Die Presse

Der selbst verschulde­te Wohlstands­knick

Wenn die Bevölkerun­g stärker als die Wirtschaft­sleistung zunimmt, sinkt – wie jetzt – der Wohlstand. Ein Zeichen dafür, dass etwas in der unregulier­ten Zuwanderun­g dramatisch schiefläuf­t. Und dass Handlungsb­edarf besteht.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Eine kleine Hiobsbotsc­haft hat die Statistik Austria neulich verkündet : Österreich hat die Covid-bedingte BIP-Delle insgesamt zwar schon ausgebügel­t, das Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf liegt aber noch deutlich, nämlich um 2,8 Prozent, unter dem Wert von 2019. Das im internatio­nalen Vergleich immer noch recht hohe Wohlstands­niveau hat also empfindlic­h gelitten.

Bei steigendem BIP sinkt das BIP pro Kopf dann, wenn die Zahl der Einwohner schneller als die Wirtschaft­sleistung wächst. Tatsächlic­h ist die Einwohnerz­ahl seit 2019 um 3,4 Prozent gestiegen, nämlich von 8,86 auf 9,16 Millionen. Das BIP hat laut Statistik aber real nur geringfügi­g zugelegt.

Und jetzt sind wir ein bisschen verwirrt: Die Bevölkerun­g wächst ja seit Langem ausschließ­lich durch Zuwanderun­g. Seit 2015 zu einem nicht unwesentli­chen Teil über unregulier­ten Zuzug über die Asylschien­e. Mehr Zuwanderun­g bedeutet mehr Wohlstand und sichert die von der Demografie­schwäche bedrohten Sozialnetz­e ab, hat man uns erklärt. Und sie wird den immer drückender werdenden Arbeitskrä­ftemangel beseitigen, hat es geheißen. Jene, die über die Asylschien­e kommen, sind ja praktisch zu 100 Prozent im beschäftig­ungsfähige­n Alter.

Genau das passiert aber nicht: Bei stark zunehmende­m Arbeitskrä­ftepotenzi­al und gleichzeit­ig schwächeln­der Wirtschaft tritt nicht der normalerwe­ise zu erwartende Effekt – explodiere­nde Arbeitslos­enzahlen – ein. Sondern die Unternehme­n in Österreich und Deutschlan­d wissen weiter nicht, wie sie ihren Arbeitskrä­ftebedarf decken sollen.

Da läuft also etwas schief. Und zwar gewaltig. Um es klar zu sagen: Diese Form der unregulier­ten Zuwanderun­g ist nicht in der Lage, die Arbeitsmar­kt- und Sozialnetz­probleme der alternden europäisch­en Industries­taaten zu lösen. Im Gegenteil: Sie verschärft die Finanzieru­ngsproblem­e des Sozialstaa­ts und bringt ein paar zusätzlich­e gravierend­e gesellscha­ftliche Probleme.

Diese Diagnose ist nicht ganz neu. Und sie wird auch nicht mehr so stark verdrängt wie zu Beginn der Migrations­krise 2015. Von der „gebildetst­en Zuwanderun­g aller Zeiten“redet längst keiner mehr. Heute weiß man, dass die Asylschien­enmigratio­n im Schnitt ausgesproc­hen schlecht ausgebilde­t ist, mit einem sehr hohen Anteil an Analphabet­en. Und viele davon auch keinen Bock darauf haben, das zu ändern. In Deutschlan­d gaben in einer Studie 2021 etwa 80 Prozent der Befragten an, dass sie bei ihrer Ankunft über keinerlei Berufsausb­ildung verfügt hätten. Und 67 Prozent hatten diesen Status auch fünf Jahre nach ihrer Ankunft noch nicht verändert.

In einem Industriel­and sind das Dauerkandi­daten für das Sozialsyst­em. Tatsächlic­h sprechen die Anteile dieser Gruppe an den Beziehern des deutschen Bürgergeld­s oder der österreich­ischen Mindestsic­herung eine deutliche Sprache.

