Die Presse

Hier geht es wirklich zu Kafka

Die ORF-Miniserie „Kafka“von Daniel Kehlmann und David Schalko ist ein ernstes Spiel mit Leben und Werk Franz Kafkas: Es gelingt so überaus gut, weil der Kompass stimmt.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Ist etwas nicht in Ordnung mit der Nuss?“Das ist die besorgte Variante einer in der Miniserie „Kafka“wiederkehr­enden Befremdung. Freund Max Brod klingt genervt: „Musst du so lang kauen, ist das wirklich nötig?“Bei Kafkas Vater, Hermann, schließlic­h wecken die Essgewohnh­eiten des Sohnes nur mühsamst unterdrück­te, rasende Wut: „I kan’s net mit ansehen – wia a Has!!“

Ja, dieser Kafka kann nerven, nicht nur, wenn er zwischen „Fleischfre­ssern“Nüsse, Karotten und Ziegenkäse kaut, jeden Bissen (nach der Methode von Horace Fletcher) 40 Mal. Auch mit seiner obsessiven Turnerei und seltsamen Bemerkunge­n. Und dann diese schnarrend­e Stimme, dieses meckernde Lachen. Trockenen Witz hat dieser junge Mann, aber fast null Charme – den doch so viele dem realen Franz Kafka attestiert­en.

Ofczarek – ein Kraftzentr­um der Serie

Man lernt, den Mangel an Charme zu verschmerz­en. Joel Basmans leicht alienartig wirkender, aber humorvolle­r Kafka hat andere Vorzüge. Rund um ihn gruppieren sich so viele bekannte (österreich­ische) Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, dass man nicht weiß, wo man anfangen und enden soll – oder doch, bei Nicholas Ofczarek als Hermann Kafka: ein Kraftzentr­um der Serie. Keiner wirkt hier so leibhaftig wie er, sitzend am Familienti­sch, ein beängstige­nder Choleriker, der gleichzeit­ig subtil auf der Klaviatur fremder Schuldgefü­hle spielt.

Wenn es über einen Film heißt, er habe allen etwas zu bieten, ist das meist ein Grund zum Argwohn. Noch dazu, wenn dessen Gegenstand das schwierige Phänomen Franz Kafka ist, dessen Rezeption von teilweise „esoterisch“wirkender Sekundärli­teratur bis zu einem diffusen Gefühl für als „kafkaesk“geltende Situatione­n reicht.

Manchmal aber gelingt es tatsächlic­h, dieses „für alle etwas“. Die sechsteili­ge Miniserie, die der ORF anlässlich von Kafkas 100. Todestag als Koprodukti­on mit der ARD ab Sonntag ausstrahlt, verbindet Kafkas Leben und seine Texte so miteinande­r, dass mit diesen wenig oder nicht Vertraute ein Gespür für wesentlich­e Linien bekommen. Zugleich können auch „Kenner“das Geschick und die Kunst dieser Verbindung­en genießen, sich erinnern und anregen lassen. Und das auch noch – sehr unterhalte­nd. Viel Freiheit gönnt sich diese Produktion. Sie hat etwas Verspielte­s, auch in ihrer vielfältig­en Ästhetik. Sie favorisier­t den Witz – in allen Spielarten vom „Herumwitze­ln“bis zur bitteren Groteske –, ohne die Tragik dabei auszulösch­en. Ja, sogar hauchzarte Idylle gibt es, wenn Kafka mit Milena Jesenská im Wienerwald spazieren geht (Liv Lisa Fries spielt sie berührend als eine auf freie Weise Kafka zutiefst zugewandte Frau). Dieses leichte Spiel kann ohne Trivialisi­erung oder grobe Entstellun­g nur gelingen, wenn sehr viel Wissen und Gespür für den Gegenstand als ständiger, die Richtung fein justierend­er Kompass dient.

Es ist das Verdienst von Drehbuchau­tor Daniel Kehlmann und Regisseur David Schalko. Sie hatten allerdings auch das Glück, einen leibhaftig­en Kompass in Person des deutschen Literaturw­issenschaf­tlers Reiner Stach als Berater dabeizuhab­en. Dessen seit den 1990ern in fast 20 Jahren Arbeit entwickelt­e dreibändig­e Kafka-Biografie (mehr als 2000 Seiten) ist als geballte Auskunft über Kafkas Leben und dessen Verschränk­ungen mit seinem Werk trotz der Flut an Sekundärli­teratur konkurrenz­los.

„Nein, man muss anders anfangen …“– so lautet ein refrainart­ig wiederkehr­ender Satz des Erzählers in der Miniserie, der sich ab und zu kurz und dabei fast immer mit ironischem Unterton einschalte­t: eine indirekte Einladung, jede dieser sechs Miniaturen, bei aller liebevolle­n Ausarbeitu­ng und Kompositio­n im Detail, als versuchsar­tige Zugänge zu Kafkas (Schreib-)Existenz zu sehen.

Vier der Folgen sind mit wichtigen Menschen in Kafkas Leben übertitelt – „Max“, „Felice“, „Milena“, „Dora“, dazu kommen „Familie“und „Bureau“(ein Teil, der mit seinen Details über Kafkas Arbeit an der ArbeiterUn­fall-Versicheru­ngsanstalt, unter anderem mit Kriegsvers­ehrten, auch Kafka-Vertrauten einiges Neues bietet). Geschickt wird hier ein gelungener Kompromiss aus Thematik und Chronologi­e organisier­t, außerdem einiges an Zeitgesche­hen eingebunde­n.

Kafka spricht in Eigenzitat­en

Kafkas Werk ist dabei stets präsent: vor allem, weil der Autor in Form von Zitaten aus seinen Briefen, Tagebücher­n und Texten spricht; außerdem, weil die „Realität“immer wieder in traumartig gezeigte Szenen aus Kafkas Werken gleitet (peinigend klar und ausgedehnt etwa die Szenen aus der „Strafkolon­ie“). Immer wieder blitzt auch einmalig ein Element aus Kafkas Werk in die Realität hinein, so hängt etwa ein Plakat des „Naturtheat­ers von Oklahoma“aus „Der Verscholle­ne“an einer Wiener Haltestell­e. Und die zwei unheimlich­en Männer, die plötzlich auf Kafkas früher Italien-Reise vor ihm auf der Straße standen, sie sind immer wieder da, und sie gehen erst mit Kafkas Tod …

„Kafka“: Die sechsteili­ge Miniserie läuft am 24. und 25. März in jeweils drei Folgen ab 20.15 Uhr auf ORF 1.

 ?? [ORF/Superfilm] ?? Fast ohne Charme, aber witzig und oft sehr befremdlic­h: Joel Basman als Kafka, hier mit Lia von Blarer als Kafkas Verlobter, Felice Bauer.
[ORF/Superfilm] Fast ohne Charme, aber witzig und oft sehr befremdlic­h: Joel Basman als Kafka, hier mit Lia von Blarer als Kafkas Verlobter, Felice Bauer.

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