Finanzierung, die Durchführungsmodalitäten und die Motivation der Bevölkerung.“Wesentlich ist für Klepetko die Qualitätssicherung und damit die Durchführung der Untersuchungen in zertifizierten Zentren, denn: „Jeder falsch negative Befund führt zu unnötigem Mehraufwand.“Motivierend zur Teilnahme könnte die Reduktion von Versicherungskosten sein, um Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen und hoher Disposition für das Rauchen anzusprechen.
Patientenvertreterin Gundula Koblmiller von der Österreichischen Lungenunion hat dazu bereits Erfahrung gesammelt: „Patientinnen und Patienten wollen früher informiert werden, gleichzeitig wollen wir auch nicht dazu beitragen, Menschen zu beunruhigen. Aktuell fehlt es noch an einer klaren Struktur für die Patientenjourney.“Ihr Wunsch wäre es auch, ein größeres Patientensample einzuschließen, um Nebenbefunde zu erheben. Motivation genug sieht die Patientenvertreterin im Benefit für den Einzelnen: „Wenn wir es schaffen, die 5-Jahres-Überlebenschance von 20 auf 80 Prozent zu heben, sollte das genug Motivation sein.“
Eckpunkte der Vorsorge
Klare Einschlusskriterien für die Zielgruppe, zertifizierte Zentren für die Durchführung und standardisierte Behandlungspfade entlang der Patientenjourney, die von einem multidisziplinären Team begleitet werden – so lauten den Expertinnen und Experten zufolge die zentralen Punkte zur Verbesserung des Status quo. Sind diese Rahmenbedingungen geklärt, kann eine klare Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt werden, die sich auch Andreas Huss, Arbeitnehmer:innen-Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), wünscht: „Wir als Versicherer stehen hinter jeder sinnvollen Vorsorgemaßnahme, deren Wirkung evidenzbasiert ist. Aus anderen Programmen wissen wir auch um deren Einsparpotenziale und Vorteile für die Versicherten Bescheid. Unsere Aufgabe ist es, die Ressourcen im Auge zu haben.“Hier sieht der ÖGK-Obmann derzeit vor allem freie Großgeräte-Kapazitäten in den Spitälern, jedoch bei weitgehend fehlenden Personalressourcen. Somit wäre eine Implementierung einer Lungenkrebsfrüherkennung auch außerhalb des Spitalswesens zu wünschen, idealerweise aber mit gezielten Zuweisungsmodalitäten in den intramuralen Bereich, wenn es gilt, Befunde abzuklären.