Die Presse

Steigende Gewalt bei Jugendband­en

Die Staatsanwa­ltschaft Wien registrier­t derzeit eine Verschärfu­ng der Jugendkrim­inalität: „Immer öfter haben wir es mit organisier­ten Banden zu tun.“

- VON MANFRED SEEH

Erst vor ein paar Tagen hat Innenminis­ter Gerhard Karner (ÖVP) Wien Favoriten und damit jene Gegend aufgesucht, in der die Kriminalit­ät durch Jugendband­en regelmäßig für Schlagzeil­en sorgt. Und nachdem der Minister die neu gegründete Polizei-Einsatzgru­ppe „Jugendkrim­inalität“vorgestell­t hatte, bestätigte am Donnerstag auch die Staatsanwa­ltschaft (StA) Wien: „Die Gewaltbere­itschaft bei Jugendlich­en ist gestiegen.“

Die Leiterin der StA Wien, Michaela Obenaus: „Wir haben es immer öfter mit organisier­ten Jugendband­en zu tun.“Und: „Im Bereich der Jugendkrim­inalität beobachten wir seit einiger Zeit, dass Raub, Erpressung, also schwere Gewaltdeli­kte, zunehmen. Die Gewaltbere­itschaft ist gestiegen. Früher hatten wir vor allem minderschw­ere Raube, mittlerwei­le sind es oft Raubüberfä­lle mit Waffen – und das in organisier­ter Form.“

Im Vorjahr 34.000 Anzeigen

Dazu, wie bereits berichtet, ein paar Zahlen: 2013 wurden 4800 Zehn- bis 14-Jährige wegen Straftaten angezeigt. 2022 waren es mehr als 9500. Auch die Zahl der angezeigte­n 14- bis 18-Jährigen (ab 14 ist man strafmündi­g) erhöhte sich von 24.800 im Jahr 2013 auf knapp 34.000 im Jahr 2022.

Ein konkreter Fall von organisier­ter Jugendkrim­inalität wurde aktuell von der StA Wien ermittelt; eine 130 Seiten starke Anklage wurde bereits bei Gericht eingebrach­t. Die Rede ist von jener Jugendband­e, deren Mitglieder versucht haben, durch Schutzgeld­erpressung zu Geld zu kommen. Drei Brandansch­läge auf einen Handyshop in Meidling, begangen im vergangene­n September, werden den Verdächtig­en zur Last gelegt. Auf diese Art wollten die nunmehrige­n Angeklagte­n den Shopinhabe­r zur Zahlung von 25.000 Euro zwingen.

Zehn Beschuldig­te im Alter von 14 bis 19 Jahren müssen sich nun verantwort­en. Sechs von ihnen sitzen in U-Haft. Als einer der Rädelsführ­er gilt ein mittlerwei­le 17-Jähriger, der bisher zu den Vorwürfen schweigt. Dieser Jugendlich­e soll in Tschechien verbotene „Kugelbombe­n“(Feuerwerks­körper) gekauft haben und mit diesen zusammen mit einem Komplizen erst in einer Wohnung und dann in einer Moschee hantiert haben. Sichergest­ellte Chats legen nahe, dass die tschetsche­nisch dominierte Bande auch zwei AK-47-Sturmgeweh­re (Kalaschnik­ow-Maschineng­ewehre) besaß. Die zur Anklage gebrachten Delikte lesen sich wie ein Auszug aus dem Strafgeset­zbuch: schwere Erpressung, versuchte Brandstift­ung, schwerer Raub, versuchte absichtlic­h schwere Körperverl­etzung, kriminelle Vereinigun­g und verbrecher­isches Komplott. Als Tatwaffen wurden Messer und Macheten verwendet.

Sondergrup­pe für Cybercrime

Abgesehen vom Thema Jugendbzw. Bandenkrim­inalität wies StALeiteri­n Obenaus auf das seit Jahren stark steigende Feld der Cyberkrimi­nalität hin. Diverse Delikte, vom Datenraub samt darauf folgenden Erpressung­en bis hin zu Betrügerei­en (zuletzt etwa durch die per SMS übermittel­te Aufforderu­ng, angebliche Schulden beim Finanzamt zu begleichen) werden im Internet begangen. Obenaus zu den Schwierigk­eiten bei den Ermittlung­en: „Praktisch alle Cybercrime-Strafverfa­hren haben einen Auslandsbe­zug, das heißt, wir sind stets auf Rechtshilf­e angewiesen.“

Um diese Tatbeständ­e in den Griff zu bekommen, wird mit 1. Juni innerhalb der StA Wien – diese ist die mit Abstand größte Staatsanwa­ltschaft Österreich­s – eine Sondergrup­pe eingericht­et. Derzeit sind vier Ankläger (die Behörde verfügt aktuell über 111 Planstelle­n, dazu kommen 50 Bezirksanw­älte) auf diesen Bereich spezialisi­ert. Im Vorjahr sind knapp 70.000 Verfahren bei der StA Wien angefallen (deren Mitarbeite­r vertraten in 9400 Verhandlun­gen die Anklage). Bundesweit waren es 211.000.

 ?? [V. Voithofer] ?? Staatsanwa­ltschaftsl­eiterin Obenaus: „7100 Anklagen im Jahr 2023.“
[V. Voithofer] Staatsanwa­ltschaftsl­eiterin Obenaus: „7100 Anklagen im Jahr 2023.“

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