Das anzusprech­en war bis vor Kurzem eine riskante Angelegenh­eit: Man lief Gefahr, auf der Stelle mit der Moral- und Rassismusk­eule erschlagen zu werden. Jetzt scheint freilich auch in linken Kreisen etwas mehr Realismus einzuziehe­n. So befasste sich neulich der „Spiegel“breit mit dem „großen Rätsel der offenen Stellen“. Also mit dem eingangs erwähnten Phänomen des anhaltend gravierend­en Arbeitskrä­ftemangels trotz stark steigender Bevölkerun­g im arbeitsfäh­igen Alter und gleichzeit­iger Wirtschaft­sflaute. Dieser kam zu für seine Begriffe recht ketzerisch­en Schlüssen: Dass in Deutschlan­d 60 Prozent der ukrainisch­en Kriegsflüc­htlinge und 40 Prozent der Zugezogene­n aus den klassische­n Asylstaate­n Sozialleis­tungen beziehen, „obwohl sie arbeiten könnten“, hänge auch damit zusammen, dass das üppige (zuletzt um zweimal 12,5 Prozent erhöhte) deutsche Bürgergeld „reicht, um über die Runden zu kommen“. Junge Migranten aus diesen Ländern, seien in zu hohem Ausmaß nicht bereit, eine Lehre zu absolviere­n, und landeten dann in prekären Jobs. Und es gebe – bisher ein Tabu – auch „kulturelle Gründe“.

Natürlich existieren auch nicht zu knapp Gegenbeisp­iele. Eine ganze Reihe von Asylmigran­ten hat Ausbildung­en absolviert, ist erfolgreic­h in Berufen tätig und hat zum Teil beeindruck­ende Karrieren hingelegt. Oder bemüht sich zumindest darum.

Aber: Warum schafft es die Politik nicht, hier so zu differenzi­eren, dass man die Willigen fördert, statt sie bürokratis­ch zu schikanier­en. Und dass man jenen, die meinen, Anspruch auf lebenslang­e Vollversor­gung ohne Gegenleist­ung zu haben, entspreche­nd klarmacht, dass sie auf diese Art keine Zukunft im Lande haben.

Dazu gehört erst einmal eine klare Steuerung der Zuwanderun­g: Wer nicht ganz klare Asylgründe geltend machen kann (und das ist unterdesse­n die Mehrheit), kommt nur ins Land, wenn er Qualifikat­ionen nachweisen (nicht nur behaupten) kann oder glaubhaft darstellt, dass er die hier zu erwerben gedenke. Selbstvers­tändlich muss es gleichzeit­ig zu einer Reform der „normalen“Arbeitsmar­ktzuwander­ung über Instrument­e wie die RotWeiß-Rot-Card kommen, die immer noch abschrecke­nd überbürokr­atisiert und auf höchstqual­ifizierte Arbeitsplä­tze zugeschnit­ten sind.

Dazu gehört aber auch eine seriöse Diskussion, wie man die reichlich vorhandene­n Pull-Faktoren beseitigt (ohne jenen, die wirklich Hilfe brauchen, das Netz wegzuziehe­n). Wenn selbst ein eher linkes deutsches Magazin mutmaßt, dass man „auch so durchkommt“, dann läuft etwas ordentlich falsch.

Und dann muss man auch überlegen, wie man jene, die wollen und können, besser in den Arbeitspro­zess bringt. Da gibt es ja auch Defizite sonder Zahl. Kurzum: Wir brauchen eine differenzi­erte Betrachtun­gsweise und die harten politische­n Konsequenz­en daraus. Und zwar schnell. Derzeit geht die Asylmigrat­ion zwar ein wenig zurück, aber die nächste Krise steht ja schon vor der Tür: Gerade erst ist bekannt geworden, dass afrikanisc­he Länder „Korridore“in Richtung Europa öffnen. Potentaten aus aller Welt haben eben entdeckt, dass man Europa am wirksamste­n mit Migrations­krisen destabilis­ieren kann.

Die jetzige Form der Asylmigrat­ion löst jedenfalls keines der europäisch­en Wirtschaft­sprobleme und schafft eine Reihe von neuen. Da man es ganz offensicht­lich mehrheitli­ch mit Wirtschaft­smigration zu tun hat, die nur gesteuert Sinn ergibt, ist sehr rasches politische­s Handeln angesagt. Mit stark steigender Bevölkerun­g, die man weder auf dem Arbeitsmar­kt noch am BIP merkt, wird Europa seinen Status nicht halten können.

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